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Steigende Infektionszahlen in BerlinRückstand im Gesundheitsamt

Die Gesundheitsämter in den Bezirken gelten als Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie. Aber die steigende Infektionszahlen zeigen die Grenzen auf.

Im Corona-Testzentrum am Ärztehaus Mitte Foto: picture alliance/Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Wenn ein*e Berliner*in positiv auf das Coronavirus getestet wird, sollte es schnell gehen: Das Gesundheitsamt ruft an, fragt nach dem möglichen Infektionsort, nach Kontakten, weist Quarantäne an. Doch seit die Infektionszahlen in Berlin wieder rasant steigen, kommen vor allem die Gesundheitsämter der stark betroffenen Bezirke nicht mehr hinterher: „Die Rückstände in der Fallermittlung und Kontaktnachverfolgung sind zu hoch“, sagt etwa Falko Liecke (CDU), Gesundheitsstadtrat von Neukölln.

Dabei schöpft man in dem Bezirk mit den mit Abstand höchsten Infektionszahlen schon aus dem Vollen: 174 Menschen arbeiten aktuell in der Fallermittlung und Kontaktnachverfolgung, 26 Menschen sollen in den nächsten zwei Wochen noch dazukommen. Es wurden befristete zusätzliche Stellen eingerichtet, Mitarbeiter*innen aus nahezu allen anderen Bereichen der Verwaltung abgezogen; Kräfte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und sogar aus der Bundeswehr arbeiten im Team. „Alles was zwei Beine hat im Gesundheitsamt, macht Pandemie“, sagt Liecke. Das Ziel: „Wieder vor die Lage kommen.“

Ein Hindernis: Für jeden neuen Arbeitsplatz sei ein immenser Vorlauf nötig, klagt der Gesundheitsstadtrat. „Im öffentlichen Dienst bestellen Sie nicht mal eben 50 Rechner.“ Erleichterungen in der üblichen, aufwändigen Vorgehensweise bei Personal- und Materialbeschaffung wären nur per Erlass der Finanzverwaltung möglich, so Liecke.

„Wir sind glücklicherweise noch nicht da, wo Neukölln ist“, sagt der Gesundheitsstadtrat von Tempelhof-Schöneberg, Oliver Schworck (SPD). Doch obwohl die Fallzahlen der letzten 7 Tage mit 95 pro 100.000 Einwohner*innen noch deutlich unter den 173 von Neukölln liegen (Gesundheitsverwaltung, Stand 14.10.2020), hat auch das dortige Gesundheitsamt zu kämpfen. „Wir haben Rückstände, aber sie halten sich noch in Grenzen“, sagt Schworck. Man hole derzeit aus anderen Verwaltungsbereichen das Personal wieder zurück, das während der ersten Welle schon in der Pandemiestelle beschäftigt war.

Rund 200 Stellen unbesetzt

Auch Bundeswehrsoldat*innen würden eingesetzt. „Allerdings muss man hier wie bei allen externen Kräften darauf achten, dass sich Schulungsaufwand und Einsatzdauer die Waage halten.“ Samstags- und Sonntagsarbeit seien im Gesundheitsamt zur Normalität geworden. „Das ist ja nicht in allen Bezirken so, aber nur so können wir tagesaktuell auf das Geschehen reagieren“, so Schworck.

Dass berlinweit rund 200 Stellen in den Gesundheitsämtern unbesetzt seien und Personal trotz finanzierter Stellen schwierig zu finden sei, darauf hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) bereits Ende vergangener Woche hingewiesen. Die mitregierende Linke hatte am Dienstag Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) scharf kritisiert und eine bessere Ausstattung der Gesundheitsämter gefordert.

Die auch von der Linken wieder ins Spiel gebrachte Idee einer zentralen Kontaktnachverfolgungsstelle im Messezentrum ICC sahen zumindest die Gesundheitsstadträte von Neukölln und Tempelhof-Schöneberg wegen des zu erwartenden Koordinationsaufwandes kritisch.

Ohnehin gebe es, so Oliver Schworck, eine organisatorische Grenze bei der Nachverfolgung möglicher Infektionsfälle. „Wir können doch nicht Tausende Menschen irgendwohin setzen, die den ganzen Tag Leute abtelefonieren.“ Sollte das Infektionsgeschehen weiter deutlich zunehmen, müsste die Pandemieeindämmung noch selbstverantwortlicher organisiert werden und der Fokus der Gesundheitsämter auf besonders zu schützende Gruppen gelegt werden, so Schworck.

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