: Die verlorene Saison 2020
Wenige Gäste kamen 2020, kaum Reservierungen für 2021 – die Coronapandemie bedroht besonders Familienbetriebe, die Basis des griechischen Tourismus
Evgenios Vassilikos, Vorsitzender Hotelverband
Von Theodora Mavropoulos
Das krisengebeutelte Griechenland kommt nicht zur Ruhe. Nach über 10 Jahren Wirtschaftskrise schaffte es das Land langsam, die Rezession hinter sich zu lassen. Das Jahr 2020 sollte den EU-Staat endgültig wieder auf die Beine stellen. Jetzt wirft die Coronapandemie das Land erneut zurück. Covid-19 bedeutet für zahlreiche Unternehmen das Aus. Besonders die Tourismusbranche betrauert die verlorene Saison 2020.
Nach der Saison 2019 war Griechenland fast euphorisch. Etwa 33 Millionen TouristInnen kamen im vergangenen Jahr und brachten 17,7 Milliarden Euro ins Land. Die Tourismusbranche gilt als ein Wachstumsinstrument, das das Land aus der Wirtschaftskrise befreit. Seit 2013 sind die Besucherzahlen konsequent angestiegen. Für das Jahr 2020 sagten BranchenexpertInnen Einnahmen von mehr als 20 Milliarden Euro voraus. Das Land legte alle Hoffnung in die kommende Saison. Doch dann kam Corona.
„Der griechische Tourismus geht durch seine größte Krise. 2020 war ein beispielloses Jahr, das mit keinem anderen zu vergleichen ist“, sagt der Vorsitzende des Verbands der Griechischen Touristikunternehmen (Sete), Jannis Retsou. „Der griechische Tourismus hat im Jahr 2020 fast 80 Prozent seines Umsatzes im Vergleich zum Vorjahr verloren“, resümiert Retsou die diesjährige Saison.
Dabei war Griechenland so gut vorbereitet: Mit strengen Hygienevorschriften in Hotels sowie akkurat mit Mindestabstand aufgestellten Sonnenliegen an den Stränden wirbt die Tourismusbranche auch in Pandemiezeiten um ihre Gäste. Griechenland selbst galt als Vorzeigestaat, schaffte es das Land lange Zeit, die Infektionszahl auf einem sehr niedrigen Niveau zu halten. Und dennoch: Lockdown, geschlossene Grenzen – die Reisebranche steht fast still.
Strengere Auflagen verderben den Spaß am Reisen und sorgen bei potenziellen BesucherInnen für Verunsicherung: Maskentragen auf dem Flughafengelände und an Bord, sporadische Corontests nach der Landung sowie die Einführung eines QR-Codes zur besseren Nachverfolgung von Infektionsfällen lassen kein Urlaubsgefühl aufkommen. Auch werden zahlreiche Flüge einfach gestrichen.
Evgenios Vassilikos ist stellvertretender Vorsitzender des Hotelverbunds Griechenland. Er weiß, wie schlimm es um die Hotelbranche in Griechenland steht. „Zahlreiche HotelbesitzerInnen bangen um ihre Existenz“, sagt Vassilikos. So etwas wie dieses Jahr habe man auch in Krisenzeiten nicht erlebt, sagt er immer noch fassungslos über die Situation. Dass an den Hotels im ganzen Land zahlreiche Jobs hängen, weiß er nur zu gut. Seit 2005 führt er die Hotelkette Airhotel, die aus sechs Cityhotels in Athen, Patras und Kavala besteht. Er hat die Hotels von seinem Vater übernommen.
„In diesem Jahr konnte ich nur vier unserer sechs Hotels öffnen – das hat uns alle kalt erwischt“, berichtet der Familienvater. „Ich lief an den geschlossenen Hotels vorbei, es war ein schlimmes Gefühl. Sonst bedeutete es immer etwas Positives, wenn das Hotel geschlossen war – Umbau oder Renovierungsarbeiten“, sagt Vassilikos. In diesem Jahr verursacht die Maßnahme nur Leid.
„Wir stellen jedes Jahr etwa 250 MitarbeiterInnen ein“, sagt er. „In diesem Jahr konnte ich nur knapp 35 Prozent meiner Angestellten beschäftigen.“ Die meisten kenne er schon lange und so war es umso schwerer, ihnen das mitzuteilen.
HotelarbeiterInnen mit Vertrag bekommen in Coronzeiten vom griechischen Staat eine finanzielle Unterstützung von 534 Euro pro Monat. Freischaffende SaisonarbeiterInnen werden dabei nicht berücksichtigt. Um auch ihnen wenigstens ein bisschen Unterstützung zu bieten, veranlasste Vassilikos, dass für die einstigen Mitarbeiterinnen Carepakete mit Nahrung und Hygieneartikeln in den Hotels bereitliegen.
Für ihn sowie für Tausende der HotelbetreiberInnen in ganz Griechenland ist die Saison nicht gewinnbringend. Nur knapp 45 Prozent der Zimmerkapazitäten waren belegt.
Er selbst blickt trotzdem zuversichtlich in die Zukunft und hofft auf die nächste Saison. Doch wie viele der rund 10.000 Hotels in Griechenland die Coronapandemie überstehen, vermag noch niemand zu sagen. Besonders für familiengeführte kleinere Hotels ist die Situation sehr schwer. Die griechische Regierung diskutiert noch über direkte Hilfsmaßnahmen für die Tourismusbranche, auf die die Hotellobby des Landes dringend pocht.
Denn es geht nicht nur um ihre Existenz. Die Tourismusbranche ist einer der stärksten Pfeiler der griechischen Wirtschaft und steuert über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei. Mehr als 678.000 GriechInnen arbeiten unmittelbar in der Tourismusbranche.Doch auch die Einnahmen zahlreicher weitergreifender Arbeitsplätze, wie ElektrikerInnen, BauarbeiterInnen oder Lieferserviceunternehmen, hängen an dieser Branche.
Unter normalen Umständen läuft eine Saison von April bis Oktober. Nach dem ersten Coronschock im März mussten alle Hotels auf staatliche Anordnung hin schließen. Bis Mitte Juni dieses Jahres durften sie in ganz Griechenland nicht öffnen.
„Bis dahin haben wir so viel Geld verloren, dass es sich für uns nicht gelohnt hätte, für die paar Monate zu öffnen, denn es zeichnete sich ab, dass kaum Touristen kommen“, sagt Michalis Apostolou. Der über 70-Jährige betreibt auf der Insel Mykonos seit gut 50 Jahren ein Hotel in Mykonos-Stadt. Er hat es gemeinsam mit seinem Vater aufgebaut und führt es heute mit seinem Sohn. Das klassische Familienmodell. Die Kykladeninsel ist als beliebte Touristendestination weltweit bekannt.
„Der plötzliche Einbruch durch die Pandemie ist sehr schwer für uns, denn wir leben hier ausschließlich vom Tourismus“, erklärt Apostolou. „Im letzten Jahr um diese Zeit waren wir für die kommende Saison bereits fast ausgebucht.“ In diesem Jahr habe er nicht eine einzige Reservierung für die Saison 2021 erhalten. Nichts ist planbar, selbst die Flugpläne für die kommenden Monate stünden nicht fest. Das Hotel mit 12 Zimmern und 12 Suiten ist die lang erarbeitete Lebensgrundlage der Familie. Und die macht sich nun die größten Sorgen.
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