LGBTI*-Widerstand gegen die Polizei: Militanz mit Resonanz
Niemand war LGBTI*-Menschen so verhasst wie die Polizei. Das hat sich durch eine öffentlichkeitswirksame Aktion im Jahr 1980 zum Besseren gewendet.
D ieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz,ausgelöst durch die Kolumne „All cops are berufsunfähig“. Als pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeitder Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer Webseite: taz.de/kolumnendebatte.
Sieben Männer und eine Frau waren an diesem sommerlichen Montagabend im Jahr 1980 mutig, aus einer Idee Praxis werden zu lassen: Sie, die Schwulen und die Lesbe, zogen zum Hamburger Spielbudenplatz, einer Freifläche der Reeperbahn. Zwei Tage zuvor hatte es in Hamburg erstmals einen CSD gegeben – klein, aber lautstark. Am Rande des Umzugs hatten Zivilpolizisten aus einem Auto heraus Fotos von CSD-Teilnehmer:innen gemacht. Das war mindestens – verdächtig.
Jetzt war der 30. Juni und längst dunkel, aber vor Mitternacht. Dort, in Wurfweite der legendären Davidwache, zog das Grüppchen in einen sinistren Keller – die Klappe, wie es einschlägig hieß, die öffentliche Toilette, auf der sich homosexuelle Männer trafen, gern auch zum sexuellen Kontakt.
An der Spitze des Trupps – Corny Littmann, eine Berühmtheit in der alternativen Theaterszene („Brühwarm“) und seit kurzem Mitspitzenkandidat der Grün-Alternativen zur Bundestagswahl. Im Toilettenraum im Souterrain: gähnende Leere. Niemand sonst da?
Der Stuhl hinterm Spiegel
Das wollte Littmann, viele Jahre später einer der mächtigsten Theaterprinzipalen der Hansestadt und erster schwuler Klubpräsident des FC St. Pauli, das wollten sie alle genauer wissen: War hinter dem Spiegel am Rande der Pinkelbecken ein Polizist, der womöglich die (schwul agierenden) Männer beobachten und gegebenenfalls zur Polizeiwache bringen ließ, um dort ihre Personalien aufzunehmen? Gerüchteweise wusste man das ja, es fehlte nur der Beweis. In der Tat konnte nun mit Hilfe eines Hammers bewiesen werden, dass hinter Einwegspiegeln Polizisten sitzen: Littmann & Co. fanden dort einen Tisch und einen Stuhl.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Medien waren zuvor über die Aktion informiert worden. Was folgte, war eine Berichterstattung, die Hamburgs SPD-Senat erheblich unter Druck setzte, ihn gar zugeben ließ, dass die Bespitzelungen auch dazu dienten, „Rosa Listen“ zu führen, Personenregister von homosexuellen Männern, rosa genannt, weil dies die entmännlichende Farbe des Winkels für schwule Häftlinge in den NS-Konzentrationslagern war. Geoutet zu werden als schwul, womöglich erpressbar durch Einträge in Polizeidateien? Gleichbedeutend mit der Zerstörung einer bürgerlichen Existenz.
Ein paar Tage später, inzwischen waren weitere Klappenspiegel zertrümmert worden und alle Blätter schrieben empört von diesen Zuständen, auch die damals noch junge taz, sogar der NDR berichtete, kam es erneut zu einer Demonstration gegen die staatliche Spitzelei: Sehr viel größer war dieser Umzug nun, viele Heteros solidarisierten sich. War der CSD zuvor noch ein Manifest der Selbstvergewisserung, erreichte diese Demo, explizit politisch, auch jene, die sich selbst nicht, wie man heute sagen würde, als queer identifizierten.
Diskriminatorischer Verfolgung der Boden entzogen
Ein Erfolg für die wachsende politische Bewegung der „Queers“ – elf Jahre nach Aufhebung der Nazifassung des Paragrafen 175, der männliche Homosexualität generell kriminalisierte. In einer Zeit, noch vor Aids, in der Schwules (und Lesbisches) sagbar wurde und das Gebot der Diskretion („Sprich nicht über Igittigitt-Dinge“), wurden nun polizeistaatsähnliche Methoden gegen die „Schwuchteln“, „warmen Brüder“ und „Hinterladen“ illegitim, illegal waren sie ja schon.
Mit der Nacht der Hammerschläge wider die Schwulenbespitzelung war staatlicher, explizit diskriminatorischer Verfolgung Homosexueller moralisch der Boden entzogen worden. Aus Verfolgten wurden Menschen, die auch polizeilich als das genommen wurden, was sie in dieser Hinsicht vor allem waren: Opfer von Nachstellung und Verfolgung. Seither musste sich die Polizei einem grundlegenden Wandel unterziehen. Heute arbeiten LGBTI*-Beamte dort (immer häufiger) ganz offen. Die meisten Bundesländer haben in ihren Polizeien LGBTI*-Ansprechpersonen, an die sich Bürger:innen – auch polizeiintern – bei Diskriminierung wenden können. Militanz lohnt also – wenn sie das Momentum erwischt, Allianzen über die eigene Szene hinaus zu stiften.
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