piwik no script img

Fanvertreter über kaputtes Fußballsystem„Sport hat seinen Zauber verloren“

Fanvertreter Jan-Henrik Gruszecki erklärt, weshalb die Basisinitiative „Unser Fußball“ noch vor September die Einleitung von Reformen einfordert.

Zeit der stummen Pappkameraden geht zu Ende: Leibhaftige Fans melden sich zu Wort Foto: Ronald Wittek/dpa
Interview von Johannes Kopp

taz: Herr Gruszecki, kurz bevor die Bundesliga sich in die Sommerpause verabschiedet, schmiedet die deutsche Fanszene das Bündnis „Unser Fußball“, um die Deutsche Fußball-Liga unter Reformdruck zu setzen. Kommt die Initiative nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt?

Jan-Henrik Gruszecki: Das glaube ich nicht. Wir wollten den Herren Funktionären für die Sommerzeit ein paar Hausaufgaben mitgeben. Der Fußball hat in den letzten Monaten an Rückhalt in der Gesellschaft verloren. Das zeigen etwa die TV-Quoten der ARD-„Sportschau“ und des ZDF-„Sportstudios“ oder Kommentarspalten der Zeitungen. Zum Großteil werden jetzt Dinge angeprangert, die Fans seit Jahren thematisieren. Wir wollten uns am Ende, wo die meisten Entscheidungen in der Bundesliga schon gefallen sind, noch einmal positionieren.

Wie schwierig ist es, in Pandemiezeiten Faninteressen zu koordinieren?

Digital findet man schneller zusammen, als ein gemeinsames Treffen an einem Tag X zu organisieren. Aber natürlich hat die Gesprächsatmosphäre nicht die gleiche Qualität. Man muss einige Runden mehr drehen. Da stecken schon einige Monate Arbeit dahinter.

Die Deutsche Fußball-Liga hat doch ohnehin geplant, dass die Taskforce Zukunft Profifußball im September ihre Arbeit aufnimmt und Reformen anstoßen soll.

Wir wollen noch vor September einen Grundsatzbeschluss der Vereine, der die Richtung konkreter Reformen vorgibt. Der Beschluss muss darauf abzielen, dass der Fußball grundlegend neu gestaltet wird. Dazu gehört, dass die Fans zeitnah in einen intensiven Dialog mit ihren Vereinen treten und lokal Prozesse anstoßen.

Die DFL hat den Fans einen Platz in der Taskforce in Aussicht gestellt. Hat sich schon jemand gemeldet?

Nein. Aber die Taskforce kann die Organisationsform nicht bevormunden. Am Ende liegt die Entscheidung ja bei den Vereinen und nicht der Taskforce, da darf man die Erwartungshaltung nicht überhöhen. Genau deswegen ist es ja wichtig, dass es 50+1 gibt und die Vereinsvertreter die Interessen der Mitglieder vertreten. Wenn die Mehrheit der 36 Vereine etwas will, muss das umgesetzt werden. Deshalb wollen wir, dass die Mitglieder- und Faninteressen vor allem da gehört werden.

Im Interview: Jan-Henrik Gruszecki

Der Fan: Der 35-Jährige ist in der Fanszene von Borussia Dortmund aktiv, Sprecher des Bündnisses Südtribüne und selbstständiger Unternehmer.

Die Faninitiative: „Unser Fußball“ fordert von Vereinen und Verbänden in einem am Mittwoch veröffentlichten Aufruf, die Zukunft des Fußballs grundlegend neu zu gestalten. „Wir wollen nicht zurück zu einem kaputten System.“

Die Ziele: Die Fans fordern vor September „einen glaubhaften Grundsatzbeschluss sowie die Einleitung konkreter Reformen“.

Die Unterstützer:innen: Am Freitagnachmittag haben 1.838 Fanklubs und 8.201 Einzelpersonen den Aufruf von „Unser Fußball“ unterschrieben.

Der Geschäftsführer vom 1. FC Köln, Horst Heldt, hat gefordert, man müsse nun mehr auf Faninteressen eingehen. Sind das Zeichen für einen Bewusstseinswandel in der Krise oder schöne Sonntagsreden?

Manchmal denkt man schon an Goethe: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Man muss schauen, wie Horst Heldt dann auf einer DFL-Mitgliederversammlung abstimmt, wenn es um die Wurst geht.

In der Erklärung von „Unser Fußball“ heißt es, es brauche einen glaubhaften Grundsatzbeschluss. Das klingt schwammig. Was wäre glaubhaft?

Glaubhaft ist erst einmal etwas Verbindliches. Die Schere zwischen den Klubs darf nicht weiter auseinandergehen. Es muss wieder einen Wettbewerb in der Bundesliga geben. Der Sport hat seinen Zauber verloren. Er ist sich selbst zu groß geworden.

Es wird die Einleitung konkreter Reformen gefordert? Was wären die wichtigsten Anliegen?

Es braucht ein deutlich strengeres Financial Fairplay in der Bundesliga als auf europäischer Ebene. Die Vereine dürfen nicht mehr gezwungen sein, sich hoch zu verschulden, um den nächsten erfolgreichen Schritt zu machen. Das Rattenrennen muss endlich aufhören. Der Erhalt der 50+1 Regel, die bereits aufgeweicht wurde, ist wichtig. Das Rad müsste deutlich zurückgedreht werden. Von Investoren finanzierte Vereine sollten bei der TV-Geldverteilung kürzer gehalten werden.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Vor dem Ausbruch der Coronapandemie standen die Fans noch am Pranger. Verband und Vereine beklagten den feindseligen Umgang mit Mäzen Dietmar Hopp. Die Fans den erneuten Tabubruch der Kollektivstrafen. Sie wurden ins ZDF-„Sportstudio“ zur Diskussion eingeladen. Weshalb sind Sie nicht gekommen?

Ich habe nicht gekniffen. Ich war mit DFB-Vizepräsident Rainer Koch eingeladen. Der wurde aber von seinen DFB-Kollegen eindringlich gebeten, nicht in die Sendung zu kommen. Deshalb ist die Diskussion ausgefallen.

Klingt wie aus einem anderen Zeitalter.

Da ist viel unter den Teppich gekehrt worden.

Wäre das auch ein Thema für die Taskforce Zukunft Profifußball, wenn Sie dabei sind?

Die Initiative „Unser Fußball“ ist nicht als Bittgesuch für eine Aufnahme in die Taskforce zu verstehen. Viele Fans wollen einfach das Bedürfnis ausdrücken: So geht es nicht weiter. Wir können nicht alles unter den Teppich kehren. Dass der DFB immer noch korrupte Funktionäre wählt und unterstützt. Dass Korruptionsskandale nicht aufgeklärt werden, Prozesse verschleppt werden, bis sie verjährt sind. Bei der Aufregung um Dietmar Hopp hat man sich schon gedacht: Boah, ihr wollt moralisch jetzt über uns richten?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!