Ziviler Ungehorsam in Berlin: „Wir können nicht länger warten“

Wenn die Politik keine sicheren Radwege baut, dann machen wir das selbst, sagen Laila, 24, und Kim, 51, von der Gruppe „Sand im Getriebe Berlin“

Aktivisten des Aktionsbündnisses Sand im Getriebe fahren mit Fahrrädern am Kanzleramt vorbei. «Andi B.Scheuert gehört gefeuert» steht auf dem Karton eines Radfahrers.

AktivistInnen von Sand im Getriebe beim Protest gegen den „Autogipfel“ am 8. September am Kanzleramt Foto: Annette Riedl/dpa, Warming Stripe: showyourstripes.info

Das Bündnis „Sand im Getriebe“ hat im vergangenen Jahr die internationale Automesse IAA in Frankfurt/M. mit zivilem Ungehorsam blockiert. Jetzt wollt ihr als „Sand im Getriebe Berlin“ die Verkehrswende nach Berlin tragen – warum das?

Kim: Verkehrswende beginnt im Lokalen: Eine Stadt wie Berlin ist komplett vom Autoverkehr dominiert – das können wir nur hier vor Ort ändern: Mit Fahrradwegen, mehr Bus- und Bahnverkehr und eben dadurch, dass wir Autos systematisch Platz wegnehmen. Das wollen wir mit unseren Aktionen erreichen, hier in Berlin.

Laila: Das ist dann nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für alle Menschen, die hier leben und dem Autolärm, den Abgasen und den Gefahren ausgesetzt sind.

Aber Berlin hat doch schon ein Mobilitätsgesetz, Pop-Up-Bikelanes und sogar ein Stück autofreie Straße in Mitte...

Kim: Die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes kommt überhaupt nicht voran: In elf von zwölf Bezirken tut sich so gut wie nichts – und die PopUp-Radwege in Kreuzberg will die AfD uns jetzt mit rechtlichen Tricks wieder wegnehmen. Die Klimakrise hat aber jetzt schon schreckliche Ausmaße angenommen – da können wir nicht länger warten. Weil die Regierung und die Verwaltungen versagen, nehmen wir jetzt die Verkehrswende selbst in die Hand.

Laila: Viele Menschen können sich die Stadt ohne Autos einfach gar nicht vorstellen. Wir wollen mit kreativen, ungehorsamen Aktionsformen schon mal zeigen und erlebbar machen, wie schön Berlin ohne Autos sein kann.

Ist das euer Ziel: eine Stadt ganz ohne Autos? Wie soll das funktionieren?

Laila: Wir wollen vor allem eine Stadt für Menschen: In der alle sicher von A nach B kommen können. Das heißt: mehr Platz fürs Radfahren, zu Fuß gehen und für den ÖPNV. Und natürlich keine Autos mehr, klar! Aber das kann nur ein erster Schritt sein. Um die Klimakrise zu stoppen, brauchen wir ein generelles Verbot von Verbrennungsmotoren und den konsequenten Rückbau der Autoindustrie. Das wird nicht leicht, denn die Lobby der kriminellen Autoindustrie von VW und Co. ist in Deutschland unglaublich stark. Aber spätestens der Dieselskandal hat ja gezeigt, dass es mit diesen Konzernmanagern keine Lösung für Klimaschutz geben kann – sondern nur gegen sie.

Die Gruppe erreicht man über Twitter: @BerlinSig

Die Autorin Lara Eckstein organisiert Kampagnen zu Klimagerechtigkeit und fährt Fahrrad in Berlin.

Kim: Auch Elektroautos sind keine Lösung. Wir müssen weg vom motorisierten Individualverkehr, der unsere Städte verstopft und die Privilegien der Reichen sichert. Wir wollen, dass in der Giga-Factory von Tesla in Grünheide nur noch Elektrobusse und -lieferwagen gebaut werden – also, nach der Vergesellschaftung natürlich (lacht).

Was für Aktionen habt ihr schon gemacht? Und was sind weitere Pläne?

Laila: Es gab Aktionen von Sand im Getriebe hier in Berlin, bei denen wir nachts Pop-Up-Radwege selbst aufgebaut haben, in Neukölln und im Wedding. Das geht wirklich ziemlich einfach – man darf sich nur nicht erwischen lassen.

Kim: Weil wir solche ungehorsamen Aktionen hier in Berlin verstetigen wollen, haben wir dann vor Kurzem den Gründungsprozess für die Berliner Ortsgruppe von Sand im Getriebe gestartet. Unsere erste Aktion war ein „Noise Ride“: eine Fahrraddemo gegen den Autogipfel um dagegen zu protestierem, wie Kanzlerin Merkel die Autolobby hofiert.

Illegale aufgebaute Radwege verschwinden meist am nächsten Tag wieder – wie wollt ihr mit Euren Aktionen langfristig etwas verändern?

Laila: Mit Beharrlichkeit (lacht). Wenn wir immer wieder Aktionen machen und zeigen, wie leicht es gehen kann mit der Verkehrswende, dann können wir den Senat und die Bezirke unter Druck setzen. Unser Ziel ist es, lauter und nerviger zu sein als die ewiggestrigen Autofans, die die Verkehrswende immer noch blockieren.

Kim: Es geht auch um Selbst-Empowerment: Wir wollen zeigen, dass wir keine Lust mehr haben, giftige Luft zu atmen und beim Radfahren unser Leben zu riskieren. Mit unseren direkten Aktionen zeigen wir: Wenn ihr keine sicheren Radwege baut, dann machen wir das selbst. Und wenn ihr denkt, ihr könnt weiter mit Eurem Auto die Stadt blockieren, dann nehmen wir Euch den Platz dafür weg.

Nun gibt es ja schon viele Fahrrad- und autofrei-Initiativen in Berlin – braucht es Euch da überhaupt noch?

Laila: Es ist toll, dass es so viele Initiativen für Radwege und autofreie Kieze gibt – aber den großen Wurf haben die bisher nicht gebracht. Das Mobilitätsgesetz war ein guter Ansatz, aber es wird nicht umgesetzt. Jetzt sind viele ratlos, weil sie mit Unterschriften und angemeldeten Demos allein nicht weiterkommen. Wir gehen da einfach den logischen nächsten Schritt: wir leisten zivilen Ungehorsam, um den Druck zu erhöhen.

Kim: Wir haben schon Erfahrung mit Aktionen des zivilen Ungehorsams – mit Ende Gelände gegen Kohle oder vergangenes Jahr bei der IAA-Blockade in Frankfurt (a.M., Anmerkung der Redaktion). Jetzt zeigen wir in Berlin, wie das mit Verkehrswende geht.

Die nächste IAA-Messe findet nächstes Jahr im September in München statt, kurz vor der Bundestagswahl – gibt es dazu beim bundesweiten Bündnis von „Sand im Getriebe“ schon Pläne?

Kim: Fast ein bisschen schade, dass die Automesse nicht nach Berlin kommt (lacht). Aber klar, dann fahren wir halt nach München. Inmitten der Klimakrise noch eine Messe zu veranstalten, bei der Verbrennermotoren vergöttert werden und eine kriminelle Klimakiller-Industrie den roten Teppich ausgelegt bekommt – das geht wirklich gar nicht!

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