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Rücktritt des Präsidenten von KosovoKeine Opferrolle mehr

Jana Lapper
Kommentar von Jana Lapper

Kosovos Präsident Thaci ist wegen Kriegsverbrechen angeklagt und will zurücktreten. Für seine politische Läuterung spricht das aber nur bedingt.

Präsident Hashim Thaçi will von seinem Posten zurück treten Foto: Laura Hasani/reuters

A uf den ersten Blick mag es ein Erfolg des Sondergerichts in Den Haag sein, das sich mit Kriegsverbrechen der ehemaligen UÇK-Spitze im Kosovo beschäftigt: Präsident Hashim Thaci will zurücktreten. Laut Anklage seien Thaci, der ehemalige politische Führer der UÇK, und neun weitere Angeklagte für fast 100 Morde und weitere Kriegsverbrechen verantwortlich.

Spätestens mit Thacis Rücktritt muss sich die mehrheitlich albanische Gesellschaft des Kosovo der Frage stellen, welche Schuld sie an dem grausamen Unabhängigkeitskrieg gegen Serbien in den 1990er Jahren trug, in dem über 10.000 Menschen starben. Lange Zeit verharrte man hier in der Opferrolle – doch Opfer und Täter gab es auf beiden Seiten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Der Großteil der kosovarischen Alba­ne­r*in­nen sah das Gericht lange kritisch – es wolle den Befreiungskampf des Kosovo diffamieren.

Thaci, der seit der Unabhängigkeit 2008 im Land die Fäden in der Hand hält, begrüßte die Einrichtung des Gerichts 2015 zunächst: Kosovo könne so den Forderungen des Westen nachkommen und gleichzeitig den gerechten Sieg der UÇK beweisen. Das allein zeigt, wie Thaci das Gericht bewertet: als bloßes Instrument, um die eigene politische Position zu stärken.

Wer jetzt denkt, dass sich Thaci mit seinem Rücktritt reuig und kooperativ dem Gericht stellt und Platz für neue, unbelastet Poli­tike­r*in­nen macht, denkt zu optimistisch. Zum einen hätte er bereits 2010 zurücktreten müssen, als ein Bericht eines Juristen schwere Vorwürfe gegen ihn erhob. Zum anderen hat Thaci mehrfach versucht, die Befugnisse des Sondergerichts zu beschneiden.

Überhaupt ist Vorsicht geboten: Als der ehemalige Ministerpräsident und ebenfalls einstige UÇK-Funktionär Ramush Haradinaj vor dem UN-Tribunal gegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien angehört wurde, kamen wichtige Zeu­g*in­nen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Selbst wenn Thaci nicht so weit geht: Einen Freispruch wird er für sich zu nutzen wissen.

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Jana Lapper
Redakteurin
Jahrgang 1991. Seit 2018 bei der taz, seit 2019 als Redakteurin im Auslandsressort mit Schwerpunkt online und Südosteuropa.
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2 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Auf jeden Fall sollte ein evtl. Beitritt des Kosovo in die EU in unerreichbare Ferne rücken. Gleiches gilt für Serbien!

  • Ich habe es immer so verstanden, dass der Prozess der staatlichen Ablösung des Kosovo gewalttätig war und menschenrechtlich zumindest fragwürdig. Den (jetzt ehemaligen) Staatspräsidenten des Kosovo habe ich immer als Drahtzieher dieser Gewalttätigkeiten wahrgenommen. - Zudem fand dies alles unter den Augen der Europäischen Union statt und wurde von dort häufig wohlwollend kommentiert.

    Meine Einschätzung mag falsch sein. Ich hoffe, das Internationales Gericht wird hier zu einem gerechten Urteil kommen.