Corona-Fälle an Schulen: (Nicht) so positiv
In den Schulen häufen sich die Coronafälle – zugleich kommen Gesundheitsämter bei der Kontaktverfolgung an ihre Grenzen.
Kommunikationswege seien noch unklar, Handlungsanweisungen seitens der Gesundheitsämter oft widersprüchlich, heißt es. Ganz besonders wütend ist dieser Tage die Lehrergewerkschaft GEW, die 1 Milliarde Euro Soforthilfe für die Schulen fordert und Scheeres Untätigkeit vorwirft. Landeselternsprecher Norman Heise äußerte sich im RBB Inforadio etwas milder, sagte aber sinngemäß auch, dass in den Sommerferien viel zu wenig passiert sei, bevor man Anfang August die Schulen wieder geöffnet hat.
„Die Kommunikationsstrukturen sind noch nicht ausgereift, das zieht sich symptomatisch durch die Krise“, sagt auch Gunilla Neukirchen, Schulleiterin des Beethoven-Gymnasiums in Lankwitz und Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Schulleiterinnen und Schulleiter. An ihrer Schule hatte es am Wochenende den ersten positiven Coronatest in der Schülerschaft gegeben – die Familie habe „wirklich vorbildlich reagiert“ und die Schule sofort über das positive Testergebnis informiert.
Allerdings sei dann die Nachverfolgung der Kontakte alles andere als einfach gewesen – weil, und das sei der Knackpunkt, sagt Neukirchen, einfach zu viele Ämter und Stellen mitmischten. Bei der Nachverfolgung der Kontakte entscheidet nämlich das Wohnortprinzip darüber, welches Gesundheitsamt zuständig ist – und gerade in Berlin können das an weiterführenden Schulen, wo die SchülerInnen teilweise aus dem ganzen Stadtgebiet kommen, dann schon so einige Ämter sein. Auch Brandenburg sei mit im Boot gewesen, sagt Neukirchen.
Kotanktperson 1, 2 oder 3
Die Ämter wiederum entschieden oft nicht einheitlich über die Einstufung von Kontaktpersonen: „Die grobe Einteilung in Kontaktgruppe 1, 2 und 3 nach dem Robert-Koch-Institut funktioniert für die Schulen nicht, dafür sind die Situationen im Unterricht zu uneinheitlich: Hat Gruppenarbeit stattgefunden, was wurde im Sportunterricht gemacht?“ Da habe in den letzten Tagen „viel Unklarheit an der Schule“ geherrscht, sagt Neukirchen, auch weil die Ämter unterschiedlich schnell arbeiteten. „Es wäre viel sinnvoller, die Schulleitungen müssten nur zu einem Gesundheitsamt Kontakt haben und die Ämter vernetzen sich dann wiederum untereinander.“
Die Erwartungen von Neukirchen und anderen Schulleitungen, da nachzusteuern, richten sich jetzt an den Hygienebeirat: Das Gremium, das zu Wochenbeginn erstmals zusammengekommen war, soll die Verwaltung von Bildungssenatorin Scheeres beratend durch die Pandemie führen. Mediziner sitzen darin, ein Amtsarzt, Eltern- und SchülervertreterInnen und auch die GEW. Die „Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationskanäle“ soll ein zentrales Thema sein und stehe jetzt auch ganz klar im Fokus, versichert auch ein Sprecher von Scheeres auf taz-Anfrage.
Mehr Koordination und vor allem mehr Kapazitäten fordert GEW-Landeschefin Doreen Siebernik auch bei den Testkapazitäten für pädagogisches Personal. Eine Säule von Scheeres’ Teststrategie für die Schulen ist, dass Lehrer- und ErzieherInnen sich an eigens dafür eingerichteten Teststellen bei Vivantes und Charité kostenlos testen lassen können, auch wenn sie keinerlei Symptome haben. „Wir sehen aber, dass es da inzwischen Wartezeiten bis in die zweite Septemberwoche hinein gibt, weil offenbar unter anderem die Reiserückkehrer viele Laborkapazitäten binden“, sagt Siebernik. „Das ist nicht Sinn der Sache.“
Gesundheitsämter kommen an ihre Grenzen
Tatsächlich hat Berlin in den letzten Wochen die Testkapazitäten stark erhöht – aber es lassen sich seit Ende der Sommerferien auch viel mehr Menschen testen. Die Senatsverwaltung für Gesundheit teilt auf Anfrage mit, dass in der vergangenen Woche genau 52.226 Tests durchgeführt wurden (davon 1,2 Prozent positiv) – maximal 56.400 Tests könne man bewältigen, eine Auslastung von rund 90 Prozent. Zum Vergleich: Im Mai ließen sich rund 20.000 Menschen pro Woche testen.
Dass die Testkapazitäten ausgebaut werden und weitere Labore mit ins Boot geholt werden sollen, hatte der Regierende Michael Müller (SPD) am Dienstag auch im Senat gesagt, explizit auch mit Blick auf die Schulen.
Derweil kommen aber auch die Gesundheitsämter an ihre Grenzen, denn wo mehr getestet wird, gibt es auch mehr positive Ergebnisse – und also mehr Arbeit, was die Rückverfolgung von Kontakten angeht. Mittes Amtsarzt Lukas Murajda hatte bereits im taz-Interview gewarnt, dass ohne zusätzliches Personal bald nicht mehr viel ginge. Im Frühjahr war deshalb auch die Bundeswehr zur Telefonarbeit herangezogen und Personal aus anderen Abteilungen abgezogen worden.
Wieder positiv an einem Gymnasium
Sollten die Zahl der Fälle deutlich steigen – und das könnte im Herbst geschehen –, greift Scheeres’ Plan B: geteilte Klassen, die eine Hälfte lernt in der Schule, die andere zu Hause. Bei welchem Infektionsgeschehen genau das sein wird, darauf möchte sich derzeit niemand festnageln lassen. Künftig will Scheeres jeden Freitag einen Überblick geben, wie viele Fälle es an welchen Schulen gibt.
Schulleiterin Neukirchen sagt, sie seien im Falle eines zweiten Schul-Lockdowns immerhin „handlungsfähiger als im Frühjahr“. Inzwischen seien beinahe alle auf einer digitalen Lernplattform versammelt. Allerdings fehlten, trotz der Tablets, die Scheeres an Schulen verteilt hatte, noch immer Leihgeräte für SchülerInnen. Auch das Internet sei langsam und falle auch manchmal ganz aus.
Am Dienstagabend gab es einen weiteren positiven Coronatest einer Schülerin am Beethoven-Gymnasium; kurz vor Mitternacht orderte die Schulleitung deshalb die zwölfte Jahrgangsstufe für Mittwoch nach Hause. Auf der Schulhomepage bedankt sich Neukirchen bei den Eltern „für die Unterstützung“ und bei den Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamts „für ihre unermüdliche Arbeit“. Außerdem schreibt sie: „Sie können sicher sein, dass wir Schulleitungen bei der Senatsverwaltung auf klarere Strukturen hinwirken werden, das hätte uns allen in diesen Tagen viel erspart.“
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