piwik no script img

Was Zehenschuhe über dich verratenSchweinehufe als Utopie

Das Schuhwerk erzählt viel über die Träger*in. Nicht alle Schuhe sind dabei für den langen Marsch in eine bessere Welt geeignet.

Für herausragende Ästhetik sind weder Zehenschuhe noch Trekkingsandalen bekannt Foto: China Foto Press/imago

A ls sich in den vergangenen Wochen herausstellte, dass die Faszination, die von Stiefeln ausgeht, unter meiner Leser:innenschaft nicht nur modischer Natur zu sein scheint, war für mich klar: Ich schaffe eine gemeinsame Grundlage, um alle abzuholen – nur vielleicht nicht mit dem Verkehrsmittel ihrer Wahl. In Schuhen steckt mehr über unsere Gesellschaft, als Sie denken. Keine Sorge, die Plastikschlappen bleiben heute im Schrank, wir greifen stattdessen nach zehenbetontem Schuhwerk.

In der einen Hand halten wir ein paar Zehenschuhe (Marke egal), in der anderen die ikonischen Tabi Boots von Maison Margiela. Was Zehenschuhe sind, muss ich taz-Leser:innen nicht erklären, vielleicht nur ein Satz für alle, die noch nie in Freiburg waren: Kennen Sie diese Zehensocken, in denen jeder einzelne Zeh wie bei einem Handschuh ein eigenes Abteil bekommt, während normale Socken eher wie Fäustlinge funktionieren? Das gibt es auch als unvergleichlich hässlichen Schuh.

Und dann gibt es Tabis. Bevor sie zu High-Fashion-Tretern wurden, waren es japanische Arbeiter:innenschuhe, und davor Socken, die den großen Zeh von den restlichen abtrennen. Als ich meine pinken Tabi Boots bestellte, sagte eine Freundin zu mir, die Stiefel verwandelten meine Füße in Schweinehufen. Das Erste, was ich in ihnen tat, war in einem monochromen pinken Outfit ein paar Selfies zu schießen. Als Hintergrund retuschierte ich mal was anderes hinein: Schweinefell statt Migration. Für eine muslimisch sozialisierte, vegetarisch lebende, dicke Person begeben wir uns mindestens auf die Haramstufe Fuchsia. Das Label „fette Sau“ bekommt mehr Layer als Lasagne. Bei aller Ehre: Miss Piggy could never.

Tabi Boots versus Zehenschuhe: Ihre einzige Gemeinsamkeit ist ihre Unvereinbarkeit mit herkömmlichen Socken. Das war’s. Erstere stehen für eine Sehnsucht, eine ästhetische Verfremdung unserer Sehgewohnheiten, für maßlosen Luxus, für einen Anspruch, Wirklichkeiten zu schaffen, die wir beim ersten Blick nicht für möglich halten. Unmöglich ist zwar auch der erste Eindruck, den Zehenschuhe vermitteln, jedoch auf eine traurigere Art. Sie existieren, weil sie es können. Weil der Komfort der einen über das ausgelöste Unbehagen der anderen gestellt wird.

Wenn Tabi Boots für Utopien stehen, sind Zehenschuhe die triste Realität, die uns zurück auf den Boden zerrt. Tabis sind Maßnahmen, um Gerechtigkeit für Schwarze Menschen einzuleiten, und Zehenschuhe inhaltsleere schwarze Quadrate auf Instagram. Tabis sind die Verbesserung der Verhältnisse durch Umverteilung von Reichtum, Zehenschuhe die gegenwärtige Ausbeutung von Pflegekräften und Arbeiter:innen von der Fleischfabrik bis zum Spargelfeld. Tabis sind 50 Jahre queerer Aufstand und Zehenschuhe ein Interview zum CSD-Wochenende, in dem zwei Typen mit weiß-schwuler Identitätspolitik auf nichtbinäre trans Leute spucken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

25 Kommentare

 / 
  • Ich hab sehr lachen müssen, aber der letzte Satz hat gesessen. Hab mich auch schon gefragt, warum ausgerechnet so ein Interview zwei Seiten abbekommt. Unfassbar wie repektlos das war.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Bitte, liebe Hengameh, lass Dich nicht einschüchtern und zieh nicht für die taz ins intellektuelle Schrebergärtchen! Die Polizeisatire, war der beste Text, den ich von Dir in der taz bisher gelesen habe.

    Jetzt wird wieder so getan, als könne ich mir die richtige politische Einstellung im Schuhladen kaufen. Ich ziehe übrigens auch gern mal Socken in den Sandalen an. Es lebe der schlechte Geschmack! Das hast Du in deinem letzten Schuhartikel noch selbst geschrieben.

  • Wow, schon wieder ein Artikel über Fußbekleidung! Ich ahnte ja immer schon, dass Schuhe politisch sind.



    Schön wäre es, wenn ihr entsprechende Produkte in den taz-Shop aufnehmen würdet; so ein Paar taz-Zehensneaker würde ich glatt tragen.

    • @Geggi:

      Einspruch - Euer Ehren. Klopf aufn Bush

      In den tazl-Shop wg Linkes Portal - 🤣 - :



      Nur ein Wurfkompatibler Slipper 🥿🥳



      www.youtube.com/watch?v=DCajb--SmRQ - Newahr.



      Normal •

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - unberufen

    “ Moinmoin - Hengameh plagt der Zeh.



    (Musste sie ganz unten wieder anfangen?)“

    kurz - Mal ganz langsam.



    Beim Scharren mit den Hufen.



    Nú. Offenbar reichts zu nem Paar -



    Hufer - da tritt die Spree noch nich.



    Über die Ufer - die Lanke über die 🏴‍☠️

    • @Lowandorder:

      Liegt aber reichlich Glas & Scherben auffe tazis-Planke.



      Drängt sich glatt auf der weis‘ Gedanke.



      Liggers. In der Tat - das will ich meinen:



      “Seeräuber et al. lauft nicht mit nackten Beinen!



      Das paßt nicht zum Geschäft!“



      & Däh! Normal:



      Kommste dann auch noch aus - Kiel! 😱-



      So reimt darauf - Harry klar - Nicht viel.

  • Nun, was soll ich sagen? Es ist ein Kommentar! Er spiegelt die Meinung der Autorin wieder; da es um Mode geht, geht es hier um Geschmack - und nicht um eine wissenschaftliche Wahrheit.



    Es gibt Menschen, denen gefallen diese Treter; also - warum sich aufregen?



    Es gäbe so viel an der Textil- und Schuhindustrie zu kritisieren; da würde ich mich nicht an geschmacklichen Fragen aufhängen.

  • Verdammt wieder 2 Minuten meines Lebens und eine weitere Minute mit dem Schreiben des Kommentars vergeudet.



    PS:



    Alle 3 "Schuhe " sind potthässlich , die Sandalen wenigstens nützlich.

  • 0G
    04515 (Profil gelöscht)

    Wenn ich Schuhe brauche, gehe ich zu Karstadt. Deshalb geht das Thema mir vollkommen ab.



    Aber ich war immer fasziniert von den schönen unverkrüppelten Füßen der Leute in sehr warmen Ländern, die mit chacletas oder chinelos rumlaufen und bei denen ein Zeh schön und gerade neben dem anderen steht.

  • "Kennen Sie diese Zehensocken, in denen jeder einzelne Zeh wie bei einem Handschuh ein eigenes Abteil bekommt, während normale Socken eher wie Fäustlinge funktionieren? Das gibt es auch als unvergleichlich hässlichen Schuh."



    In normalen Socken ist der große Onkel ned abgetrennt wie bei Fäustlingen; also entsprechen diese komischen Tabi-Boots eher Fausthandschuhen.



    Und mal am Rande, "Tabi-Boots" gibts auch für Männer?!? Wer (paßt hier, cis usw.) zieht sowas an? Bei den outdoor-Zehensocken in der Stadt denke ich immer, wo ist hier der nächste Baggersee, Fischtümpel oder das Flußufer den die*der Träger*in grade aufsuchen möchte *lol* ?

  • "mit weiß-schwuler Identitätspolitik auf nichtbinäre trans Leute spucken."

    Ist das "weiß" hier notwendig? Wie hätte denn hingegen schwarz-schwule Identitätspolitik ausgehen, die auf nichtbinäre trans Leute spuckt? Oder wäre es da okay, weil 2-fach Minderheit (schwarz und schwul) gegen 2-fach Minderheit (trans und nichtbinär) geht?

  • Ich bin leicht irritiert. Ist die Übernahme japanisch-tradititioneller Fußbekleidung als Modeaccesoire durch westliche Menschen nicht auch schon eine Form kultureller Aneignung?



    Steht es uns überhaupt zu, diese Form der Kleidung zu nutzen (medizinische Gründe mal außen vor)?

    • @Wundersam:

      Wundersam. Aber Klauen gehört zum Handwerk. (servíce - Volkers 👄)

  • Da musste die Redaktion dem Artikel mit eine schmissigem Teaser wohl ein wenig Pfeffer geben :-)

  • Frau Yaghoobifarah, ich liebe Sie. Und Ihren Stil. Ihre Intelligenz und geistige Beweglichkeit sucht ihesgleichen. Elegant, wie Sie die Kurve kriegen und sagen, was zu sagen ist. Meine Verehrung.

    • @apfelkern:

      "...und sagen, was zu sagen ist. "



      Fragst sich nur, was das sein soll?

  • Versucht ihr jetzt Marktanteile von BENTO zu übernehmen?

    • @LKJ:

      Hatten die welche?

  • Zehenschuhe lassen mich an Lastenfahrräder denken.

    Bei Margiela fällt mir Sido ein, aber nicht mit Tabis:

    "Mein Lifestyle Favela, die Sneakers Margiela"

    Ich selbst trage fast ausschließlich Dr. Martens. Den Schluss habe ich wie üblich nicht verstanden.

    • @Jim Hawkins:

      Da sind wohl Feddersen und Amelung ("Menschen sind keine Knetmasse") gemeint.

      • @Ewald der Etrusker:

        Ah ja, ich verstehe. Das Interview habe ich zwar auch gelesen, aber den Zusammenhang habe ich nicht gesehen.

        Danke.

  • Der erste Satz ist einfach nur ein genialer Diss, habe sehr lachen müssen. Danke ein weiteres mal für diesen großartigen Sarkasmus

  • Vielleicht sind Socken und Schuhe auch nicht nur Modeartikel? Vielleicht sind Zehensocken und -Schuhe auch DIE Alternative für Hunderttausende Leidende mit Anonalien ( bekannteste: Hallux valgus), die ihnen ermöglicht,länger einigermaßen schmerzfrei durch die Welt zu laufen?

    • @varvara:

      Unmöglich! Das würde ja die ganze "Ich habe mir hässliche teure Schuhe gekauft und nutze das wie alles andere auch zur narzisstischen Feindbildprofilierung"-Argumentation untergraben!

  • Wow! Sprachlos angesichts der Tiefe ...