Nach Grindr-Denunziation in Marokko: Brief an junge Queers
Der Schriftsteller Abdellah Taïa solidarisiert sich in einem Radiobeitrag mit Homosexuellen in Marokko. Eine Influencerin hatte diese denunziert.
Am 13. April passierte in Marokko etwas Schreckliches: Die Social-Media-Ikone Sofia Taloni rief ihre 600.000 Follower:innen auf Instagram dazu auf, mit Fake-Accounts in schwulen Dating-Apps wie Grindr homosexuelle Männer ausfindig zu machen. Im Internet entstanden Prangerlisten mit den Namen nicht-heterosexueller Männer, erstellt von Talonis Online-Gefolgschaft. Und das in einem Staat, der Homosexualität mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.
Mindestens ein junger Mann hat sich daraufhin auf Druck seiner Familie das Leben genommen. Mit das Überraschendste: Sofia Taloni, die in der Türkei lebt, ist transgender. Hinterher gab sie widersprüchliche Gründe an: Erstens, Cis-Männer hätten sie schlecht behandelt. Zweitens, sie habe die Homosexualität in Marokko bloß sichtbar machen wollen.
Am Samstag, dem 16. Mai, hat sich der Suhrkamp-Schriftsteller Abdellah Taïa nun in der frankophonen Radiosendung „Dans quel Monde on vit“ des belgischen Senders RTBF direkt an junge Queers in Marokko gewandt, indem er einen Brief verlas. Der 1973 in Marokko geborene Abdellah Taïa ist wohl noch vor Saleem Haddad der berühmteste offen schwule Autor aus einem arabischen Land, wohnt indes seit 1999 in Paris. Im Jahr 2013 lief sein Debütfilm in Venedig.
Potenziell queerfeindlichen Familien ausgesetzt
„Dein Land hat sich eine neue Weise erdacht, dich zu einem Feind zu machen, den es zur Strecke zu bringen gilt“, sprach Taïa, adressiert an junge schwule Marokkaner. (Später hat Taïa den Brief bei Facebook in gegenderter Schreibweise gepostet, also auch an lesbische Marokkanerinnen gerichtet.) Taïa geht es in dem Rundfunkbrief darum, dass Abdellah Taïa sei. In Marokko indes spüre er davon nichts, sobald es um LGBTQ+-Menschen gehe.
Da nun in Marokko alle in ihre vier Wände gesperrt sind, so Taïa, sind Queers nun noch stärker der Kontrolle ihrer potenziell queerfeindlichen Familien ausgesetzt. Sofia Taloni habe „nicht verstanden, dass, wenn du dich versteckst, wenn die anderen sich verstecken, sie keine Wahl haben. Niemand schützt sie, […] schon gar nicht der Staat.“
Mitunter wird Taïa fast lyrisch („du zitterst so stark, selbst die Stille hat sich gehäutet“), um dann schließlich den jungen Queers in Marokko Mut zuzusprechen: „Die Liebe, auch wenn sie nicht ganz so aussieht wie aus Hollywood oder auf Netflix, sie ist in dir.“ Banal wären solche Sätze nur, wenn wir schon in einer besseren Welt leben würden.
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