„Ende Gelände hat mir die Augen geöffnet“

Ein Gespräch mit Joanie Lemercier, der seine Bildkunst in den Kontext des Klimaaktivismus stellt

Foto: PR

Joanie Lemercier ist ein französischer Künstler und vor allem für seine Lichtprojektionen international bekannt. Seit 2015 befindet sich sein kreatives Studio in Brüssel. www.joanielemercier.com

Klima-taz: Joanie, was war der Auslöser bei dir, dich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen?

Joanie Lemercier: Die jungen Menschen und die Aktivisten von Ende Gelände haben im vergangenen Jahr einfach gehandelt. In meinem bisherigen Leben, ich bin jetzt 37, wusste ich nicht, was ich tun kann. Ich habe geglaubt, monatlich Greenpeace einen bestimmten Betrag zu überweisen, wäre schon das Beste. Als ich sah, wie die jungen Menschen hoch motiviert in den Tagebau hinuntergingen und zivilen Ungehorsam leisteten, habe ich gemerkt, dass ich genau das eigentlich schon mein ganzes Leben lang hätte tun sollen. Tatsächlich habe ich aber im Vergleich dazu nichts von Bedeutung gemacht. Ich fühle mich deshalb sehr schuldig. Ehrlich gesagt, ich hatte keine Ahnung, dass der größte Kohletagebau Europas gerade mal zwei Stunden Fahrtzeit von Brüssel entfernt ist und von vier Kohlekraftwerken umringt wird, die so eine zerstörerische Auswirkung durch ihre Emissionen auf die Gesundheit haben. Das ist unglaublich! Ende Gelände hat mir die Augen geöffnet, welches Ausmaß an Zerstörung wir vor den Toren unserer Städte haben.

Glaubst du, deine Kunst kann die Menschen bewegen, sich für den Klimaschutz einzusetzen?

Ich mache Visuals, Bildkunst. Anfangs war der Klimaaktivismus noch getrennt von meiner künstlerischen Arbeit. Aber jetzt glaube ich, beides funktioniert sehr gut zusammen. Ich arbeite gerade an einem experimentellen Film über den Hambacher Forst, der auf dem Climate Camp in Aachen gezeigt wird. Diese Art der künstlerischen Auseinandersetzung bedeutet, in ständigem Austausch zu sein. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir anfangen, wirklich miteinander zu sprechen. Der Hambacher Tagebau ist auch deshalb interessant, weil du die dystopische Zukunft dort siehst. Du siehst, wie alles verschwunden ist. Im Hambacher Forst gab es 140 Arten. Jetzt stirbt der Wald. Ich denke, die Jugend wird uns Vorhaltungen machen, warum wir nichts dagegen unternommen haben. Ich gestehe, ich war egoistisch in Bezug auf meinen Energiekonsum. Ich habe mich nicht einmal gefragt, woher überhaupt die Energie kommt, die ich verbrauche. Sie kommt aus den zerstörten Orten zwei Stunden von Brüssel entfernt.

Welche Möglichkeiten hat die Kunst, Menschen zum Handeln zu motivieren?

Ich glaube, dass Bild- und Fotokunst etwas sehr Starkes vermitteln können. Mit der Droh­nen­technologie und Laserprojektion können wir neue Dinge ausprobieren und neue Bilder erschaffen. Mit den Projektionen können wir vielleicht auch ein anderes Publikum erreichen, das die Ästhetik der Projektion mag. Sie lesen dann die Botschaften. Gefühle spielen bei der ganzen Sache eine große Rolle. Kunst vermittelt Gefühle, oft besser als andere Medien. Ich hoffe, meine Kunst kann eine Botschaft, eine Idee vermitteln. Ich fühle Verwüstung oder Zerstörung, wenn ich die Rauchwolken über dem Rheinland aufsteigen sehe. Ich sehe mich selbst jetzt als Klimaaktivisten und arbeite mit anderen Visual­künstler*in­nen oder Ak­tivist*in­nen zusammen. Wer sich mir anschließen möchte, kann auf meine Website gehen und sich bei mir melden. Es ist sehr wichtig, Gruppen zu finden, mit denen man gemeinsam aktiv sein kann. So schaffen wir neue Communitys. Interview: Kathy Ziegler