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Zum Examen in die Messehalle

Wie schreibt man zu Coronazeiten Prüfungen? Die Universitäten spielen gerade verschiedene Modelle durch – und stoßen dabei auf diverse Hindernisse

Von Georg Sturm

Anderthalb Jahre lang hatte Davy Wang fast täglich gelernt, als er Ende März erfuhr, dass sein Jura-Staatsexamen vorerst nicht stattfinden werde. Wegen der Coronapandemie musste die ab dem 17. April geplante Abschlussprüfung auf „unbestimmte Zeit“ verschoben werden. In diesem Moment sei erst einmal die Luft raus gewesen, erzählt der 24-jährige Jura-Student. „Die meisten meiner Kommilitonen und ich waren Ende März schon fertig mit dem Prüfungsstoff.“ Inzwischen steht ein neuer Termin fest: ab dem 20. Juli. Für Wang und die anderen Prüflinge heißt es nun: „Alles wiederholen und hoffen, dass nichts vergessen gerät.“

Nicht nur die Staatsexamina, sondern auch die Prüfungen anderer Studiengänge sind von dem coronabedingten Ausfall betroffen: Deutschlandweit wurden für Ende März geplante Klausuren an den Hochschulen abgesagt. Und noch haben die wenigsten Unis festgelegt, ob und wie sie die Prüfungen für das laufende Sommersemester abhalten. Zumindest dürfen sie jetzt wieder. Alle Bundesländer haben den Universitäten wieder erlaubt, Präsenzprüfungen durchzuführen. Fast überall sollen die Hochschulen aber selbst entscheiden, in welcher Form sie die Leistungen im Juli abnehmen wollen.

Zunächst aber versuchen die Universitäten, möglichst viele der ausgefallenen Prüfungen aus dem Wintersemester nachzuholen. Die geltenden Hygiene- und Abstandsregeln stellen die Hochschulen dabei vor große organisatorische Herausforderungen. Viele Universitäten planen daher, Präsenzklausuren durch alternative Prüfungsformate oder digitale Prüfungen zu ersetzen.

So auch die Universität zu Köln, die mit etwa 50.000 Studierenden größte Präsenz­universität Deutschlands. Aufgrund des deutlich höheren Korrekturaufwandes ließen sich Klausuren jedoch nicht in allen Fällen durch Hausarbeiten oder mündliche Prüfungen ersetzen, erklärt eine Sprecherin der Universität zu Köln. Deshalb habe die Hochschule bereits entschieden, die Prüfungen am Ende dieses Semesters an der Uni schreiben zu lasen.

Für die ausgefallenen Prüfungen aus dem Wintersemester entschied sich die Kölner Universität für einen unkonventio­nellen Weg: Vergangene Woche mietete sie die Kölner Messehalle an, um dort Prüfungen mit bis zu 500 Studierenden gleichzeitig abzuhalten. Laut Angaben der Hochschule werden in der Messe insgesamt 36 Prüfungen mit rund 6.000 Prüflingen geschrieben. Desinfektionsspender, ein Einbahnstraßensystem zwischen Gebäude und Prüfungsraum, Abstandsmarkierungen auf dem Boden und eine Plexiglaswand bei der Ausgabe der Prüfungsunterlagen und der Identitätskontrolle der Studierenden sollen dafür sorgen, das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten.

Alles digital oder was?

Semester Wegen Corona findet das Sommersemester weitgehend digital statt. Seit Anfang Mai sind Präsenzveranstaltungen an Unis unter bestimmten Auflagen jedoch wieder erlaubt. Anfang der Woche forderten 2.000 Professor*innen und Dozent*innen in einem offenen Brief die Rückkehr zur Präsenzlehre.

Prüfungen In allen Bundesländern darf an den Unis wieder geprüft werden. Die meisten Hochschulen ziehen alternative Formate oder Onlinetests in Erwägung. Wegen der beson­deren Umstände haben viele Unis kulante Regelungen im Umgang mit den Prüfungen angekündigt. (taz)

Die organisierte Studierendenvertretung der Universität begrüßt, dass den Studierenden ermöglicht wird, ihre Prüfungen trotz der schwierigen Umstände abzulegen. „Natürlich gibt es situationsbedingt auch eine Vielzahl an Schwierigkeiten“, sagt Felix Breuer vom Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA). So seien die Prüfungstermine erst sehr kurzfristig bekannt gegeben worden. Zudem stelle das Schreiben einer Klausur in einer Messehalle eine ungewohnte Situation dar. Vielen Studierenden falle die Prüfungsvorbereitung aufgrund der Coronabedingungen nicht leicht, erklärt der AStA-Sprecher. Daher habe der AStA gegenüber der Universitätsleitung durchgesetzt, dass nicht bestandene Prüfungen als nicht versucht gewertet werden.

Rolf Schwartmann, Professor für Medien- und Datenschutzrecht und Vorsitzender des Prüfungsausschusses der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Technischen Hochschule Köln, hält das Anmieten der Messe hingegen für eine „riskante Idee“. Die Prüfungen pandemiegerecht durchzuführen sei ausgesprochen schwierig. „Wenn es da zu Massenaufläufen kommt, kann das möglicherweise ein Superspreading-Event werden“.

An seiner Fakultät werde man deshalb die 6.000 Bachelor- und 600 Master-Klausuren, die in diesem Semester anstehen, nicht als Präsenzprüfung durchführen, sondern digital abnehmen. Eine klassische Klausur halte er auf digitalem Wege jedoch für ausgeschlossen, so Schwartmann, der sich als Sachverständiger des Deutschen Hochschulverbands (DHV) für IT- und Datenrecht und Mitglied der Datenethikkommission intensiv mit datenschutz- und prüfungsrechtlichen Fragen beschäftigt.

„Klausuren sind Aufsichtsarbeiten und können als solche nicht dezentral beaufsichtigt werden“, erklärt Schwartmann. Eine Alternative sei daher die sogenannte Open-Book-Ausarbeitung. Bei dieser Prüfungsform, auch Kofferklausur genannt, sind schriftliche Hilfsmittel wie Bücher oder das Vorlesungsskript zugelassen. Die Fragestellungen werden dabei dahingehend angepasst, dass sie eigene Transferleistungen der Studierenden erfordern.

Auch in Zeiten der Coronapandemie gelten die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, erklärt Peter-André Alt, Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). „Wichtige Prinzipien im Prüfungsrecht sind neben der Datensicherheit vor allem Chancengleichheit und Identifizierbarkeit“, so Alt.

Eins steht aber schon fest: In diesem Semester sind die Prüfungen eher Angebot denn Pflicht. Vielerorts wird das Corona-Semester nämlich nicht auf die Regelstudienzeit gerechnet

Wie lässt sich bei einer digitalen Prüfung die Identität der Studierenden prüfen? Das Hochschulforum Digitalisierung, das sich als vom Bildungsministerium geförderter Thinktank mit der Hochschulbildung im digitalen Zeitalter beschäftigt, stellt in einem aktuellen Dossier mögliche Verfahren der digitalen Prüfungsaufsicht vor. Hierzu zählt die ­regelmäßige Aufnahme von Fotos zur Gesichtserkennung ebenso wie die Prüfungsaufzeichnung per Video oder die Live-Kameraüberwachung des Prüflings. Da das sogenannte „Online-Proctoring“ aufgrund der technischen Anforderungen sehr teuer und zudem datenschutzrechtlich höchst umstritten ist, scheidet dieses Verfahren derzeit aus.

Eine Open-Book-Ausarbeitung gilt allerdings prüfungsrechtlich als Hausarbeit. „Das ist wichtig, da eine Hausarbeit nicht beaufsichtigt werden muss“, sagt Jura-Professor Schwartmann. Die Studierenden geben im Vorfeld ebenso wie bei einer Haus- oder Abschlussarbeit eine eidesstattliche Erklärung ab, dass sie die Prüfung selbst lösen und sich nur der erlaubten Hilfsmittel bedienen.

Schwartmann erklärt, wie eine Onlineprüfung aussehen könne: Die Studierenden bekämen zehn Minuten Rüstzeit, um sich vorzubereiten. Nach einer Bearbeitungszeit von sechzig oder neunzig Minuten stünden den Prüflingen zehn Minuten zur Verfügung, um die Aufgaben hochzuladen. Mit dem Smartphone müssten die Studierenden dafür ein Foto von den Lösungen machen, welches mithilfe einer eigenen Software in ein PDF umgewandelt werde.

„Nicht alle Studierenden verfügen zu Hause über die erforderlichen Endgeräte sowie eine leistungsfähige Internetverbindung“, gibt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), zu bedenken. Zudem solle allen Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, das Prüfungsformat vor der Prüfung kennenzulernen und zu testen. Auch müsse man berücksichtigen, dass die hohe Belastung für die Dozierenden unter den Bedingungen des Homeoffice durch die Entwicklung von rechtssicheren und fairen Prüfungsformaten zusätzlich verstärkt werde..

Einen Vorteil haben digitale Prüfungen für Studierende, die sich derzeit nicht an ihrem Studienort aufhalten. „Insbesondere internationale Studierende sind oft in ihren Heimatländern gestrandet und könnten an Präsenzprüfungen gar nicht teilnehmen“, sagt Gabriel Tiedje, Sprecher des AStA der TU Berlin. Für diejenigen, die darauf angewiesen seien, brauche es daher die Möglichkeit, eine digitale Prüfung abzulegen, fordert Tiedje.

Doch ob und wie im Juli geprüft wird, hängt auch von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Die meisten Hochschulen legen sich zum momentanen Zeitpunkt noch nicht fest, in welcher Form sie die Prüfungen abhalten wollen.

Eins steht aber schon fest: In diesem Semester sind die Prüfungen ohnehin eher Angebot denn Pflicht. Vielerorts wird das Corona-Semester nämlich nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet.

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