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Der Norden pusht den WasserstoffEin Stoff macht Karriere

Um die Wirtschaft CO2-neutral zu machen, braucht es einen Energieträger, der erneuerbare Energien speichert. Das könnte Wasserstoff sein.

Futuristisch: Wasserstofftankstelle in der Hamburger Hafencity Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Die Energiewende ist da. Seit Elon Musk mit seinem Elektroauto Tesla Furore gemacht hat, ist klar: Die Umstellung auf eine CO2-freie, klimaneutrale Wirtschaft muss kein Wunschtraum von Ökoträumern sein, sondern geht auch als hippes Projekt eines Venture-Kapitalisten.

Allerdings rennt Deutschland bei den E-Autos hinterher, und so setzt die Bundesregierung jetzt auf die Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie: 9 Milliarden Euro Staatshilfen hat sie für den großen Wurf vorgesehen, den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am 10. Juni vorstellte. „Wir wollen bei Wasserstoff die Nummer eins werden“, verkündete der Minister öffentlich.

Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern werden vorne mit dabei sein. Im Rahmen des „Norddeutschen Reallabors“ – eines von bundesweit insgesamt 20 Laboren – wollen rund 50 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zeigen, dass Wasserstoff der Schlüssel zu einer CO2-freien Energieversorgung sein kann. Geplant sind zwölf große Demonstrationsanlagen und -projekte, in denen „grüner“ Wasserstoff erzeugt und genutzt werden soll.

„Es geht um eine ganzheitliche Transformation des Energiesystems“, sagte Werner Beba, Professor an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), bei der Vorstellung des Reallabors. Ziel sei es, zu zeigen, wie bis 2035 in der Region 75 Prozent der CO2-Emissionen ver­mieden werden können.

Klimaneutrale Stromversorgung möglich

Das Vorgängerprojekt „New 4.0“ habe bereits gezeigt, dass Hamburg und Schleswig-Holstein rein bilanziell CO2-neutral mit Strom versorgt werden könnten, sagte ­Bebas ­Mitarbeiterin Deike Haase der taz. Bei dem neuen Projekt soll es um die ­komplette Energieversorgung gehen.

Elon Musk hat die Chance ergriffen, die sich vor zehn Jahren aus der technischen Entwicklung bei den wiederaufladbaren Batterien ergab. Die Verwendung des Metalls Lithium machte die Akkumulatoren viel leichter und ermöglichte so wesentlich größere Reichweiten der damit gespeisten E-Autos. Musk verkürzte überdies die Ladezeiten, sodass die in Deutschland halbherzig vorangetriebene Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie plötzlich alt aussah.

Dass es jetzt auch einen Schub für diese Technologie gibt, habe weniger mit dem technischen Fortschritt zu tun, sagt Tom Smolinka vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesystem. „Rein technisch hat sich in vielen Punkten nicht viel getan, die Anlagen können auch heute schon im großem Maßstab eingesetzt werden“, sagt der Forscher. „Man kitzelt ein paar Prozentpunkte raus.“

Entscheidend sei vielmehr der veränderte Markt. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gebe es viel mehr ­grünen Strom im Netz. Die Auflagen für CO2-Emissionen würden laufend verschärft – bis hin zu einem absehbaren Verbot. „Das macht den ­Wasserstoff heute attraktiv“, sagt Smolinka.

In der Folge würden die Erzeugungsanlagen größer und die Preise sänken. „Bei einer Massenproduktion sind wir bei Weitem noch nicht“, schränkt er allerdings ein. Die Lage sei mit der Situation der Photovoltaik Anfang der 2000er zu vergleichen.

Zu dem jetzt erwarteten Durchbruch dürfte auch beitragen, dass Wasserstoff der Industrie helfen kann, ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Das gilt für die chemische Industrie wie auch für die Stahlindustrie, wo Wasserstoff anstelle von Koks in den Schmelzöfen genutzt werden kann. Entsprechende Pläne hat der Stahlkonzern Salzgitter in Niedersachsen. Mit Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Quellen lasse sich der CO2-Ausstoß des Stahlwerks um bis zu 95 Prozent verringern, hieß es.

Auch der nordwestdeutsche Energieversorger EWE mit seiner Bremer Tochter swb hat kürzlich gemeinsam mit dem Stahlhersteller Arcelor Mittal die Absicht bekundet, grünen Wasserstoff zu erzeugen. In Bremen-Mittelsbüren soll ein Elektrolyseur, so heißt die dafür benötigte Anlage, Windstrom in Wasserstoff für das Stahlwerk verwandeln.

Bereits gestartet ist ein Projekt der GP-Joule-Unternehmensgruppe im nordfriesischen Bosbüll. Gefördert aus dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie entsteht dort eine komplette Wasserstoffinfrastruktur. Anfang Juli hat GP Joule den ersten von fünf Elektrolyseuren in Betrieb genommen, der aus überschüssigem Windstrom Wasserstoff machen soll. Dieser soll dann über zwei neue Tankstellen an zwei ebenfalls geförderte Brennstoffzellenbusse und fünf Pkw verfüttert werden.

In Hamburg gibt es alles, was es braucht

Noch besser zeigt das Beispiel Hamburg, warum im Norden so große Hoffnungen auf Wasserstoff ruhen. Hier gibt es alles, was es dazu braucht: überschüssigen Windstrom, potente Entwickler und unterschiedlichste Abnehmer. Nicht umsonst plant Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) im Hafen die weltweit größte Wasserstoffelektrolyse mit 100 Megawatt – das wäre zehnmal mehr, als bestehende Anlagen leisten.

Den Wasserstoff macht so interessant, dass er besser im großen Stil gespeichert werden kann als Strom. „Wir kommen zu einem Punkt, wo wir so viel erneuerbaren Strom im Netz haben, dass Batterien beim Speichern an ihre Grenzen stoßen oder aber Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen“, sagt der Fraunhofer-Forscher Smolinka. Auch ein Dunkelflaute – wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht – wäre mit Batterien nicht zu überbrücken. Das ist ein Frage der Kosten und des Rohstoffeinsatzes.

New 4.0: So könnte das Energiesystem der Zukunft aussehen Foto: Carsten Rehder/dpa

Dafür geht bei der Elektrolyse, also der Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, etwa dreimal soviel Energie verloren wie beim Aufladen einer Batterie – 30 statt zehn Prozent. Und vereinfacht gesagt kommt wiederum die Hälfte davon beim Reifen eines Autos an, während es beim Akku 90 Prozent sind.

Bei der Wahl der Speichertechnik ist überdies die Energiedichte zu beachten. Wasserstoff enthält zwar dreimal so viel Energie pro Kilo als Benzin und Diesel, dafür braucht er aber viel mehr Platz und muss mit hohem Aufwand komprimiert und gekühlt werden. Damit ergibt sich ein ähnliches Gewichtsproblem wie bei der Batterie. Faustregel: Je größer die angestrebte Reichweite und Flexibilität, desto eher empfiehlt sich die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie. Die Hamburger Hochbahn nennt das als Grund, warum sie weiterhin auf Brennstoffzellenbusse setzt.

Überschüssiger Strom

Mit Blick auf die Umwandlungsverluste betont Smolinka, dass es bei der Produktion von Wasserstoff darum gehen muss, den überschüssigen Strom zu nutzen, der dadurch entsteht, dass Wind- und Sonnenenergie nur schwankend zur Verfügung stehen. „Solange ich den Strom als Strom nutzen kann, mache ich das“, sagt er. Die Windkraftanlagen wie heute abzuriegeln, sei nicht sinnvoll.

Wie Wasserstoff besser gespeichert werden kann, versuchen die Forscher derzeit herauszufinden. Eine Möglichkeit sei die Speicherung in Salzkavernen, sagt Smolinka, aber auch andere Materialien wie sehr poröse Stoffe mit großer Oberfläche kämen infrage. Weitere Optionen seien die Bindung an Metalle oder die Verwandlung in organische Flüssigkeiten wie Methanol.

Eine vielversprechende Option ist auch die Einspeisung ins Gasnetz – entweder als Beimischung zum Erdgas oder durch Umwandlung des Wasserstoffs in Methan, den Hauptbestandteil von Erdgas. Audi betreibt eine entsprechende Versuchsanlage in Werlte bei Cloppenburg. Hier wird mit Hilfe von Windstrom und dem CO2 aus einer benachbarten Biogasanlage klimaneutral Methan hergestellt, das entweder ins Gasnetz gepumpt werden kann oder in den Gastank eines Audi. Dessen Fahrer kann dann wählen, ob er mit Benzin oder Gas fahren will.

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