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Vor der Verleihung des BüchnerpreisesEine Öffnung ist nötig

Am 7. Juli wird der Träger von Deutschlands renommiertestem Literaturpreis verkündet. Oder wird es wieder eine Preisträgerin?

Die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora erhielt 2018 den Georg-Büchner-Preis Foto: dpa

Als vor einigen Monaten, Stichwort „Frauen zählen“, der Anteil von Autorinnen in Verlagsprogrammen und bei Literaturpreisen ein größeres Thema war, in der Zeit, bevor Corona alles durcheinanderbrachte, geriet auch der Büchnerpreis in den Blick. Kein Wunder. 58 Männer bekamen bislang den Preis und gerade einmal 10 Frauen.

Nicht nur deshalb kann man sich fragen, inwieweit Deutschlands immer noch renommiertester Literaturpreis, der Ende Oktober feierlich verliehen, dessen diesjährige Preisträger*in aber jetzt schon am Dienstag verkündet wird, noch zeitgemäß ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg neugegründet wurde der Preis, getragen von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, zunächst als Honoratiorenclub. Und so schaut einen von der Liste der Preisträger erst einmal Gravitätisches an. Der erste Preisträger war 1951 Gottfried Benn. In der Begründung des Preises an Karl Krolow 1956 hieß es, sein „dichterisches Werk“ vereinige „poetische Überlieferung und moderne Ausdruckskraft“. Das atmet anfangs noch ganz die Aura von Humanismus und geistiger Elite.

Folgenreich wurde dann aber ein Generationsbruch. 1963 wurde der noch jugendlich wirkende 33-jährige Hans Magnus Enzensberger ausgezeichnet. 1964 folgte als ziemlich einsames weibliches Gegenstück die 36-jährige Ingeborg Bachmann. 1965 kam 37-jährig Günter Grass und, kleiner Sprung, 1973 der 30-jährige Peter Handke – der erste Preisträger (man kann das auf der Homepage des Preises prima nachvollziehen) ohne Schlips bei der Preisverleihung, dafür mit Sonnenbrille. In der außerliterarischen Welt hatte es zwischendurch eben die Beatles, Swinging London und die Hippies gegeben.

Tradition in der Büchnerpreis-DNA

Das alles ist längst Literaturgeschichte. Interessant bis heute ist aber, dass von Anfang an also zwei sehr unterschiedliche Traditionen nebeneinander existieren. Vergeben wird der Büchnerpreis zum einen als Auszeichnung für ein Lebenswerk. Das ist der Akademieaspekt dieses Preises, besonders wichtige Autor*innen werden durch ihn in den geistigen Adelsstand erhoben. Sein Gewicht und seine Durchschlagskraft hat der Büchnerpreis aber vor allem dadurch, dass zum anderen auch literarische Shootingstars gewürdigt werden.

Auch diese Tradition ist der Büchnerpreis-DNA eingeschrieben. Man kann das mit einer Krönung vergleichen: Der Literaturbetrieb erkennt neue Königinnen und Könige an. Der Namensgeber wirkt auratisch im Hintergrund – Georg Büchner, das früh gestorbene Junggenie, der Schriftstellerrevolutionär.

Im Zuge der langen intellektuellen Gründung der alten Bundesrepublik war dieser Generationsbruch natürlich wichtig. Zuerst kam Enzensberger, dann kam achtundsechzig! Und man kann in diesem Zusammenhang durchaus die These vertreten, dass gerade der Büchnerpreis den Schriftstellertypus des männlichen, und heute würde man mit Blick auf Grass und teilweise auch Handke sagen: auch kraftmeiernden Junggenies kanonisiert hat.

Bei Licht besehen ist diese Tradition genauso autoritär wie die patriarchale. Und beide sind eben im Kern männlich, mit Frauen als Ausnahmen von der Regel.

Konservative Richtungsentscheidungen

Wenn man die Preisträgerliste weiter durchgeht, stößt man auf viel Suhrkamp-Kultur, viele FAZ-Buddies, auf unvermeidliche Namen (Heiner Müller, Peter Rühmkorf, Botho Strauß, Christa Wolf), auf einige vermeidliche und auch auf einige konservative Richtungsentscheidungen: Ausgezeichnet wurde 2007 Martin Mosebach und nicht etwa Uwe Timm, 2013 Sibylle Lewitscharoff und nicht etwa Marlene Streeruwitz. Parallel wurden im Feuilleton Fachfragen des katholischen Ritus diskutiert.

Der Büchnerpreis wirkte dabei hegemonial. Autorenkarrieren waren bis in die frühen 1960er Geburtsjahrgänge hinein dramaturgisch oft auf den Büchnerpreis als abschließenden Bestätigungs- und Sinnstiftungspunkt geradezu angelegt, und viele sind dann leer ausgegangen.

Der Büchnerpreis vollzieht einige Öffnungsbewegungen des Literaturbetriebs mit, tut das aber zögerlich, nachholend und nicht voranschreitend

Spätestens seit den Siebzigern hat aber auch wie ein Schatten immer ein Gegenkanon von eben gerade nicht mit dem Büchnerpreis ausgezeichneten und teilweise auch nicht ausgezeichnet werden wollenden Autor*innen existiert: Arno Schmidt, Rolf Dieter Brinkmann (der, wenn er länger gelebt hätte, aber den Preis bestimmt bekommen hätte) oder Jörg Fauser (der den Preis nie und nimmer bekommen hätte, selbst wenn er steinalt geworden wäre).

Offizialkultur und Gegenkultur, Akademiekanon und Gegenkanon, das war in der intellektuell in manchem noch sehr durchhierarchisierten zweigeteilten Welt der alten Bundesrepublik und der DDR der Stand.

Der Eindruck der Suche

Zentral beim Nachlesen der Preisträger*innen ungefähr seit dem Jahr 2000 wird dann aber etwas anderes: der Eindruck der Suche. Die Jurys des Büchnerpreises versuchen irgendwann, einen Begriff von Hochliteratur über die Zeit zu retten, einen engeren Bereich des eigentlich Literarischen auszumachen und herauszuheben, den sie aber zugleich nicht mehr genau bestimmen können. Das ist eigentlich bis heute so.

In Terézia Mora ist 2018 immerhin eine Autorin mit Migrationshintergrund angekommen. In Rainald Goetz wurde 2015 ein Autor, der Internet, Pop und Theorie feiert, sanktioniert (von einer Akademie, wohlgemerkt, in der viele Mitglieder immer noch die sozialen Medien als Gefahr und Sprachverhunzung verdammen).

Aber was verbindet Mora und Goetz etwa mit den Preisträgern von 2017, Jan Wagner, oder 2014, Jürgen Becker? Der Büchnerpreis, hat man den Eindruck, vollzieht einige Öffnungsbewegungen des Literaturbetriebs mit, tut das aber zögerlich, nachholend und nicht wie in den Sechzigern voranschreitend, als er den gesellschaftlichen Entwicklungen voraus war.

Die aktuelle Jury erscheint für Öffnungen durchaus gut aufgestellt. Zieht man die drei politischen Mitglieder der Bundesregierung, das Landes Hessen und der Stadt Darmstadt ab, ist sie perfekt quotiert: fünf Männer, fünf Frauen. Außerdem hat sie, den Übersetzer*innen und der Auslandsgermanistik sei Dank, eher eine europäische denn eine rein deutsche Anmutung. Ein Ungar ist darunter, eine Professorin aus Barcelona, ein Schwede mit griechisch-österreichischem Hintergrund.

Die Modelle verschieben

Es kann nun nicht ihre Aufgabe sein, jetzt auch vermehrt Frauen und/oder Autor*innen mit Migrationshintergrund zu finden, die in die beiden vom Büchnerpreis bislang vorgegebenen Autorenmodelle des Patriarchen/zukünftigen Klassikers einerseits oder des Junggenies andererseits passen. Vielmehr müsste man die Modelle selbst verschieben.

Wenn der Büchnerpreis tatsächlich zeitgemäß bleiben soll, geht es eher darum, Autorenmodelle hervorzuheben und sichtbar zu machen, die in unsere diverser, auch selbstbewusster gewordene und literarisch nicht mehr so autoritätshörige Zeit passen.

Das wären Autor*innen, die natürlich ernsthafte Bücher schreiben, aber auf Genieansprüche pfeifen und in der außerliterarischen Welt nicht mehr nur die Barbarei vermuten, von der es sich abzugrenzen gilt. Die die Welt der Bücher nicht per se für etwas Besseres halten, selbstironisch sind und den Abgrund zu den Welten des Internet und auch der medialen Kulturen (Serien, Musik, Computerspiele) nicht mehr überbrücken müssen, weil sie ihn nämlich gar nicht mehr sehen. Beim Leipziger Buchpreis und dem Deutschen Buchpreis gibt es inzwischen solche Preisträger*innen.

Die These steht jedenfalls im Raum: Erst wenn der Büchnerpreis sich vom auratischen Autorenmodell verabschiedet, wird er sich auch essenziell öffnen können für Autorinnen und Schriftsteller*innen der ersten, zweiten und inzwischen längst auch dritten Einwanderergeneration.

Krisenbeispiel Nobelpreis

So eine Öffnung ist, wie der Nobelpreis zeigt, mit Risiken verbunden. Der Nobelpreis wurde letztlich zwar durch einen MeToo-Fall erschüttert, in den Augen vieler war er aber schon vorher in die Krise geraten, eben weil er den auszeichnungsfähigen Literaturbereich entschieden erweitert hat.

In Bob Dylan einen Musiker als Preisträger, durch die Auszeichnung für Swetlana Alexijewitsch die literarischen Grenzen zum Sachbuch hin geöffnet – das verkraften viele Beobachter nicht. Literatur ist für sie im Zweifel lieber etwas Unzeitgemäßes als etwas Offenes und Egalitäres.

Was man immer sehen muss, ist, wie groß die Sehnsucht im Literaturbetrieb nach festen Hierarchien, klaren Abgrenzungen und auratischen Autoritätspersonen immer noch ist. Solange der Büchnerpreis diese Sehnsucht weiterhin bedienen will, wird er sich nicht wirklich öffnen können.

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