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Staatliche CoronahilfeStütze für Millionen

Das Kurzarbeitergeld soll auf 24 Monate verlängert werden. In der Kasse der Arbeitslosenversicherung fehlen dadurch Milliarden Euro.

Kurz oder lang? Eine Auszubildende der Berliner Firma Hruby Werbetechnik bei der Arbeit Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Berlin taz | Es ist mit die wichtigste und geräuschloseste sozialpolitische Maßnahme in der Coronapandemie: das Kurzarbeitergeld, das derzeit vier bis fünf Millionen Beschäftigte bekommen, die wegen der Pandemie in ihren Unternehmen weniger oder gar nicht arbeiten können. Am Dienstag entscheidet der Koalitionsausschuss mit den Spitzen der Regierung darüber, ob die Höchstbezugsdauer bei Kurzarbeit mit den Corona-Sonderregelungen von 12 auf 24 Monate verlängert werden.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich am Montag gegenüber NDR Info zuversichtlich, dass man die Verlängerung „hinbekomme“. Scholz ist versiert in dem Thema: Vor mehr als zehn Jahren hatte er als damaliger Arbeitsminister in der Finanzkrise erfolgreich für eine Verlängerung der Höchstbezugsdauer des Kurzarbeitergelds gestritten.

Damals rettete die Sozialleistung Millionen von Arbeitsplätzen und war mit ein Grund dafür, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 nicht dramatisch einbrach. In den Jahren danach galt Deutschland als eine Art Beschäftigungswunder, auf das die europäischen Nachbarstaaten neidisch blickten.

Allerdings hatte die Kurzarbeit damals eine andere Dimension: Im Mai 2009 waren rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland in Kurzarbeit. Im Mai 2020 hingegen bezogen 6,7 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld, für den Juni geht die Bundesagentur für Arbeit von 4,5 Millionen Menschen aus, die die Leistung beziehen.

Kurzarbeit mit Weiterbildung verbinden

Die Sonderregelungen in der Coronakrise sehen vor, das Kurzarbeitergeld bei längerer Bezugsdauer auf eine Höhe von bis zu 87 Prozent des entgangenen Nettolohnes aufzustocken. Auch die Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitgeber werden dabei von der Bundesagentur übernommen. Normalerweise beträgt das Kurzarbeitergeld nur 60 Prozent (Kinderlose), beziehungsweise 67 Prozent des entgangenen Nettolohnes.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schlägt laut Medienberichten vor, die Aufstockung des regulären Kurzarbeitergelds und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge bis März 2022 zu verlängern, wobei die Übernahme der Sozialbeiträge ab April 2021 davon abhängig gemacht werden soll, dass die Unternehmen ihre MitarbeiterInnen in der Zeit weiterbilden.

Auch nach dem Willen der Union soll die Kurzarbeit mit Weiterbildung verbunden werden. Die Unionsfraktion ist zu einer Verlängerung des Kurzarbeitergelds bereit, wenn die Voraussetzungen verschärft werden. Die Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf bis zu 87 Prozent müsse „auf das alte Niveau zurückgefahren werden“, sagte Union-Fraktionsvize Carsten Linnemann der Rheinischen Post, „jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir das Geld nicht mehr mit vollen Händen ausgeben können“.

Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und die Gewerkschaften sind für eine Verlängerung der Bezugsdauer mit den Sonderregelungen. Michael Hü­ther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) warnt allerdings vor „Breitbandanwendungen“ des Kurzarbeitergelds. Die Lage der Betriebe werde im Zuge der Konjunkturerholung „differenzierter“.

Die Kasse der Bundesagentur für Arbeit leert sich

Wegen der hohen Zahlungen für Kurzarbeitergeld, mehr Arbeitslosengeld und den entsprechenden Sozialleistungen in der Coronakrise leert sich die Kasse der Bundesagentur für Arbeit. Vorstandschef Detlef Scheele hat bereits ein Haushaltsdefizit der Bundesagentur von 30 Milliarden Euro für das Jahr 2020 angekündigt und hält auch ein Defizit im Jahr 2021 für möglich. Rutscht der Haushalt der Bundesagentur ins Minus, muss die Bundesregierung mit einem Zuschuss oder Darlehen einspringen. Aus dem Haushalt der Bundesagentur werden auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen bezahlt.

Angesprochen auf die Debatte über den Missbrauch der Staatshilfe sagte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit der taz, zu Beginn der Coronakrise habe man „schnell und flexibel“ reagieren müssen. Jetzt aber schaue man „genauestens hin“. Kurzarbeitergeld werde vorläufig bewilligt und ausgezahlt. Bei einer Abschlussprüfung würden dann „noch einmal alle eingereichten Belege genau überprüft“. Seit Jahresbeginn gebe es etwa 1.516 Hinweise auf Betrugsverdacht. (mit dpa)

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5 Kommentare

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  • Vor nicht allzu langer Zeit war noch zu viel in den Kassen, und mancher wollte es mit vollen Händen unter dem Wahlvolk verteilen. Nun ist wieder zu wenig drin'. Wie gut, dass einige noch wissen, was Sparen bedeutet.

  • ein Kumpel hat sich jetzt spaßhalber Arbeitslos gemeldet. Zitat:



    "so einfach wie in Corona-Zeiten kommt man nie mehr an Sozialleistungen."

    Ich hab erst mal gelacht, is mir aber dann im Hals stecken geblieben lolgrpf

    • @Joga:

      Wie funktioniert das, sich spaßenshalber Arbeitslos melden? In der Mittagspause der gut bezahlten Anstellung im Faschingskostüm zum AA?



      Da wäre mir auch das Lachen im Halse stecken geblieben. Was erleben Sie sonst noch so mit Ihren Kumpels?

      • @Berliner Berlin:

        Chef, schreib mir mal ne betriebsbedingte Kündigung.

  • Ich seh hier zwei Probleme bei der Fortführung, die aber von Anfang an da waren:



    1. Durch die pauschale Erstattung der Arbeitgeberbeiträge (ist erst seit Corona) bekommen die Arbeitgeber teilweise mehr erstattet, als sie ausgegeben haben. In Branchen mit niedrigen Fixkosten gibts da keinen großen Anreiz für die Arbeitgeber nach Beschäftigung für die Mitarbeiter zu suchen.



    2. Finanziert wird das Ganze nicht aus dem Steuertopf, in den alle (auch Selbständige, Beamte usw. ) einzahlen, sondern aus der Arbeitslosenversicherung, die nur abhängige Beschäftigungsverhältnisse belastet. Eine gerechte Lastenaufteilung seh ich hier nicht.