piwik no script img

Konsumkritik und CO₂-KompensationNicht gut, aber ein Anfang

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

CO₂ zu kompensieren ist besser als nichts und beruhigt das Gewissen. Aber warum nur beim Fliegen? Es könnte Vorbild für andere Ökosünden sein.

Fly me to the moon … „Klima-Ablasshandel“ – Heilmittel gegen das schlechte Gewissen? Foto: Patrick Pleul/picture alliance

A lle Jahre wieder, kurz vor Weihnachten, ist mein schlechtes Gewissen garantiert: Klimakonferenz, meist irgendwo weit weg, und im Zweifel steige ich ins Flugzeug. Das schlechte Gewissen, das sich neben mir auf dem Economy-Sitz breitmacht, knebele ich mit folgenden Überlegungen: Jemand muss von den Konferenzen berichten, sonst schaffen die da noch weniger. Privat fliege ich kaum. Und: Ich zahle ja eine Kompensation. Übrigens privat, nicht auf Kosten der taz.

Beim „Kompensieren“ über Anbieter wie „myClimate“ oder „Atmosfair“ werden Projekte finanziert, die anderswo CO2 in der Höhe vermeiden, wie ich sie anteilig durch meinen Flug erzeuge. Konkret: Einmal Lima zur COP 24 im Jahr 2014: 6,1 Tonnen CO2, 142 Euro. Manche nennen das „Klima-Ablasshandel“. Soll heißen: Das funktioniert wie die Praxis der katholischen Kirche im Mittelalter, den Menschen ihre Sünden gegen Geld zu vergeben. Wer genug Geld hatte, konnte fröhlich weitersündigen.

Bei mir klappt das nicht. Ein gutes Gewissen stellt sich nicht ein, wenn ich aus dem Kabinenfenster die Turbinen sehe und an das verbrannte Kerosin denke. Ich weiß auch: Nicht alle Anbieter sind so seriös wie meine Auswahl, deren Arbeit überprüft wird. Heute pflanzt ja noch der letzte Onlineshop irgendwo Bäume, um sein Paket „klimaneutral“ zu nennen. Atmosfair nicht, da fließt das Geld etwa in Biogasanlagen in Afrika, um CO2 zu vermeiden und den Menschen vor Ort ein besseres Leben zu garantieren.

Alle Kompensationen haben ihre Probleme: Erst einmal ist mein CO2 in der Luft – bis ein neuer Ofen oder ein Baum über seine Lebenszeit so viel Treibhausgase bindet, wie ich in 12 Stunden ausstoße, war ich schon bei Dutzenden anderen Konferenzen. Der Baum kann gefällt werden, der Ofen kann kaputtgehen. Das Geld kann irgendwo versacken. Die Strukturen, die die Emissionen verursachen, ändern sich nicht.

Kompensieren ist besser als nichts

Nur reiche Menschen, weltweit höchstens 10 Prozent der Weltbevölkerung, gönnen sich den Luxus, die Atmosphäre durch Fliegen zu versauen und durch das Bezahlen dafür ein bisschen weniger zu ­schädigen. Dadurch greift ein Denken um sich, man könne auch den Umwelt­sch(m)utz ökonomisieren: Wenn es was kostet, verschwindet das Problem, lautet diese Scheinlösung.

Und trotzdem bin ich für das Kompensieren. Erst einmal ist es besser als nichts. Zweitens setzt es das Prinzip um, dass der Verursacher von (Umwelt-)Schäden sie wieder ausgleichen soll – zumindest ein bisschen. Drittens macht es latent ein schlechtes Gewissen, was bei anderen Entscheidungen (SUV oder E-Mobil) helfen kann. Es bringt zumindest ein bisschen Geld in Regionen und Projekte, die es nötig haben.

Vor allem aber kann hier das Fliegen zum Vorbild werden. Wir sollten uns daran gewöhnen, auch andere Ökosünden auszugleichen. Wer mit seinem Straßenpanzer 20.000 Kilometer im Jahr fährt, sollte sich auf eine saftige Rechnung gefasst machen. Denn diese Schäden werden keineswegs durch Steuern ausgeglichen, die er zahlt. Wer Fleisch isst, wer im Garten Heizpilze entzündet, wer immer noch keinen Ökostrom bezieht – kommt alles auf die Rechnung. Wenn wir denken, alles sei eine Frage des Geldes, dann bitte konsequent. Mal sehen, wie grün uns der Geldbeutel machen kann. Wenn das Kompensieren beim Fliegen dafür ein Anfang ist, kann auch ein schlechtes ­Gewissen Gutes bewirken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Die Rede vom elenden Sünder. Oh Herr. Und ich dachte, ich würde in einer säkularen Gesellschaft leben.

  • Den Überschwemmungen und Stürmen im Globalen Süden sind ja Gewissensmomente egal.

  • Wir müssen nicht fragen, wer an den Biogas-Anlagen und an den Patenten für andere Klimaschutz-Globuli-Technik (nicht nur beim Technologie-Export) verdient. Wir wissen es! Dabei könnten wir es uns erlauben, diese Technologie kostenlos abzugeben, wenn uns etwas am Klima gelegen wäre. Allerdings steht diesem Ansatz die Frage entgegen: Wie soll sich ein Mitarbeiter eines Anlagenbauers (o.ä.) bei uns ein E-SUV (die meisten E-Mobile sind SUV!) leisten können, wenn wir so handeln würden? Es würde nichts zur Veredelung unseres Lebensstils, und schon gar nichts zu unserem BSP beitragen.

    Aber selbst wenn wir die vorhandene Technologie kostenlos abgeben würden, löst die beispielhaft genannte "Biogas-Anlage" nicht das Problem. Nicht die armen Staaten dieser Welt produzieren hauptsächlich CO2, sondern wir (auch bei der Herstellung von Gute-Gewissen-Anlagen (CO2-Rucksack)). W I R kompensieren überhaupt nichts! Weil W I R nichts verändern und nichts reduzieren! Die Tonnen CO2 für einem Flug sind in der Atmosphäre, Punktum! Für mehr als 120 Jahre oder anders ausgedrückt: 30 Legislaturperioden!

    Zum Thema Öko"sünder": "Wir sind alle kleine Sünderlein" wusste schon Willy Millowitch



    www.youtube.com/watch?v=ucIakYrV3Vo

    • @Drabiniok Dieter:

      Die ganze Problematik ist komplexer, als Sie glauben machen wollen.

      Richtig, das ganze Themenkomplex "geistiges Eigentum" (Copyrights, Patente, Markenrechte" ist eine verzweifelte Wucherung des Kapitalismus, Wachstum weiter simulieren zu können, nachdem die letzten "freien [1]" Ecken der Welt verteilt sind. Das muss gesondert angegangen werden.

      Dennoch:

      "E-SUV". Ja, klar: weg damit. Wir können damit anfangen, laut zu meckern, dass diese nicht vom Staat gefördert werden.

      "Nicht die armen Staaten dieser Welt produzieren hauptsächlich CO2"

      Und das, 'tschuldigung, ist so arrogant, dass es peinlich ist. Die "da unten" würden auch gerne so leben. Deshalb drücken sie auf die Tube und versuchen, genau denselben Mist in kürzester Zeit nachzuholen, den wir in den letzten rd. 200 Jahren vorgeführt haben.

      Warum glauben Sie denn, dass die Chinesen sich alles gefallen lassen, was ihre autoritäre Regierung ihnen so zumutet? Weil sie besonders dumm sind? Nein, die Tatsache ist, dass China mehr Menschen aus der Armut geholt hat in den letzten rd. 50 Jahren, als der Rest der Welt. Bei aller (berechtigter!) Kritik an diesem System ist es nur zu verständlich, dass die Leute dort dem System die Stange halten.

      Ich schätze, Sie wissen gar nicht, was Armut ist (ich weiss, dass ich es auch nur abstrakt kenne!).

      Was ist unserer Teil daran? Alternativen suchen. Und da helfen solche Projekte durchaus.

      Sich zurücklehnen und sagen "die sind alle doof" ist nur eine allzu billig verschlüsselte Form von "ich habe keinen Bock, mich damit zu beschäftigen".

      [1] wenn man von diesen paar "Wilden", die wir abgeschlachtet haben mal absieht.

      • @tomás zerolo:

        Ich bin es fast müde, seit fast 40 Jahren darauf hinzuweisen, dass man ein Feuer nicht dadurch löschen kann, indem man über den Feuchtigkeitsgrad der Holzscheite streitet, die man mit "Löschabsicht" hinein werfen soll. Sie kennen die Fakten zu den Hauptverursachern des Klimawandels. Ihre Anmerkungen gehen an meinen sachlichen Hinweisen vorbei, die alles andere als "arrogant" sind. Widerlegen Sie diese bitte mit Inhalten, und nicht mit Ablenkungen.

        Dennoch einige Anmerkungen:



        Es geht nicht darum, dass die "da unten" auf unserem Lebensstil leben wollen. Denen geht es aktuell primär darum zu überleben, und nicht darum, welches Auto oder welches streaming Abo sie kaufen wollen. (Und ob der Staat dafür Prämien zur Verfügung stellt)



        Es ist das typische Abwehrargument für jedes Thema, mit dem wir unseren High-End-Lebensstil verteidigen. Es ist die Angst vor Umverteilung, die Angst vor Verlust von Privilegien, die Angst vor dem Teilen, die Angst vor "Überfremdung", und der Angst, unsere Verantwortung anzuerkennen, dass unser Wohlstand auf Kosten der Ausbeutung von denen "da unten" über Jahrhunderte und bis heute wächst.

        Es geht bei denen "da unten" auch nicht um China. Ich erlaube mir den Hinweis, dass Thomas Piketty (oder war es Ulrike Herrmann?) vor drei Jahren in einer Analyse darauf hingewiesen hat, dass die sprunghafte Wohlstandentwicklung in China so zu Stande kam, dass bis vor wenigen Jahren dass Einkommen der x-Mio. Landbevölkerung mit 0 Dollar/Tag und nun mit 1,50 Dollar/Tag in die Statistik einfließt. Ein gigantischer Wohlstandgewinn, dank Statistik! Nicht nur (Landflucht), aber auch!

        Ich weiß sehr wohl (auch aus persönlicher Erfahrung) was Armut in unserem Land bedeutet. Aber von der Armut z.B. in in den Hütten rund um die Koltangruben, auf den Müllhalden oder vertrocknenden Ackerflächen auf dem afrikanischen oder südamerikanischen Kontinent habe ich nur Bilder, die mich an unsere Verantwortungslosigkeit und unsere Eigennutzinteressen erinnern.

        MfG

        • @Drabiniok Dieter:

          "Es ist das typische Abwehrargument für jedes Thema, mit dem wir unseren High-End-Lebensstil verteidigen"

          Dieser Satz lässt mich erahnen, dass wir uns gründlich missverstehen. Da sind wir nämlich so sehr auf einer Linie, dass kein Blatt Papier dazwischen passt.

          Was den CO2-Ablasshandel betrifft: ich sehe es auch nicht als "die Lösung". So lange wir aber nichts anderes haben, her damit. Je mehr desto besser. Mit dem Rest nicht aufhören.

          Was China und die Armut betrifft: klar, ein Teil ist sicher statistischer Trick, aber vermutlich nicht alles. Können Sie sich näher an Details dieser Analyse erinnern (so dass ich sie vielleicht finden kann)?

          Grüsse zurück :)

          • @tomás zerolo:

            Ich erinnere mich, dass dieser Hinweis sich auf eine UN-Studie über die globale Wohlstandentwicklung bezog. Leider erinnere ich weder Jahr noch UN-Institution, und bin mir auch "nur" relativ sicher, dass es Piketty war.



            Ich leihe mir Bücher aus der Stadtbibliothek aus, weshalb ich leider nicht präziser (Titel, Seitenzahl) werden kann. Online war darüber nichts zu lesen, sonst hätte ich diese Info sicherlich archiviert.



            Tut mir leid, für diese von mir unzureichend belegte Information über die Wohlstandstatistik. Meine Erinnerung ist kein valider Beleg. Manche Infos bleiben einfach in meinem Gedächtnis hängen.