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Feministische Blicke auf BerlinGlücklicher und weiblicher

Wie könnte eine nichtsexistische Stadt aussehen? Darum geht es in der Ausstellung „Eine feministische Perspektive für Berlin heute!“.

Dorothea Nold, „Mont Fermott“ (Detail). Er könnte über das Humboldt Forum wuchern Foto: Ceren Saner

Was wäre, wenn? Was wäre, wenn sich mitten in Berlin aus der Asphaltebene plötzlich ein pflanzenbewachsener Hügel erheben würde, von Ranken umwuchert, mit Rosensträuchern bedeckt, von Palmen bekrönt – eine riesige grüne fruchtbare Brust?

Diese Brust, sie würde weit über die starre Traufhöhe der Stadt hinausragen, über die sandsteinernen Kisten von Zeughaus und Dom, jede für sich Bollwerk der Monarchie, des Preußentums, eines patriarchalen Gestern. Man würde unter ihren Schlingpflanzen noch den künstlichen Stuck des rekonstruierten und bereits zerfallenen Stadtschlosses erkennen. In ihrem Inneren würde gewohnt, gemeinschaftlich, kooperativ und bezahlbar. An ihrem Äußeren erholte man sich von Staub und Straßenlärm.

Was wäre das zerfallene Berliner Stadtschloss als Stadtdutte, als feministischer Trümmerberg? Es wäre eine Antwort auf das heutige Fehldenken in der Stadt. Es wäre ein gemeinschaftliches, ökologisches und ästhetisches Gegenmodell zu der noch immer kolonialen, elitären und rückwärtsgewandten Bebauung Berlins.

Schon 2025, so spekuliert die Künstlerin Dorothea Nold, könnte dieser Mount Fermott an der Stelle des Humboldt Forums emporwuchern. Und Berlin könnte ein bisschen glücklicher und ein bisschen weiblicher sein.

Spekulative Visionen

Könnte. Denn in der Ausstellung „Eine feministische Perspektive für Berlin heute! Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?“ bei alpha nova & galerie futura kann trotz Ausrufezeichen und „heute“ im Titel zunächst nur spekuliert werden.

Feministische Perspektive

alpha nova & galerie futura, Am Flutgraben 3, Mi.–Sa., 16-19 Uhr, bis 19. 9. Programm: www.galeriefutura.de, u.a.:

4. 9., 19 Uhr, Filmabend: Kreuzberger Mieter*innenproteste damals und heute; Gespräch mit den Regisseurinnen Cristina Perincioli und Angelika Levi.

5. 9., 14–19 Uhr, Symposium: Eine feministische Perspektive für Berlin heute!

19. 9.: 14–16 Uhr, Stadtspaziergang: f_audiowalk. Konzipiert von fem_arc.

Spekulation aber ist für die Künstler:innen dieser kleinen und konzentrierten Ausstellung ein emanzipatorisches Instrument und ein Wirklichkeitsfühler: Feilschend schauen sie hier in sechs Arbeiten auf die Stadt Berlin. Stellen sich vor, was in ihren Straßen sein könnte, und zeigen im gleichen Zuge auf, was in ebendiesen Straßen jetzt fehlt, wenn nicht sogar kräftig schiefläuft.

Dass in Berlins jüngerer Geschichte etwas kräftig schiefgelaufen ist, vermerkt Ina Wudke in ihrer simplen wie scharfsinnigen Installation „Clara-Zetkin-Allee“. Wudke stellt ein gewöhnliches Straßenschild mit dem Namen der Friedensaktivistin, Kommunistin und 1920 ersten gewählten Frau in einem deutschen Parlament in die Galerie. In Berlin gibt es eine solche Straße nicht.

Hat es aber mal gegeben, in der heutigen Dorotheenstraße. Kanzler Helmut Kohl wollte auf der Adresse des neuen Bundestags nicht den Namen einer Kommunistin sehen und ließ die Clara-Zetkin-Straße unter Missachtung der üblichen Amtswege nach der Kurfürstin Dorothea umbenennen. Jetzt wartet Ina Wudkes Schild der Clara-Zetkin-Allee auf seinen Einsatz.

Orte der Bedrohung

Überhaupt die Straße, sich in ihr frei bewegen zu können, ist ein Privileg. Denn der öffentliche Raum ist für viele Frauen, LGBTIQ*, Migrantinnen oder People of Color auch Ort der Bedrohung. In ihrer sensiblen Soundinstallation „Sonic Body Map“ durchläuft Banu Çiçek Tülü die Berliner Orte, an denen sie als Frau diese Bedrohung selbst erfahren hat.

Die verbalen Angriffe hört man auf ihren Fieldaufnahmen nicht, aber Puls und Herzschlag der Bedrängten dringen durch die üblichen Stadtgeräusche hindurch. Eine unsichtbare körperliche Reaktion wird nachspürbar – und sie ist heftig.

„Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?“, fragte sich auch die US-amerikanische Stadthistorikerin und Architektin Dolores Hayden 1981 in einem Aufsatz, der theoretische Grundlage dieser Ausstellung ist. Sie müsse „in ihrer architektonischen Gestaltung und ökonomischen Organisation traditionelle Vorstellungen von Nachbarschaft, Wohnen und Arbeiten überwinden“.

Männer wie Frauen sollten „gleichermaßen in die unbezahlten Tätigkeiten von Hausarbeit und Kindererziehung einbezogen werden“ und die „sozial-räumliche Segregation von Klassen, ‚Race‘ und Altersgruppen“ solle beendet werden.

Dichtes Fürsorgenetz

In der kartografischen Installation fem*MAP BERLIN – das Ergebnis eines Rechercheseminars an der TU Berlin – sind Haydens Gedanken auf den Berliner Stadtplan überführt. Eine Care-Insel im Wedding, auf der sich selbst organisierte und institutionelle Care-Arbeit zu einem dichten Fürsorgenetz verknüpft.

taz plan im exil

Da die Kulturbeilage taz Plan in unserer Printausgabe derzeit pausiert, erscheinen Texte nun vermehrt an dieser Stelle. Mehr Empfehlungen vom taz plan: www.taz.de/tazplan.

Oder Schnellfahrradwege anstelle von Autostraßen, ein nachts belebter Tiergarten und ganze Viertel gemeinschaftlichen und bezahlbaren Wohnens bilden ein feministisches Berlin für die Zukunft. Eine spekulative Vision, die als tatsächlicher Stadtplan an der Wand schon einen Anflug von Realität erhält.

„Millionen wütender und aufgebrachter Frauen“, schreibt Dolores Hayden in ihrem Aufsatz, seien in den 1950er Jahren im eigenen suburbanen Heim mit Beruhigungspillen behandelt worden. Eine Arzneimittelfirma habe solche Pillen sogar mit dem Slogan umworben: „Sie können ihre Umgebung nicht ändern, aber ihre Laune.“

Umgekehrt hält es alpha nova & galerie futura mit dieser Ausstellung. Frei übersetzt: „In unseren Köpfen können wir die Umgebung ändern, dann klappt’s auch mit der Laune.“

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4 Kommentare

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  • Geteilte Arbeit

    ‚Männer wie Frauen sollten „gleichermaßen in die unbezahlten Tätigkeiten von Hausarbeit und Kindererziehung einbezogen werden“ und die „sozial-räumliche Segregation von Klassen, ‚Race‘ und Altersgruppen“ solle beendet werden.‘

    Eine sympathische Vision.

    Ich würde weiter ausführen: Nicht Erwerbsarbeitslosigkeit der einen und Überarbeit der anderen, sondern Erwerbsarbeitszeitverkürzung für alle – und parallel ein wachsender Sektor an (krisensicherer) Hausarbeit, Eigenarbeit und Gemeinschaftsarbeit: klassische Hausarbeit, Kindererziehung, aber auch z.B. das Installieren von Solardächern und andere Reparaturarbeiten in Nachbarschaftshilfe u.v.m.. Diese Arbeiten sind machen unabhängiger vom Lohnarbeitssektor, sind ‚krisensicher‘, stärken Gemeinschaften, und sind individuell (nicht selten) befriedigender als hocharbeitsteilige Lohnabeit. Durchaus Aufteilung der unangenehmeren Putzarbeiten zwischen den Geschlechtern, auch der bereichernden Kindererziehung; aber diese Tätigkeiten müssen nicht alle 1:1 zwischen den Geschlechtern aufgeteilt sein, spezifische Interessen und Kompetenzen variieren.

    Die Autorin sollte m.E. mit in Betracht ziehen: daß der Umsetzung dieser Forderungen nicht nur Phantasielosigkeit und Kräfte der Beharrung entgegen stehen, sondern auch politische Kräfte, die sich als ‚fortschrittlich‘ verstehen: Die segregierenden Tendenzen der Identitätspolitik und des Intersektionalismus sind unübersehbar, Abschottung der Stämme und abwertendes ‚Othering‘ der anderen.

  • Die Straße als Privileg

    „Überhaupt die Straße, sich in ihr frei bewegen zu können, ist ein Privileg. Denn der öffentliche Raum ist für viele Frauen, LGBTIQ*, Migrantinnen oder People of Color auch Ort der Bedrohung.“

    Das hat zweifellos einen wahren Kern – es gibt diese Fälle, wo einzelne vorsichtig sein sollten, in bestimmten Stadtteilen, in bestimmten Landesteilen, zu bestimmten Tageszeiten. Und das ist ein Problem.

    Aber die Artikulation der Problematik ist mir zu ideologisch und zu absolut – es ist nicht so, daß der GESAMTE öffentliche Raum eine Bedrohung wäre. Das ist einfach übertrieben. Und es ist auch nicht so, daß nur die von ihr aufgezählten Gruppen davon betroffen sind. Alte Menschen generell, egal welchen Geschlechts, sind gut beraten, in manchen Stadvierteln, zu manchen zu sein. Tageszeiten vorsichtig zu sein. Und es ist auch keineswegs so, daß im Falle akuter Bedrohung der Täter immer ein ‚weißer Mann‘ ist.

    Die interessanten Gedanken der Autorin leiden unter der Artikulation dieser Gedanken im Korsett einer Ideologie.

  • Sorry, aber dieser kleine Text bringt die Denke vieler TAZ-Auitor_innen der letzten Monate einfach auf den Punkt: Wer sich darüber echauffiert, dass die Bebauung Berlins immer noch "kolonial, elitär und rückwärtsgewandt" ist, sollte vielleicht eine Petitionen für den Abriss der kompletten Gründerzeitbebauung und aller innerhalb der Monarchie erbauten Sehenswürdigkeiten starten - einschließlich des zum Fernhalten der Fremden erbaute Brandenburger Tor und den als kurfürstlichen Reitweg angelegten Kudamm. Das sollte natürlich auch den Abriss der kolonial geprägten Innenstadt von Paris beinhalten - mit Ausnahme des Centre Pompidou natürlich - ferner die Beseitigung von Rom und Athen, also zwei Städten, von denen ausgehend der gesamte Mittelmeerraum kolonisiert wurde.

    • @Achim Kniefel:

      Hmm, auch sorry, aber dein kleiner Text wiederum bringt die Denke und Argumentationsstrategie vieler larmoyanter Zustandsverteidiger auf den Punkt: den Gegner*innen hegemonialer Außenarchitektur mit pathetischer Geste einen Vernichtungsfeldzug gegen die abendländische Kultur zu unterstellen, während jene gerade mal EINEN alternativen Gestaltungsvorschlag eingereicht haben. Der in meinen Augen übrigens der bisher konzeptionell und ästhetisch überzeugendste in der ganzen Stadtschlossdebatte ist...