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Gröpelinger sterben früher

Der Ortsteilatlas wurde um Gesundheitsdaten ergänzt. Die Daten zu Lebenserwartung, sowie Übergewicht und Impfstatus bei Kindern zeigen: Gesundheit und Armut korrelieren

Von Lotta Drügemöller

Es geht um Lebenszeit: Im Durchschnitt gut sieben Jahre länger lebt ein Mann in Schwachhausen als einer in Gröpelingen. Der Befund ist nicht neu, lässt sich jetzt aber für alle Bremer*innen in einer interaktiven Karte nachvollziehen. Das Statistische Landesamt hat seinen „Bremer Ortsteilatlas“ online­ um die Kategorie Gesundheit­ erweitert.

Daten gibt es dabei auch zu Über- und Untergewicht bei Kindern. Dunkelgrün leuchtet Gröpelingen – das Grün ist kein gutes Zeichen, sondern weist dem Stadtteil einmal mehr den letzten Platz in einer Gesundheitsstatistik aus: 17,6 Prozent der Kinder hier haben bei Einschulung Übergewicht. In Schwachhausen sind es nur 4,7 Prozent, bremenweit 11,4. Beim Untergewicht dagegen fällt Findorff aus der Reihe: 16,7 Prozent der Kinder wiegen vor ihrer Einschulung offiziell zu wenig.

Den totalen Schutz durch die doppelte Masernimpfung haben vor allem die Kinder in Obervieland, der Vahr und Oberneuland. Ihr Anteil liegt hier bei je über 95 Prozent – zumindest bei den Kindern, die ihren Impfpass zur Schuleingangsuntersuchung mitgebracht haben. Die Stadtteile Mitte und Vegesack schneiden schlechter ab, hier sind nur 88, respektive 82,6 Prozent der Kinder mit einem Impfpass doppelt gegen Masern geimpft.

Das Ganze hat mehr als anek­dotische Relevanz. Wer Gesundheit in Beziehung zu anderen Daten setzt, wird, so Tatjana Paeck von der Landesvereinigung für Gesundheit (LVG), immer wieder merken: „Die größte Korrelation besteht zwischen Armut und Gesundheit.“ Dass Menschen in ärmeren Stadtteilen früher sterben, hat für Bremen unter anderem schon 2017 der Paritätische Wohlfahrtsbund herausgearbeitet.

Paeck ist bei der LVG Niedersachsen/Bremen zuständig für das Projekt „Gesunde Quartiere in Bremen und Bremerhaven“. „Da wo ich wohne, mich aufhalte, zur Schule gehe, da wird Gesundheitsentwicklung geformt“, erklärt die Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin die Bedeutung des Quartiers. Armut könne für Stress sorgen. Wenn etwa die Alleinerziehende sich zwischen prekären Jobs und Kindererziehung aufreiben müsse, wenn dann noch die Sorge dazukäme, wie das Geld für den Monat reichen soll. Dazu kommt: Nicht jede ärztliche Behandlung ist kostenfrei.

„Man muss nicht nur auf das Verhalten gucken, sondern auf die Verhältnisse“, betont Paeck deshalb. Der Wohnort entscheidet, wie hoch die Lärmbelastung ist und ob es ausreichend Ärzte in der Umgebung gibt – „gerade in Bremen ist das in den armen Stadtteilen oft nicht der Fall.“ Auch ausreichend Grünflächen seien wichtig: „Es bringt nichts zu sagen:,Bewegt euch', wenn es draußen nicht auch gute Plätze dafür gibt, die niedrigschwellig sind“, so Paeck.

Die Stadt in Zahlen: Der Ortsteilatlas

Der Bremer Ortsteilatlas kann unter statistik.bremen.de/ortsteilatlas eingesehen werden. Er gibt Infos zu Altersstruktur und Wohndauer, Migrationshintergrund, Bildung, Einkommen und anderen Bevölkerungsdaten −der Betrachter kann entscheiden, ob er nach Ortsteilen, Stadtteilen oder grob nach Bezirken trennt. Auch eine Leiste gibt es, mit der man die Entwicklung der Daten über die Zeit verfolgen kann.

Die Gesundheitsdaten können seit Donnerstag eingesehen werden. Dargestellt wird die Lebenserwartung von Männern und Frauen, aber auch der Impfstatus vor der Einschulung, sowie das Über-, beziehungsweise Untergewicht bei Kindern.

Die Unterschiede im Lebensalter sind sehr deutlich und statistisch signifikant: In Schwachhausen werden Männer durchschnittlich 81,5 Jahre alt (Frauen: 85,7), in Gröpelingen sind es nur 74,3 Jahre (Frauen: 79,8). Neben Gröpelingen ist die Lebenserwartung in Walle (Männer: 75,5, Frauen: 81,6) und Woltmershausen (Männer: 75,6, Frauen: 81,5) am geringsten – vielleicht nicht ganz zufällig Wohnorte früherer Hafenarbeiter*innen.

Für Heidrun Gitter, Präsidentin der Ärztekammer Bremen, ist „Armut“ nicht die entscheidende Erklärung. „Dahinter stecken andere Faktoren“, sagt sie. In Wirklichkeit gehe es vor allem um Bildung. Dass die Betroffenen arm seien, korreliere, sei aber nicht die Ursache für gesundheitliche Probleme.­ Starkes Übergewicht bei kleinen Kindern sei eine Form der Verwahrlosung.

„Wenn wir diese Zusammenhänge nicht adressieren, kommen wir da nicht raus“, so die Kinderärztin. Eine bessere Gesundheits- und Sozialversorgung in den Quartieren, da ist sich Gitter mit Paeck einig, müsse her. Einiges geschieht in Bremen schon: Sowohl der Gesundheitstreffpunkt West als auch der Verein „Frauengesundheit in Tenever“ sind als „Best Practice“-Beispiele ausgezeichnet worden. Und in der Vahr baut sich derzeit ein eigenes Gesundheitsnetzwerk auf. „Die Bedeutung von Gesundheit im Quartier kommt erst jetzt so richtig an“, meint Paeck, „da passiert gerade ganz viel.“

Gut sei das, aber noch nicht ausreichend, meint Gitter: „Vieles beruht auf privater Förderung. Die Stadt müsste Schätze wie den Gesundheitstreffpunkt aber viel stärker öffentlich unterstützen.“

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