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Gewalt gegen Medienschaffende in MexikoJournalisten im Fadenkreuz

Ein mexikanischer TV-Reporter verstirbt nach einer Festnahme auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Polizei weist jede Schuld von sich.

Hier starb der Journalist Juan Nelcio Espinoza: Gefängnis von Piedras Negras (Aufnahme von 2012) Foto: afp

Was geschah mit Juan Nelcio Espinoza Menera? Folgt man den Angaben der Polizei, starb der mexikanische Journalist am vergangenen Freitag auf dem Weg ins Krankenhaus, weil er Atemprobleme hatte. Schenkt man den Angehörigen des Mannes Glauben, wurde er von den Sicherheitskräften brutal ermordet. Fest steht nur eins: Der Reporter des Onlinesenders Valedor TV in der Grenzstadt Piedras Negras wurde bei einer Kontrolle festgenommen, während Kriminelle gerade bewaffnet Polizisten angriffen. Die Beamten brachten ihn zur Staatsanwaltschaft und danach ins Krankenhaus. Dort konnten die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen.

Espinoza, bekannt unter dem Namen „El Valedor“, sei zusammen mit einem weiteren Journalisten unterwegs gewesen und habe in betrunkenem Zustand Polizisten verbal und körperlich angegangen, erklärte das Innenministerium. Nach der Festnahme habe er plötzlich Probleme beim Atmen bekommen. Kein Wort verlor die Behörde über mögliche Gewaltanwendungen der Polizei.

Lorenzo Menera, ein Angehöriger des Gestorbenen, sprach dagegen auf einer Pressekonferenz von Folter und zeigt zahlreiche Fotos eines geschundenen Körpers, die diese Vorwürfe beweisen. „Wenn Journalisten Themen recherchieren, die der Regierung lästig sind oder mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben, werden sie bedroht, eingeschüchtert oder sogar ermordet“, erklärt ein Sprecher auf einer Demonstration gegen den tödlichen Angriff. Der Reporter hatte kurz vor seiner Festnahme über die Schießereien in Piedras Negras berichtet.

Dass sofort die Frage nach den Hintergründen des Falls aufkommt, liegt nahe. Mexiko zählt zu den gefährlichsten Ländern für Medienschaffende. 133 Journalistinnen und Journalisten starben seit 2000 eines gewaltsamen Todes, dieses Jahr waren es mindestens vier. Meist wurden sie Opfer von Kriminellen, Polizisten oder Militärs, die mit dem organisierten Verbrechen kooperierten.

Kriminelle Verbindungen

Nach dem Tod Espinozas forderte deshalb das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte eine „schnelle, effektive, unparteiische und vollständige Aufklärung des Vorfalls“. Es müsse geprüft werden, ob die Tat auf die publizistische Arbeit Espinozas zurückzuführen sei, ergänzte die mexikanische Menschenrechtskommission am Dienstag. Offensichtlich habe es Ungereimtheiten von Seiten der Behörden gegeben, die in den Fall involviert seien.

Wer in Städten wie Piedras Negras mit wem und gegen wen agiert, ist schwer zu sagen. Häufig kooperieren Polizeieinheiten und Zollbeamte mit einer kriminellen Organisation und gehen deshalb gegen andere vor. In den Grenzregionen zu den USA kämpfen Kartelle mit besonderer Härte um die Kontrolle der „plaza“, wie die Orte genannt werden, in denen sie Drogen schmuggeln, Schutzgeld erpressen und anderen Geschäften nachgehen.

Als „El Valedor“ festgenommen wurde, tobten in Pie­dras Negras seit Tagen bewaffnete Kämpfe. Presseberichten zufolge versucht das „Nordost-Kartell“, das aus der Mafiaorganisation „Zetas“ entstanden ist, die „plaza“ wieder unter seine Kontrolle zu bekommen. Die Wochenzeitung Proceso weist darauf hin, dass Lorenzo Merena, der die Folterbilder vorstellte, zuletzt als Bürgermeisterkandidat in Piedras Negras kandidierte. Dessen Bruder sei ein Chef der „Zetas“, schreibt der in diesen Themen sehr kompetente Proceso.

Ob der Tod Espinozas in einem Zusammenhang mit diesem Szenario steht, ist völlig unklar. Häufig benutzen Ermittler vermeintliche kriminelle Verbindungen, um andere Hintergründe von Angriffen auf Medienschaffende zu verschleiern. So etwa im Fall des vor fünf Jahren ermordeten Fotografen Rubén Espinosa.

Fotograf ermordet in Wohnung aufgefunden

Der Journalist wurde neben vier toten Frauen in einer Wohnung in Mexiko-Stadt gefunden, die Strafverfolger ermittelten sofort im Kontext von Drogen und Prostitution. Espinosa, der für den Proceso arbeitete, war jedoch zuvor aus dem Bundesstaat Veracruz in die Hauptstadt geflohen, weil er mit dem Tod bedroht worden war.

Er hatte die korrupten Geschäfte des dortigen Gouverneurs Javier Duarte, der sich mittlerweile wegen Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung im Gefängnis befindet, öffentlich kritisiert und sich dafür eingesetzt, dass der Mord an seiner Journalistenkollegin Regina Martínez aufgeklärt wird. Warum Espinoza, die politische Aktivistin Nadia Vera sowie drei weitere Frauen sterben mussten, ist bis heute unklar.

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