Freiberufler in der Coronakrise: Tapfere Solokämpfer
Im April und auch im Mai hatten wir Soloselbstständige befragt, wie sie die Coronakrise überstehen. Wie geht es ihnen jetzt im Juli? Sechs Protokolle.
Der Ladenbesitzer
Im Moment läuft es eigentlich fast normal im Laden – trotz Sommerloch. Prenzlauer Berg ist nicht so leer wie sonst um diese Zeit. Es gibt auch wieder einige Touristen. Viele sind ja auch in der Stadt geblieben, haben ihren Urlaub storniert.
Manche haben vom Staat dicke Finanzspritzen bekommen und deshalb gerade ganz gut Geld. Das merke ich auch hier im Laden. Von Flaute also eigentlich keine Spur. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die wirtschaftlichen Folgen der Krise ja erst noch kommen.
Jenseits dieser ökonomischen Fragen habe ich den Eindruck, dass die Menschen in der Coronazeit ganz schön zum Nachdenken gekommen sind – und auch weiterhin viel mehr nachdenken als sonst. Viele sind ruhiger, entspannter und verständnisvoller für Menschliches geworden. Sie machen sich nicht mehr so viel Druck und wissen auch, dass vieles so nicht weitergehen kann.
Auch an mir selbst beobachte ich das und empfinde es im Grunde als sehr angenehm. Meine Hoffnung, dass wir Menschen uns global zusammenraufen werden, um unsere Erde zu erhalten, ist also nach wie vor groß. Insofern finde ich, dass die Krise viele positive Folgen hatte. Weil einfach viele Missstände dadurch auch ans Licht gekommen sind. Es ist schon wichtig, alles zu hinterfragen, aber man kann natürlich auch einfach Bill Gates für alles die Schuld geben. (lacht)
Schlimm finde ich, dass viele Lobbys doch immer wieder trickreich ihre Interessen an den eigentlichen Umweltschutzzielen vorbei durchgesetzt kriegen. Und dass manche große Umweltschutzwerbekampagne doch nur Kosmetik ist und vielleicht gar nichts oder noch das Gegenteil bewirkt.
Zum Beispiel ein paar Prozent recyceltes Plastik im Adidas-Schuh – na, dann kann man ja noch mehr davon kaufen und wegschmeißen. Oder wenn ein riesiger SUV von der Steuer befreit wird, weil er laut Prospekt vielleicht zu 50 Prozent elektrisch fährt und sich ein E aufs Nummernschild kleben kann – in Wirklichkeit säuft er wie ein Loch, wenn man ihn ordentlich tritt. So etwas finde ich wirklich irre, da rege ich mich voll drüber auf.
Philipp Schünemann, 50, Inhaber von Onkel Philipp’s Spielzeugwerkstatt in der Choriner Straße in Prenzlauer Berg
Die Coachin
Wir sind nun schon ein paar Wochen mit dem Camper in Deutschland und Holland unterwegs. Aber vor unserem Aufbruch in Berlin hatte ich schon das Gefühl, dass für mich die Coronazeit eigentlich vorbei ist. Ich fand und finde es sehr irritierend, dass die Menschen die Situation im Berliner Alltag offenbar nicht mehr so ernst nehmen und somit sehr uneinheitlich mit den Empfehlungen umgehen, und merke, dass das auch sehr auf mich abfärbt.
Seit wir in Holland sind, beobachte ich, dass die Menschen zwar außer in den öffentlichen Verkehrsmitteln keine Maske tragen, aber dafür viel achtsamer im täglichen Umgang miteinander sind, schlicht Abstand voneinander halten. Das empfinde ich als sehr wohltuend.
Beruflich herrscht wie bei den meisten und jetzt auch bei mir das Sommerloch. Aber abgesehen davon baut sich alles ganz gut wieder auf. Die VHS, an der ich unter anderem unterrichte, hat mir wie allen Dozentinnen und Dozenten das ganze Sommersemester bezahlt; dafür bin ich sehr dankbar, und das hat uns wirklich sehr geholfen. Ich kann mittlerweile auch wieder Präsenz-Coachings geben.
Ich finde es interessant, dass sich in meinem Beruf die Digitalisierung offenbar nachhaltig durchgesetzt hat. Vor den Ferien habe ich eigentlich nur noch Verträge über Kurse abgeschlossen mit der Auflage, dass diese auch digital stattfinden könnten. Seit Anfang des Jahres nehme ich an einer Fortbildung teil, die nun weitergeht. Statt vor vielen Menschen zu sprechen, lernen wir nun, wie man einen Youtube-Kanal aufbaut und einen Podcast erstellt.
Wenn jetzt keine zweite Welle kommt, werde ich einen terminlich sehr vollen Herbst haben. Ich biete selbst eine Fortbildung an, die ich bereits zweimal verschieben musste. Im Augenblick habe ich aber das Gefühl, dass das nun alles so stattfinden wird, wie es aktuell geplant ist.
Es ist sehr deutlich spürbar, dass der Tourismus noch nicht wieder voll angelaufen ist, dass die Menschen weniger fliegen und die Städte so schön leer sind. Viele haben offenbar angefangen, mehr über Mobilität, Alternativen und damit verbunden auch über den Klimawandel nachzudenken.
Worüber ich mich noch freue? Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und auch ich wurden tatsächlich existenzsichernd vom Staat unterstützt, wofür wir sehr dankbar sind. Außerdem konnte sich die Idee und die Sinnhaftigkeit des bedingungslosen Grundeinkommens in dieser Zeit weiter verbreiten.
Andere Hoffnungen, die ich während der Vollbremsung im Frühling noch gehabt habe, die habe ich heute allerdings nicht mehr. Zum Beispiel macht es mich fassungslos, dass es in meinem Umfeld doch einige Menschen gibt, die jetzt samstags auf die Hygienedemos gehen. Das stimmt mich sehr nachdenklich, da ich es politisch als eine krasse Entscheidung und Aussage sehe.
Ich denke, es wäre ganz besonders auch in dieser Hinsicht gut, wenn Deutschland jetzt damit anfangen könnte, die Geschehnisse in diesem Frühling gesamtgesellschaftlich aufzuarbeiten.
Sandra Szaldowsky, 48, Coachin und Kommunikationstrainerin
Die Fitnesstrainerin
Bei mir hat alles wieder angefangen, ist aber ganz schön kompliziert. Wir haben ja Teilnehmerbeschränkungen und müssen in Schichten arbeiten. Am Anfang durften maximal sieben Personen in einem Raum trainieren, das war für die Fitnessstudios ein großes Verlustgeschäft. Dort werden in normalen Zeiten Kurse sehr schnell gestrichen, wenn sie schlecht besucht sind. Im Grunde kommen für den Rehasport alle zwei Wochen neue Änderungen, die keiner so richtig versteht und von denen man nur zufällig erfährt. Das ist bei allem Verständnis schon sehr aufwendig.
Die meisten meiner alten Leute haben den Sport sehr vermisst. Youtube ist für die nichts. Es geht ja um Gruppendynamik und darum, dass man zusammen lacht, dass man direkt angesprochen und mitgezogen wird. Auch ich habe das vermisst. Es hat mir irgendwann echt gereicht. Ich hatte keine Lust mehr, jede einzelne Bodendiele per Hand abzuschleifen oder die Nacktschnecken im Garten zu grillen.
Ich arbeite im Moment noch immer sechs bis Stunden weniger pro Woche, muss also sehr sparsam wirtschaften. Andererseits bin ich sehr froh darüber, weil es halt beim Rehasport im Altenheim viel anstrengender ist, die ganze Zeit mit einer Maske zu arbeiten, die immer hoch- und runterrutscht. Ich bewege mich ja nicht nur dauernd, sondern rede auch die ganze Zeit. Und viele alte Leute haben mich ja auch schon ohne Maske schlecht verstanden.
Ich denke, dass noch so ein Lockdown allen in meinem Bereich das Genick brechen würde. Es gibt ja einige kleinere Studios, die dichtgemacht haben. Wir haben alle jetzt keine Reserven mehr.
Viele Kunden würden jetzt auch nicht mehr aus Solidarität ihre Verträge weiterlaufen lassen. Darum habe ich auch vor Kurzem begonnen, ein paar Stunden pro Woche parallel in der Pflege zu arbeiten, zum Glück habe ich mal eine Ausbildung zur Krankenschwesternhelferin gemacht. Die Arbeit ist sehr anstrengend und unterbezahlt, weshalb ich jetzt noch besser verstehe, dass eine Einmalzahlung den Pflegenotstand nicht behebt. Trotzdem beruhigt es mich, dass ich das jetzt noch habe.
Sylvia Beckmann, 56, freie Fitnesstrainerin
Der Kneipenwirt
Ich habe die Tomsky Bar am 4. Juni wiedereröffnet, zwei Tage nach allen anderen, um noch ein bisschen Platz zu schaffen und aufzuräumen. Unser Tresen und der Billardtisch sind nun lahmgelegt, die Tische stehen versetzt. Am Anfang lief die Bar verhaltener an, als ich dachte. In letzter Zeit wird die Stimmung aber immer lockerer. Herzlichen Dank ans Ordnungsamt, das im Augenblick nicht kontrolliert, wie viele Tische draußen stehen. Dadurch können wir wie viele Restaurants und Kneipen in Berlin im Moment ganz gut kompensieren.
Wir haben jetzt auch wieder Touristen aus Spanien oder Frankreich, die in Berlin Freunde besuchen. Nach 23 Jahren Tomsky Bar und plötzlichem Stillstand bin ich immer noch jeden Tag froh und dankbar, dass wir die Menschen wieder bewirten und ihnen echte Gläser auf den Tisch stellen dürfen. Die Laune ist also wirklich sehr gut, obwohl derzeit ab zwei Uhr morgens nicht mehr so viel los ist, weil die Clubs und die Theater ja noch geschlossen haben.
Klar: Die Umsätze sind derzeit noch nicht so gut wie sonst im Sommer. Das Arbeiten mit Maske kann wirklich belastend sein, und meine Mitarbeiter verdienen noch weniger, weil ihre Schichten kürzer sind, sodass viele nach wie vor Kurzarbeit machen. Trotzdem genießen wir den Moment und denken derzeit wirklich, das Tomsky ist unkaputtbar.
Rückblickend würde ich sagen, dass mir die staatliche Unterstützung, die Solidarität im Kiez und das Crowdfunding für die Tomsky Bar im Internet sehr viel Mut gemacht haben. Sogar zu unserem Vermieter habe ich nun einen besseren Draht als früher, er kam mir mit der Miete sehr entgegen.
Auch privat hatte die Krise positive Aspekte, ich habe mich noch einmal unter einem ganz neuen Aspekt kennengelernt. Die Sinnkrise, die ich im Mai hatte, als noch unklar war, wann wir wieder eröffnen dürfen, ist überstanden.
Trotzdem denke ich, das Virus wird uns noch lang begleiten. Und wenn die Zahl der Ansteckungen im Herbst wieder nach oben gehen sollte, wird der Staat bestimmt nicht mehr so problemlos einspringen können.
Martin Kaltenmaier, 52, Betreiber der Tomsky Bar in der Winsstraße in Prenzlauer Berg
Die Musikerin
Es geht mir im Großen und Ganzen ganz gut. Aber mir fehlen die Konzerteinnahmen. Und dann wird die Musikschule, in der ich unterrichte, leider ab September die Miete erhöhen. Die waren natürlich auch vom Lockdown betroffen, aber dennoch ist es ein unkluger Zeitpunkt.
Ich musste die 5.000 Euro Soforthilfe, die ich im April bekommen habe, jetzt anbrechen. So richtig spannend, wie alles weitergeht, wird es dann nach den Ferien. Ich denke, wenn keine staatliche Unterstützung mehr kommt, muss ich nicht mehr drei, sondern vier Tage pro Woche Klavierunterricht geben.
Zum Amt gehen will ich nicht. Ich denke, wenn man so ein hartes Klavierstudium gemacht hat, etwas derart Aufwendiges gelernt hat, dann soll man sich so einem System nicht aussetzen müssen. Ich denke nicht, dass ich etwas Besseres bin, weil ich Musik studiert habe, aber ich möchte mich dem trotzdem nicht aussetzen.
Ich denke, es wäre toll, wenn stattdessen endlich das Grundeinkommen eingeführt würde. Der Staat würde ja allein dadurch sehr viel Geld sparen, dass er die ganze Bürokratie für Hartz IV abschaffen könnte.
Ich vermisse mein Leben als Musikerin. Richtige Kulturuntergangsstimmung habe ich!
Auch meinem Label und der dazugehörigen Booking-Agentur geht es den Umständen entsprechend. Fast alle Konzerte mussten aufs nächste Jahr verschoben werden, wobei auch die neuen Termine nicht sicher sind.
Selbst wenn man nächstes Jahr die Hälfte der Leute in die Konzerthallen und Clubs lassen dürfte, wer übernimmt die andere Hälfte der Kosten? Und selbst wenn es einen Impfstoff geben sollte, garantiert das keine hundertprozentige Sicherheit. Alles bleibt unsicher.
Manche Bands können die Zeit dank Gema-Einnahmen vielleicht noch bis Anfang 2021 überbrücken. Aber es gibt auch zahlreiche Musiker, die nur in Bands spielen und keine Gema-Einnahmen haben. Für die ist das alles ganz schön schlimm. Was passiert mit ihnen? Das ist schon alles sehr komisch und traurig.
Ira Göbel, 42, freischaffende Musikerin und Klavierlehrerin
Der Konzertveranstalter
Die Situation hat sich in der Außenwirkung normalisiert, was allerdings nicht bedeutet, das sie sich geändert hat. Noch immer habe ich keinerlei Einnahmen als Veranstalter oder Künstler. Zum Glück habe ich gerade von der Gema einen vierstelligen Betrag für eine TV-Dokumentation von 2018 erhalten und werde ab August ein Musikprojekt mit der Lebenshilfe Berlin realisieren. Ansonsten traue ich mich nicht an die Organisation von neuen Konzerten heran, denn es ist davon auszugehen, das eine zweite Welle im Herbst kommen wird.
Soforthilfe im März Bislang hat die Investitionsbank Berlin fünf Hilfepakete geschnürt. Soforthilfe II war für Kleinstunternehmer, Freiberufler und Selbstständige mit bis zu 5 Beschäftigten konzipiert. Bis zum 1. April konnten diese 5.000 Euro aus Landesmitteln beantragen. Bisher wurden an über 200.000 Antragsteller fast 2 Milliarden Euro ausgezahlt.
Soforthilfe im Mai Einige Berliner Kreative werden auch von der Soforthilfe IV für Unternehmen aus dem Kultur-, Kreativ- und Medienbereich profitiert haben, die vom 11. bis 15. Mai beantragt werden konnte. Das Paket hat ein Volumen von 30 Millionen Euro.
Andere Soforthilfen Soforthilfe III war vor allem für Angestellte gedacht, deren Unternehmen nur eingeschränkt arbeiten. Soforthilfe V startete am 18. Mai und richtete sich an Unternehmen des gewerblichen Mittelstands ab 11 Beschäftigten.
Neue Wirtschaftshilfen im Juli Ein neues Milliardenhilfspaket, das der Senat am Dienstag endgültig auf den Weg brachte, umfasst insgesamt bis zu 1,8 Milliarden Euro. Das Angebot gilt Firmen mit 10 bis 250 Beschäftigten, die mindestens 60 Prozent Umsatzrückgang zu beklagen haben. Es umfasst u. a. aber auch 80 Millionen Euro für eine Digitalprämie für Soloselbstständige, kleine und mittlere Unternehmen. Das Geld soll helfen, Geschäftsmodelle zu digitalisieren und Firmen für die Zukunft fit zu machen. (taz)
Die in den Medien vollmundig angekündigten vereinfachten Zugänge für Hartz IV entpuppen sich dann beim zweiten Kontakt mit dem Amt als Mogelpackung. Es ist mir schleierhaft, weshalb man Freiberuflern so viele Steine in den Weg legt. Warum kann es nicht einfach eine einheitliche Regelung geben für alle: Wer etwas dazuverdient, bekommt das Geld abgezogen?
Ich muss rund 70 Seiten mit absonderlichen und auf die Schnelle so nicht zu beschaffenden Informationen abgeben. Telefonate mit auffällig freundlichen Mitarbeitern des Amtes mit Terminverlängerungszusagen entpuppen sich im nach hinein als gelogen, und man hat das Gefühl, es besteht eine riesige Kluft zwischen der medialen Inszenierung der Krisenbewältigung und der tatsächlichen Umsetzung im Alltag.
Soloselbstständige sind die großen Verlierer der Krise. Die Verteilungskämpfe finden zwischen Angestellten und Selbstständigen, institutionell Geförderten und Freischaffenden statt. Solidarisch ist man nur innerhalb der eigenen Gruppe. So wird sich aber keine ernst zu nehmende Gruppe zusammenfinden, die eine Größe mit relevanter Stoßkraft entwickeln kann.
Corona war der Todesstoß für das unabhängige Berlin. Die besondere Situation nach dem Mauerfall als Geburtsstunde einer weltweit einzigartigen Clubkultur ist jetzt abgelöst worden durch eine einzigartige Pandemie, die der Sargnagel für die Berliner Clubkultur sein wird.
Dieser Realität wird man sich stellen müssen. Und genauso wird man sich darauf einstellen müssen, dass dem Staat die jetzt mit vollen Händen ausgegebenen Gelder irgendwo fehlen werden. Und wo sie fehlen werden, wissen wir alle aus Erfahrung: Bildung, Kultur, Gesundheit.
Marc Weiser, 53, selbstständiger Konzertveranstalter, Künstlerbetreuer und Musiker
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