Corona schadet Öl- und Gasindustrie: Fracking leidet unter Virus
Der Zusammenbruch der Nachfrage nach Öl und Gas durch Corona trifft die US-Schiefergasförderer hart. Jobs sind in Gefahr, Erneuerbare profitieren.
Mit Chesapeake aus Oklahoma City trifft es einen Pionier der Schiefergasindustrie, aber es ist nicht das erste Unternehmen. Schon im April war die Whiting Petroleum Corporation betroffen, weitere folgten. Das Desaster trifft eine lange boomende Branche mit Tausenden Jobs, Milliardeninvestitionen liegen auf Eis. Umweltschützer dagegen hoffen auf eine Atempause fürs Klima und einen Konkurrenzvorteil für die erneuerbaren Energien.
Der Zusammenbruch der Nachfrage nach Öl und Gas durch die Pandemie hat die US-Fracking-Industrie hart getroffen. Seit Mitte März fiel die Zahl der aktiven Öl- und Gasbohranlagen in den USA um etwa 50 Prozent und erreichte im Mai das niedrigste Level seit 1987. Die Ölförderung brach um 11 Prozent ein. Laut der Beraterfirma Rystad Energy sind bereits mehr als 100.000 Jobs eingespart worden.
Der Preisverfall bedroht die ganze Industrie, denn die Förderung ist aufwendig und teuer. US-Firmen gelten als Pioniere bei der Technik des horizontalen Bohrens und dem anschließenden „Hydraulic Fracturing“ – dem „Fracking“, das Öl und Gas aus bislang nicht erschließbaren Gesteinsschichten holt.
Netto-Exporteur von Öl und Gas
Mit dem Boom haben sich die USA in den vergangenen Jahren vom Netto-Importeur zum Netto-Exporteur von Öl und Gas gewandelt. Vor allem auf diesen billigen fossilen Rohstoffen beruht die Politik der aggressiven „Energie-Dominanz“, mit der die US-Regierung Märkte und Regierungen auf der ganzen Welt unter Druck setzt.
Der Ölpreis hat sich zwar nach Rekordtiefständen wieder etwas erholt. Jedoch gilt das Fracking schon lange als finanziell extrem risikoreich – und war schon vor der Pandemie in Schwierigkeiten. Die Industrie sitzt auf einem riesigen Berg Schulden. Bereits 2019 meldeten laut Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) insgesamt 42 US-Fracking-Firmen Konkurs an. Dabei ging es um fast 26 Milliarden Euro Schulden – doppelt so viel wie im Jahr zuvor.
Für den Export des Gases entstehen derzeit für Dutzende von Milliarden Dollar Terminals an der US-Küste. Auch hier hinterlässt die Coronakrise erste Spuren. „Wir erleben echte Veränderungen in der Nachfrage und eine erneute Skepsis der Investoren gegenüber dem Flüssigerdgas-Boom,“ sagt Clark Williams-Derry, Energie-Finanzanalyst beim IEEFA. „Der Brennstoff hat seinen Glanz verloren. Er ist nicht mehr der Musterknabe des Öl- und Gassektors.“
Nachfrage nach Flüssigerdgas wächst nicht mehr
Es gebe derzeit 60 Prozent weniger bestellte Ladungen als im März. Anfang Juni schickten die USA nur ganze fünf Flüssiggastanker aufs Meer – mit so wenig Volumen wie seit Juni 2017 nicht mehr. Deshalb verzögere sich der Bau von geplanten Exportterminals, sagt Williams-Derry. „Es ist fast sicher, dass ein Teil davon nicht gebaut wird.“
Auch langfristig werde die Nachfrage nach Flüssigerdgas nicht mehr wachsen wie bisher angenommen, sagt der Analyst. „Das gibt den erneuerbaren Energien mehr Zeit, an Boden zu gewinnen – sowohl im Hinblick auf Kostensenkungen als auch auf technologische Verbesserungen.“
Für das Klima ist die Krise also positiv – zumindest vorerst. „Durch das Runterfahren der globalen Wirtschaft und dadurch bedingte geringere Förderung werden die Treibhausgasemissionen sicherlich sinken, aber ich erwarte nicht, dass das von Dauer ist“, sagt Colin Leyden, Experte der Umweltorganisation Environmental Defense Fund (EDF).
Laut Leyden könnte die Krise aber eine Chance sein. Denn nicht nur beim Verbrauch, sondern auch bei der Öl- und Gasförderung werden große Mengen Treibhausgasemissionen freigesetzt. Einerseits entweicht bei Produktion und Transport Methan – der Hauptbestandteil von Erdgas und als Treibhausgas um ein Vielfaches stärker als CO2.
Image des saubersten fossilen Brennstoffs
Anderseits kommen Gas und Öl häufig aus ein und demselben Bohrloch. Ist die nötige Speicher- und Transportinfrastruktur noch nicht vorhanden, wird das Begleitgas abgefackelt, um die sehr viel lukrativere Ölförderung nicht aufzuhalten. In bestimmten Gebieten von Texas führte das zuletzt zu sehr hohen Emissionen. Dabei haftet Gas immer noch das Image des saubersten fossilen Brennstoffs an.
Hier, so Leyden, sollte man ansetzen. In Gesprächen mit Unternehmen versuchen er und seine KollegInnen die Industrie dazu zu bringen, die jetzige Phase verminderter Tätigkeit zu nutzen, um die Produktion sauberer zu bekommen. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, uns auf einen anderen Pfad zu lenken – vor dem nächsten Boom.“
Die Recherche für diesen Artikel wurde durch den American Council on Germany und Clean Energy Wire unterstützt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“