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Berliner KunstgeschichteOhne Rücksicht auf Sinn

Konservierte Dada-Signale aus der Mauerstadt: Das Album „War Pur War“ von Thomas Kapielski und Frieder Butzmann ist wieder erhältlich.

Arbeiteten originell zusammen: Musiker Frieder Butzmann (l.) und Schriftsteller Thomas Kapielski Foto: Dubravka Dalfogo

In einem seiner Bücher aus den neunziger Jahren („Aqua Botulus“ oder „Der Einzige und sein Offenbarungseid“) berichtet Thomas Kapielski von seiner Zusammenarbeit mit dem Musiker Frieder Butzmann. Sie machten sich dabei in einem Fall die Technik des Samplings zunutze, um Igor Strawinskys Ballettklassiker „Le sacre du printemps“, der immerhin rund 40 Minuten dauert, mit einer Zeitstauchfunktion auf eine Sekunde zusammenschnurren zu lassen. Vom ursprünglichen Charakter des Werks dürfte nicht mehr allzu viel zu erkennen geblieben sein, doch war das Vorgehen allemal ein origineller Ansatz.

Thomas Kapielski, gebürtiger Berliner, der auch bildender Künstler ist, macht heute vor allem als Schriftsteller von sich reden. In diesem Jahr erst erschien mit „Kotmörtel. Roman eines Schwadronörs“ ein neues Buch von ihm. Frieder Butzmann, seit 1975 Wahlberliner, betätigt sich bevorzugt als Komponist elektronischer Musik, Hörspielautor und „Crachmacheur“. Beide haben wiederholt zusammen musiziert, wurden in den Achtzigern den „Genialen Dilletanten“ zugerechnet.

Im Jahr 1988 war Kapielski für kurze Zeit zudem Autor der taz, bis er in einem Artikel zum zehnten Jubiläum des Clubs „Dschungel“ das Wort „gaskammervoll“ verwendete und damit eine taz-interne Debatte auslöste. Ein Jahr zuvor war von Butzmann und Kapielski auf dem Berliner Zensor-Label das Album „War Pur War“ erschienen. Jetzt hat das Hamburger Label Bureau B die Platte, die damals kaum verkauft wurde und über die Jahrzehnte zur Rarität geworden war, mit einer Wiederveröffentlichung in Erinnerung gerufen.

Sprachkunst und abseitiger Humor

Ganz so radikal wie die eingangs geschilderte Urknallversion von Strawinsky klingt „War Pur War“ vielleicht nicht, aber fast. Beide Künstler haben eine sehr eigene Vorliebe für Sprachkunst und für abseitigen Humor. Sie legen sich dabei nicht fest auf so einengende Dinge wie Genres. Zu ihrem Verständnis von Subkultur gehört der Pop im weitesten Sinne gleichermaßen wie Techniken der Avantgarde. Das dann gern alles auf einmal.

So erinnert die Nummer „Freebeer“, mit der die Platte eröffnet, ein wenig an düsteren New Wave, wären da nicht die Stimmen, die in leicht albernem Tonfall Unverständliches rufen. Klar und deutlich brüllt dafür im folgenden „Damit des Ergetzens auf Erden kein Ende seyn möge“ Thomas Kapielski Bibelverse aus Jesaja 35. Zusätzliche Musik gibt es dazu keine. Überhaupt sind die Stücke sehr fließend zwischen vertrauteren musikalischen Formen und Klangcollage.

War Pur War

Butzmann/Kapielski: „War Pur War“ (Bureau B/Indigo)

Zu einzelnen Nummern kann man sogar tanzen. „Do the VoPo“ ist ein straffer elektronischer Funk, der geradezu eingängig klingt. Anderes wie „Wunderbar“ ist am ehesten atmosphärisch zu nennen, ein Soundscape mit verfremdeter tiefergelegter Stimme, die das Titelwort langsam zu zerkauen scheint, um am Ende mit einem „Spitzenmäßig“ zu schließen. Dada grüßt in diesen zusammengeschnippelten Ohrenspülungen mehr als einmal und stets sehr freundlich.

Alles verwursten

„War Pur War“ regt mit seinem Musique-concrète-artigen Ansatz, in dem Zitate aus anderen Musikstücken ebenso verwurstet werden wie Alltagsgeräusche, immer wieder zur horchenden Spurensuche an. Klingt da nicht etwas bekannt? „Kurzstück“ enthält zum Beispiel kurze Schnipsel aus dem Lied „Flieger, grüß mir die Sonne“ („Wir warten nicht, wir starten“). In anderen Titeln kommen Fernsehdialoge zum Einsatz.

Nicht zu vergessen die Sprache als Mittel zur Lautproduktion. Diese nutzen Butzmann und Kapielski ohne Rücksicht auf Sinn. „Akron, Ohio“ beschränkt sich auf Gitarrengeschrabbel, über dem Kapielski mit mehr gehusteten als geformten Konsonanten immer wieder die Worte „This is from Akron, Ohio“ vorträgt.

Auch nicht zu vergessen sind einige Zoten, die in „Rolle der Frau“ zum Besten gegeben werden. Doch auch hier ist der Nonsens nicht fern: „Ältere Menschen bestehen überwiegend aus Frauen.“ Was demografisch im Übrigen stimmen könnte.

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