Feminismus und Trans* Frauen: Vereinigt euch!
Trans* Rechte gefährden keine Frauenrechte. Tatsächlich machen ihre Perspektiven nicht nur den Feminismus, sondern die Welt besser.
I n den letzten Jahren hat die Sichtbarkeit transgeschlechtlicher und nichtbinärer Menschen zugenommen. Sie fordern selbstbewusst ihr Recht auf gesellschaftliche Akzeptanz ein. Zeitgleich sind nicht wenige Frauen und Feminist*innen besorgt über die Ausweitung der Selbstbestimmungsrechte für trans* Menschen, weil sie dazu führen könnten, dass trans* Frauen feministische Schutzräume missbrauchen. Hieran haben sich heftige Debatten darüber entzündet, wer eine Frau sein darf und was Weiblichkeit bedeutet. Nun melden sich hier eine trans*aktive Politikerin, eine queere Historikerin, eine lesbische Sozialwissenschaftlerin und eine Geschlechterforscherin der Sozialen Arbeit zu Wort.
Die Frage nach Geschlechtszugehörigkeit ist juristisch und naturwissenschaftlich eigentlich längst entschieden. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2011: „Es ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Geschlecht nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern sie wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt.“ Damit haben transgeschlechtliche Menschen das Recht auf körperliche Unversehrtheit; die bis dahin geltende Voraussetzung einer Genitaloperation für Personenstandsänderungen wurde außer Kraft gesetzt. Seitdem ist es in Deutschland rechtlich möglich, dass Frauen einen Penis haben und Männer eine Vulva. Tragischerweise folgte auf diese Rechtsprechung jedoch kein gesellschaftlicher Prozess, in dem Aufklärung und Akzeptanz der Vielfalt körperlicher Unterschiede gefördert wurden. Das muss sich ändern: Die gesellschaftliche Situation muss zur rechtlichen aufschließen.
Es ist nachvollziehbar, dass einige sich durch die zunehmende Sichtbarkeit von trans* Menschen verunsichert fühlen. Wir alle sind in einer Gesellschaft groß worden, in der uns von Geburt an vorgelebt und einverleibt wurde, dass es nur Jungen und Mädchen gibt. An welchen körperlichen Merkmalen beide Geschlechter zu unterscheiden sind, wussten wir nicht erst aus den Biologiebüchern. Dieses kollektive Wissen wird nun infrage gestellt. Denn die Überzeugung, dass nur die zwei – gegensätzlich gedachten – Geschlechter wirklich, echt und natürlich sind, muss im 21. Jahrhundert wissenschaftlichen Erkenntnissen weichen. Ähnlich wie bei der Klimaschutzdebatte werden unbequeme Fakten als „Ideologie“ abgewertet, um diese dann infrage stellen zu können.
Manche Bedenken, insbesondere von feministisch engagierten Frauen, gilt es allerdings ernst zu nehmen: Denn hier werden urfeministische Anliegen tangiert, die auch nach 200 Jahren Frauenbewegungen noch nicht eingelöst sind: Fragen der gleichen gesellschaftlichen Teilhabe und vor allem nach dem Schutz vor Gewalt. Gerade lesbische und feministische Frauen erfahren selbst häufig sexuelle Gewalt und Ausgrenzung. Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für die Rechte und den Schutz von Frauen und haben Räume erkämpft und gestaltet, die Frauen vorbehalten sind. Nun wollen auch trans* Frauen Zugänge zu diesen Räumen, Diskursen und solidarischen Vernetzungen. Gefährden also Selbstbestimmungsrechte von trans* Menschen Frauenrechte? Wer darf eine Frau sein? Und: Mit wem können wir feministische Kämpfe führen?
Es ist jedoch nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, trans* Frauen das Frausein abzusprechen, sie als geschlechtlich abartige Männer darzustellen, die sich unlauter Zugang zu Frauenräumen verschaffen wollen. Diese Entmenschlichung weist starke historische Parallelen auf. Mit ähnlicher Argumentation wurden in der Nazidiktatur homosexuelle, sexualitäts- und geschlechtsnonkonforme Menschen stigmatisiert und ermordet. Die strafrechtliche Verfolgung dauerte bis 1994 an. Und wie so oft entlädt sich Zorn über allgemeine strukturelle Missstände an gesellschaftlich schwächeren Gruppen, die dafür nicht verantwortlich sind. Die cisgeschlechtlichen Männer, die die Statistiken sexueller Gewalt anführen, verschwinden dabei aus dem Blick.
Die aktuelle Debatte stigmatisiert transgeschlechtliche Menschen erneut als vermutliche sexuelle Gewalttäter. Dabei erleben gerade sie vielfach und alltäglich Diskriminierung und Gewalt. Tessa Ganserer teilt die Erfahrung der anderen Autorinnen, nachts auf dem Weg nach Hause verfolgt und körperlich bedrängt zu werden. Für Tessa ist zudem die Vorstellung, wegen ihrer von der Norm abweichenden transgeschlechtlichen Körperlichkeit regelmäßig Anfeindungen zu erleben, der blanke Horror, weshalb sie wie viele andere trans* Personen etwa öffentliche Badeanstalten nicht besucht.
Die Debatte über trans* Rechte dreht sich im Kern um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wir sehen argumentative Parallelen zum Umgang mit Geflüchteten: Wessen Ängste bekommen welchen Raum? Wer erlebt Schutz und Mitgefühl? Und letztlich: Wie halten wir es mit der gesellschaftlichen Vielfalt, auch in feministischen Räumen? Tatsächlich geht es um ein gemeinsames Ziel: eine Gesellschaft, in der weiße, cisgeschlechtliche und heterosexuelle Männer nicht mehr an der Spitze der Privilegien stehen. Ebenso wollen wir keine Körperideale mehr, die einschränken und normieren. Queere Lebensweisen eröffnen Wege aus der binären und hierarchisierten Geschlechterwelt.
Voraussetzung dafür ist nicht nur die Fähigkeit, die Anliegen des je eigenen sozialen Umfelds zu formulieren, sondern es braucht auch selbstkritische Reflexion und gegenseitigen Respekt. Es heißt, alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Dazu muss heute gehören, sich nicht nur für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern einzusetzen, sondern trans* Frauen als das wahrzunehmen, was sie sind: Frauen, und zwar gleich an Würde und Rechten wie alle Frauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen