: Das stinkt nach altem Fisch
Werder Bremen verliert zum Auftakt der neuen Bundesliga-Saison vor 8.400 Zuschauern verdient 1:4 gegen Hertha BSC. Die aktive Fanszene boykottierte das Spiel
Von Ralf Lorenzen
An einer Fußgängerampel am Bremer Osterdeich wollte eine kleine Radfahrerin von ihrer Mutter wissen, warum die Leute so schlechte Laune haben. „Werder hat verloren“, lautete die Antwort, die offensichtlich einer weiteren Erklärung bedurfte: „Die Fans wollen immer, dass ihre Mannschaft gewinnt“, schob die Mutter nach.
Auf gute Laune auf dem Heimweg warten heimische Besucher*innen des Weserstadions nun schon seit einem Jahr. Im letzten Spiel der vergangenen Saison hatte es zwar ein rauschhaftes 6:1 gegen den 1. FC Köln gegeben, das das Tor zum Klassenerhalt noch einmal aufstieß – da waren aber noch keine Zuschauer*innen zugelassen.
Nach einer sieg- und torreichen, weitgehend verletzungsfreien Vorbereitung waren erstmals wieder 8.400 Zuschauer*innen erwartungsfroh an den Osterdeich gepilgert. „Wir sind unglaublich heiß darauf, dieses Jahr jedem zu zeigen, für welchen Fußball wir stehen wollen und wie hungrig wir sind“, hatte Trainer Florian Kohfeldt gesagt. Und dann bekamen sie doch wieder den gleichen Trott aus fahriger Abwehr, fehlerhaftem Aufbau und fehlender Torgefahr zu sehen.
Werder Bremen nutze den Beschluss der Ministerpräsidenten, bis zu zwanzig Prozent der Zuschauerkapazität unter strengen Hygieneauflagen wieder auslasten zu können. So galt auf dem Weg zu den Sitzplätzen Maskenpflicht und für den Einlass mussten individuell zugewiesene Zeitfenster eingehalten werden. Die Karten waren kurzfristig unter Dauerkarteninhaber*innen verlost worden. Vierzig Fans aus Cloppenburg mussten dennoch kurzfristig zu Hause bleiben, weil der Grenzwert für Neu-Infektionen im Landkreis überschritten worden war.
Gar nicht bemüht um Karten hatte sich die aktive Fanszene. Sie blieb ihrem, auf einem Transparent vor dem Fanshop verkündeten Motto „Against Corona Football“ treu. „Die Möglichkeit für Ultragruppen und Fanclubs, organisiert im Stehplatzbereich präsent zu sein, ist für uns essentieller Bestandteil eines Stadionbesuchs“, heißt es auf der Website der Ultra-Gruppe „Infamous Youth“.
Da, wo die Ultras sonst verlässlich ihre Unterstützung organisieren, fielen die Lücken in den provisorisch errichteten Sitzreihen besonders ins Auge. Die zugelosten Platzhalter in der Ostkurve versuchten zwar besonders tapfer, die gewohnte Stadionatmosphäre zu simulieren, Ansätze von Bundesliga-Stimmung verpufften aber am zerfahrenen Spielgeschehen. Vor und während des Spiels gab es laute Anfeuerungen, später Pfiffe. Die Abstände zwischen den Paaren oder Kleingruppen waren aber zu groß, um die Funken überspringen zu lassen.
Den nötigen Resonanzraum bot die löchrige Kulisse dagegen für diverse Einzeldarsteller, die merkten, dass ihr kräftiges Organ kurvenübergreifend hörbar war. Für die eine oder andere glockenklare Schiedsrichterbeleidigung wären die Rufer von jedem Dorfplatz verwiesen worden. Konstruktiv nutzte die akustischen Möglichkeiten ein Strohhutträger der Südtribüne, der nach einer halben Stunde aufstand und der bis dahin ungefährlichen Mannschaft ein beherztes „Mehr Abschlüsse!“ zurief. Kurz darauf passte Manchester-United-Leihgabe Tahith Chong auf Josh Sargent, der scharf aufs kurze Eck schoss, in das Hertha-Torwart Schwolow aber rechtzeitig sprang.
Als die verunsicherten Bremer in der 69. Minute zur nächsten Torchance kamen, die Davie Selke mit dem Kopf verwertete, lagen sie nach drei einfach herausgespielten Gegentreffern schon fast aussichtslos hinten. Der Ex-Herthaner Selke jubelte dennoch so ausgelassen, also ob er ein volles Stadion und den Siegtreffer imaginieren würde.
„Wir haben den Schalter“ nicht gefunden, sagte Trainer Kohfeldt nach dem Spiel. Es muss mehr als ein Schalter umgelegt werden, um diese schläfrige Mannschaft zu wecken, bevor sie wieder in höchster Not steckt. Am kommenden Samstag tritt Werder bei Schalke 04 an.
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