piwik no script img

Sechs Jahre danach: ein Schritt zur Aufklärung

Die mutmaßliche Ermordung von 43 Studenten in Mexiko, von denen seit sechs Jahren jede Spur fehlt, wird neu aufgerollt: Haftbefehle gegen Polizisten, Soldaten und Ermittler

„Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“: Gedenkkundgebung für die 43 Verschwundenen in Mexiko-Stadt, 26. September 2020 Foto: Edgardo Garrido/reuters

Von Wolf-Dieter Vogel

Soldaten, Bundespolizisten, Ermittler – Mexikos Generalstaatsanwaltschaft hat im Fall der 43 verschwundenen Studenten neue Haftbefehle gegen ehemalige Mitglieder des Sicherheitsapparats ausgestellt. Just zum Jahrestag des Verbrechens vom 26. September 2014 erklärte der Präsident Andrés Manuel López Obrador in Mexiko-Stadt, es werde keine Straflosigkeit geben. „Wer nachweislich beteiligt war, wird verurteilt“, betonte der Staatschef am Samstag auf einer Gedenkveranstaltung mit den Angehörigen der Studenten, die vor sechs Jahren in der südmexikanischen Stadt Iguala von Kriminellen verschleppt wurden und von denen bis heute jede Spur fehlt.

Vor den Müttern, Vätern, Brüdern und Schwestern der Lehramtsstudenten informierte der Leiter der staatsanwaltschaftlichen Spezialeinheit für das Verbrechen, Omar Gómez Trejo, über die Maßnahmen seiner Behörde. Demnach wurden 70 Haftbefehle gegen Soldaten, Bundespolizisten, Mitarbeiter der damaligen Generalstaatsanwaltschaft, lokale Polizeibeamte und Kriminelle ausgestellt.

Seit Längerem wird zudem nach dem Polizisten Tomás Zerón gefahndet, der früher die Ermittlungen leitete. Die Haftbefehle gegen die Soldaten gehen auch auf Informationen zurück, die das Verteidigungsministerium (Sedena) dem Staatssekretär für Menschenrechte, Alejandro Encinas, übergeben hat. Die Sedena habe alle angefragten Dokumente über die in Iguala ansässige Kaserne überreicht, sagte Encinas.

López Obrador hatte bei seiner Amtsübernahme 2018 zugesagt, er werde sich für die Aufklärung des Falls einsetzen. Er werde daran festhalten, die „authentische Wahrheit“ herauszufinden, bestätigte er am Samstag mit Blick auf die frühere juristische Verfolgung.

Bereits wenige Monate nachdem Polizisten und Mitglieder der kriminellen Organisation „Guerreros Unidos“ die Studenten angegriffen hatten, hatte Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam den Fall mit Unterstützung des ermittelnden Beamten Zerón für aufgeklärt erklärt: Die jungen Männer seien auf einer nahegelegenen Müllhalde verbrannt worden. Das sei die „historische Wahrheit“, sagte er. Eine Verstrickung föderaler Kräfte schloss er aus.

Angehörige sowie Menschenrechtsverteidigerinnen bezweifelten jedoch diese Version vom Tathergang. Auch eine Expertengruppe der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (GIEI) kam zu dem Schluss, dass es für diese These keine Beweise gebe. Die Journalistin Anabel Hernandez lieferte Hinweise dafür, dass Militärs, lokale sowie Bundespolizisten und die Guerreros Unidos gemeinsam gegen die Studenten vorgegangen waren, um einen Herointransport zu schützen. Auch die GIEI schloss diesen Tat­hintergrund nicht aus. Die damalige Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto verhinderte jedoch, dass diese Spur weiterverfolgt werden konnte. Die Experten durften beispielsweise nicht mit Soldaten sprechen und nicht die Kaserne von Iguala besuchen.

López Obrador gründete als neuer mexikanischer Präsident 2018 eine Wahrheitskommission mit Angehörigen, Menschenrechtsorganisationen und staatlichen Vertretern. Zwar bestätigen alle Beteiligten eine gute Zusammenarbeit, dennoch konnte bis heute lediglich der Tod von zwei Studenten aufgrund von aufgefundenen Knochen bestätigt werden.

Wie schon traditionell am 26. jeden Monats gingen die Angehörigen auch am sechsten Jahrestag des Angriffs in Mexiko-Stadt auf die Straße. Gemeinsam mit mehren hundert Mitstreiterinnen und Mitstreitern forderten sie Aufklärung und riefen: „Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück.“ Man demonstriere trotz der Pandemie, erklärte Anwalt Vidulfo Rosales. „Das Wichtigste ist, dass wir die 43 nicht bei uns haben“, sagte er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen