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heute in hamburg„Es gab eine Vielzahl an Täter*innen“

Führung: denk.mal Hannoverscher Bahnhof - Erkundung eines historischen Ortes, um 18 Uhr am Info-Pavillon der Gedenkstätte im Lohsepark, Anmeldung per Mail an: stiftung@gedenkstaetten.hamburg.de

Interview Regina Seibel

taz: Frau Grandke, in der Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof werden regelmäßig Führungen angeboten. Wer besucht die?

Sarah Grandke: Es kommen Leute aus der Hafencity und Hamburg, aber auch Tourist*innen. Ebenso haben wir Besuch von Angehörigen, Nachkommen und wenigen Überlebenden aus allen Teilen der Welt. Da erhält man einen ganz persönlichen Eindruck. Am letzten Wochenende hatte ich Besuch von einem Nachkommen einer Person, die über den Hannoverschen Bahnhof nach Minsk deportiert wurde.

Hören Sie auch kritische Stimmen?

Natürlich gibt es auch Kritik, zum Beispiel daran, wie ein Ort gestaltet ist oder welchen Gruppen gedacht wird und welchen nicht. Das ist aber nicht schlecht: Ich finde es toll, wenn die ganze Gruppe über so ein Thema diskutieren kann. Persönlich habe ich es noch nicht erlebt, dass jemand gesagt hätte, man bräuchte solche Orte nicht oder sie wären übertrieben.

Welche Rolle hat Hamburg in der NS-Zeit gespielt?

Am Hannoverschen Bahnhof sind Jüd*innen, Sinti und Roma deportiert worden, aber auch andere NS-Verbrechen lassen sich hier exemplarisch für ganz Deutschland nachweisen. Die Mehrheitsbevölkerung war involviert und hat zum Teil weggeschaut oder Dinge befeuert. Es gab eine Vielzahl an Täter*innen aus Hamburg, auch Polizist*innen und andere Leute, die man normalerweise in der Öffentlichkeit nicht als Nazi-Täter*innen wahrnimmt.

Wie liefen die Deportationen am Hannoverschen Bahnhof ab?

Foto: Kati Jurischka Fotografie

Sarah Grandke

31, ist seit 2018 im Ausstellungs-team der Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof.

Das war je nach Zeitpunkt und je nach Gruppe verschieden. Es gab über 20 große Deportationen, wo bis zu 1.000 Menschen in Zügen untergebracht und beispielsweise nach Theresienstadt oder Riga deportiert wurden. Die mussten sich zuerst an der Moorweide treffen und wurden dann zum Bahnhof gebracht. Die späteren Deportationen waren kleiner: Das waren 20 bis 50 Leute. Teilweise können wir Einzeltransporte nachweisen.

Was ist Ihnen an Ihren Führungen besonders wichtig?

Neben den Schicksalen der Verfolgten wollen wir die aller Beteiligten beleuchten. Ebenso ist es wichtig, über die Zielorte, Konzentrations- und Arbeitslager oder Ghettos, zu sprechen, denn sie waren sehr unterschiedlich: Von ihnen hing ab, ob es überhaupt eine Überlebenschance für die Deportierten gab.

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