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Bibliotheksnutzer bringt Buch zurückAusgeliehen auf 46 Jahre

1974 hat ein Berliner ein Buch in einer Bücherei ausgeliehen, jetzt hat er es zurück gegeben. Bleibt die Frage: Wie hoch waren die Mahngebühren?

Haben Sie auch noch einen alten Schinken zu Hause? Foto: dpa

„Meins oder deins? Was für ’ne doofe Frage!“, diesen Grips-Theater-Klassiker trällerten Westberliner Kinder Anfang der 70er – eine ferne Zeit, in der es manchem so scheinen wollte, als würde die bürgerliche Bastion des Privateigentums ins Wanken geraten.

Ob dies auch das, wie man heute so sagt: mindset des uns namentlich nicht bekannten jungen Mannes war, der anno 1974 den Band „Probleme der Reichsgründungszeit 1848–1879“ aus der Senatsbibliothek entlieh, um ihn für seine Abschlussarbeit zu exzerpieren? Wir werden es wohl nie erfahren. Was wir wissen: Der Nutzer hat Band 26 der „Neuen wissenschaftlichen Bibliothek“ aus dem Verlag Kiepenheuer & Witsch in dieser Woche der Zentral- und Landesbi­bliothek (ZLB) zurückgesandt.

In tadellosem Zustand übrigens, wie die Beweisfotos der ZLB auf Twitter vermuten lassen. Es gab dazu auch noch einen herzlichen Brief des Entleihers, wie ZLB-Sprecherin Anna Jacobi bestätigt. Der Mann habe in der Zeitung von einem ähnlichen Fall gelesen und sich seiner eigenen Dauerleihgabe erinnert. Offenbar hatte er nie eine Aufforderung zur Rückgabe erhalten.

Jetzt kehrt der Band mit Aufsätzen von einst Großen der HistorikerInnenzunft – Hans-Ulrich Wehler, Heinrich August Winkler – und Beiträgen wie „Die protektionistischen Interessen der deutschen Eisen- und Stahlindustrie 1873–1879“ in eine jahrzehntealte Regallücke zurück, irgendwo in den Beständen des ZLB-Außenmagazins, die zurzeit coronabedingt nicht entleihbar sind. So kann sich das Buch akklimatisieren, bevor es erneut entliehen (unwahrscheinlich) oder Opfer einer Entrümplungswelle wird (schon wahrscheinlicher).

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Die große Frage lautet natürlich wie immer: Was kostet’s? Gemäß der aktuellen Gebührenordnung werden pro Kalendertag 25 Cent Säumnisentgelt fällig. Auf die letzten 46 Jahre rückwirkend angewandt (wer weiß, ob das rechtssicher wäre), käme eine saftige Buße von rund 4.000 Euro zustande.

Mit gewisser Strenge weist Sprecherin Jacobi darauf hin, dass Leihbücher selbstverständlich zurückzugeben sind, weil sie letztlich allen gehören (von wegen meins/deins). Aber auch in diesem Fall überwiegen die Freude über die Heimkehr des Werks und die Anerkennung später Reue: „Unsere Mahnstelle hat sich bedankt und verzichtet auf Gebühren.“ Ende des Kapitels.

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1 Kommentar

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  • So amüsant es auch sein mag, die Höhe der über 46 Jahre angefallenen Mahngebühren zu berechnen. Gleichermaßen glimpflich geht eine längere Fristversäumnis in deutschen Bibliotheken leider eher selten aus. Mahngebühren im vierstellligen Bereich sind keineswegs atopisch, sondern die Realität. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hielten es 2018 und 2019 für verhältnismäßig, dass eine Nutzerin 1000 € Mahngebühren (insgesamt 2250 € Mahn- und Verwaltungsgebühren) für das Versäumnis entrichten muss, 50 entliehene Medien, die offenbar nicht vorbestellt waren, über mehr als drei Monate zu verlängern (VG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.2018, Az. 15 K 1130/16; OVG NRW, Beschluss vom 20.11.2019, Az. 15 A 4408/18). Die Entscheidung über die 1000 € Mahngebühren ist rechtskräftig. Nur bezüglich der weiteren 1250 € für Verwaltungskosten hatte das OVG ausreichend Zweifel, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung stattzugeben. Die Presse informierte über die Entscheidungen des VG und OVG sachlich (oder mit Häme gegenüber der betroffenen Nutzerin). Dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn das VG und das OVG diese pflichtgemäß systematisch und ergebnisoffen durchgeführt hätten, spätestens beim Prüfschritt ‘Erforderlichkeit’ gescheitert wäre, fiel niemandem auf.