Berlusconi und Trump – ein Phänomen: Der Trumpusconi-Mythos
Präsident Trump könnte bald Geschichte sein. Nicht aber der Trumpismus. Das lehrt uns das Beispiel seines bekanntesten politischen Vorläufers.
I ch kann mich an jenen Morgen noch sehr gut erinnern. Ich wachte auf, schaltete den Fernseher ein und stellte fest, dass entgegen aller Erwartungen ein großmäuliger, politisch unerfahrener, dennoch sehr kühner Ex-Immobilienmogul mit einer ausgeprägten Medienpräsenz (und einer ebenso ausgeprägten Verachtung für Frauen) plötzlich ein wichtiger Entscheidungsträger der Weltpolitik geworden war. Ich war sprachlos. Wie konnte das geschehen?, fragte ich mich. Wie konnten wir den Aufstieg dieser skurrilen Witzfigur mit ihren dubiosen Bekanntschaften und abenteuerlichen Affären nicht aufhalten – oder zumindest vorhersehen? Lange konnte ich darüber jedoch nicht grübeln. Ich musste in die Schule. Ich war 15 und lebte noch in Italien. Es war 1994. Und das Gesicht, das mich aus allen Bildschirmen anlächelte, war das von Silvio Berlusconi.
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Viele Italiener:innen mussten sich an jenen Tag erinnern, als Donald Trump 2016 vor einer jubelnden Menge im Manhattan Hilton auftrat. „Ich war mein ganzes Leben Unternehmer“, sagte der frisch gekrönte Kandidat – und schien dabei Berlusconis Worte bei seiner ersten Siegesrede 1994 direkt zu zitieren.
Die Ähnlichkeiten zwischen den zwei Figuren sind frappierend. Wie der italienische Medienunternehmer ist Trump ein politischer Outsider. Und genau wie Berlusconi wusste er diese Rolle geschickt zu nutzen. Sowohl Berlusconi als auch Trump haben behauptet, sie seien ins politische Schlachtfeld gezogen, um gegen die korrupte Elite zu kämpfen. Deshalb würden sie gnadenlos verfolgt – von politischen Gegnern, Richtern, dem FBI, dem „Deep State“. In ihrer Selbsterzählung kommen sie einem wie eine Art Messias vor.
Und wie jeder gute Messias kündigten beide Leader den Anbruch einer neuen Ära an, in der die komplexen Dynamiken und Rituale der repräsentativen Demokratie Vergangenheit sein würden; einer Zeit, in der es keine Politiker:innen und Wähler:innen mehr gibt, sondern nur den Leader und sein Volk.
Fabio Ghelli
Jahrgang 1978, ist ein italienischer Journalist, der seit zehn Jahren in Berlin lebt. Er ist Redakteur beim Mediendienst Integration, wo er unter anderem über Asylpolitik und Rechtspopulismus schreibt.
In einer Demokratie muss man verhandeln können, Kompromisse finden. Nicht aber in der „Trumpusconi“-Demokratie. Diese ist in erster Linie ein Wettbewerb. Nicht umsonst benutzen beide gerne Metaphern aus dem Sport (vorzugsweise Fußball oder Golf): Es gibt Winner und es gibt Loser. Und sie gewinnen. Immer.
Tatsächlich scheint Trumpusconi von einer Aura der Unbesiegbarkeit umhüllt. Normale Politiker können aufsteigen und stürzen, sie können sich blamieren, scheitern – und sich bei Bedarf in die Unternehmensberatung zurückziehen. Nicht aber Trumpusconi. Er kann in mehr als 30 Gerichtsverfahren verwickelt werden. Er kann im Zentrum einer FBI-Ermittlung stehen und sich einem Amtsenthebungsverfahren unterziehen müssen. Am Ende steht er immer noch da mit einem breiten Lächeln – und stabilen Umfragewerten.
Trumpusconi scheint unverwundbar. So verpassten italienische und US-Medien unabhängig voneinander dem ehemaligen Regierungschef wie dem aktuellen US-Präsidenten den gleichen Spitznamen: Berlusconi war der „Teflon-Ritter“, Trump ist der „Teflon-Präsident“. Skandale, Blamagen, eklatante Misserfolge: Alles perlt an ihnen ab.
Na ja, nicht alles. Vor neun Jahren trat der „Teflon-Ritter“ zum letzten Mal als Regierungschef vor die Kameras, um seinen Rücktritt anzukündigen. Was weder die Opposition noch die Richter vollbrachten, schaffte die Finanzkrise. Das zeigt: Wie alle mythischen Helden ist Trumpusconi zumindest an einer Stelle verwundbar. Es ist nicht die Ferse und auch nicht die Schulter. Nein. Trumpusconi ist nur verwundbar, wenn er nicht im Mittelpunkt der Berichterstattung steht, sondern als Nebendarsteller zusehen muss, wie sich um ihn herum eine Krise entfaltet, über die er keine Kontrolle hat – sei es die Eurokrise oder die Coronakrise.
Das würde dafür sprechen, dass auch Trump bald seine Teflon-Schicht verlieren wird. Doch wenn es etwas gibt, das wir aus Berlusconis Story lernen können, ist es dies, dass der populistische Leader immer dann am stärksten ist, wenn man ihn unterschätzt. Bevor er 2011 zum letzten Mal abdanken musste, wurde der „Teflon-Ritter“ etliche Male von den Medien als „finito“ erklärt – zum ersten Mal, als seine erste Regierung nach nicht mal neun Monaten zusammenbrach. Fünf Jahre später feierte er einen noch größeren Wahlsieg. Dann wieder 2006, als ihn Romano Prodi zum zweiten Mal schlug. Zwei Jahre später war er wieder an der Macht.
Was ist Berlusconis Geheimnis? Der Starpolitologe Giovanni Sartori hat sich in den letzten Jahren seines Lebens intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Schon vor Beginn seiner politischen Laufbahn, schrieb Sartori, schaffte es der Medienmogul und Politentertainer, aus einer Zuschauerschaft eine Wählerschaft zu machen, die seine Abneigung gegenüber dem Staat, den Gesetzen und den Regeln des politischen Fairplay teilt.
Diese Wählerschaft machte sich dann vom Leader unabhängig. Sie unterstützte zunächst den Aufstieg der neuen Anti-Establishment-„Fünf Sterne Bewegung“ und feierte später den Erfolg des Rechtsaußen-National-Populisten Matteo Salvini. Seit einigen Jahren steckt Berlusconi nun in der verhassten Rolle des Nebendarstellers fest. Trotzdem: Der „Berlusconismus“ ist lebendiger denn je.
Dies ist wahrscheinlich die wichtigste Lehre, die wir aus dem Trumpusconi-Mythos ziehen können. Zwar ist unmöglich vorherzusehen, was passieren wird, wenn Donald Trump abgewählt wird. Unabhängig davon wird der „Trumpismus“ aber weiterleben. Die starke Polarisierung der Gesellschaft, der Hass, der Rassismus, die bewaffneten Milizen und rechtsextremen Gruppen: All diese Dinge werden nicht verschwinden. Sie werden die Gesellschaft nachhaltig prägen. Bis zum nächsten Trumpusconi.
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