Bald wieder Autokinos in der Hauptstadt: Neukölln ist überall

Autokinos als pandemieresiliente Locations. Warum auch nicht: Ohne Clubs und Bars wird Berlin sowieso immer mehr zur Provinz.

Einige Autor vor einer Leinwand, auf der eine Frau zu sehen ist - ein Foto aus alten Tage, dass das Autokino in der Siemensstadt von 1966 zeigt

War alles schon mal da: Autokino in der Siemensstadt im Jahre 1966 Foto: ullstein bild

BERLIN taz | Helge Schneider wird schon mal nicht auftreten in einem der neuen Autokinos, die bald in Berlin eröffnet werden sollen. Vor Autos werde er jedenfalls nicht performen, gab der Musiker in einem vor Kurzem kursierenden, viel gesehenen Facebook-Video bekannt. Wenn coronabedingt Live-Auftritte nur noch so möglich seien, dass man seinen Applaus per Lichthupe bekomme, lasse er es lieber ganz und gehe in Rente.

Andere scheinen weit weniger Probleme damit zu haben, vor Blechlawinen ihre Kunst zum Besten zu geben. Sido, Heino, ganze Sinfonieorchester haben jüngst so Konzerte vor Publikum gegeben, weil diese gerade in anderer Weise nicht stattfinden dürfen.

Wegen des Virus erlebt das Autokino gerade ein unerwartetes Revival. Weniger bei Nostalgikern, sondern bei der Generation Netflix, die mal wieder etwas anderes erleben möchte als eine Serie daheim auf der Couch. Vor Corona gab es in Deutschland gerade noch ein Dutzend dieser Drive-ins, jetzt werden überall in der Republik neue Pop-up-Autokinos errichtet, in denen man nicht bloß Filme, sondern auf der Bühne auch Comedians erleben und sogar Gottesdienste feiern kann.

In Berlin ist aktuell eine derartige Darbietungsform gar nicht möglich. Eines der letzten Berliner Autokinos, das „Bärliner Autokino“, hat seinen Standort beim Zentralen Festplatz in Reinickendorf ein paar Monate vor Corona im letzten Jahr aufgegeben. Das „Autokino Berlin“ soll in der Nähe des Flughafens Schönefeld erst demnächst wiedereröffnen. Das Programm solle bald bekannt gegeben werden, versprochen werden auf der Homepage „Kino, Kultur, Events, Konzerte“.

Die meisten Pläne sind noch vage

Doch jetzt sollen gleich an mehreren Standorten noch weitere Autokinos in Berlin errichtet werden. Noch sind die meisten Pläne allerdings vage. Von den Bezirken Pankow und Charlottenburg-Willmersdorf ist bekannt, dass Anträge bei der Bundesnetzagentur eingegangen sind mit der Bitte zur Erteilung von Funkfrequenzen. Diese sind nötig, damit die Tonsignale der Filme störungsfrei in die Autoradios übertragen werden können. Außerdem bemüht sich der Bezirk Spandau um ein Autokino.

Das Autokino Berlin ist in Schönefeld und damit eigentlich in Brandenburg. Es will demnächst wieder eröffnen, zwei Personen sind dann pro Pkw erlaubt. Ein Programm gibt es auf der Webseite noch nicht. https://autokino-berlin.de/

„The Parkplatz“ Das Künstlerkollektiv Die Dixons will ab Anfang Juni Autokino auf dem Parkplatz des Hotel Estrel in Neukölln anbieten.

Pläne für die Eröffnung von Autokinos soll es auch in Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf und Pankow geben.

Erlaubt wäre der Betrieb auch unter Coronabedingungen: mit kontaktlosem Ticketverkauf, Einhaltung der Abstandsregeln sowie geschlossenen Türen, Fenstern und Verdecken. (taz)

Am konkretesten aber sind bislang die Ideen der Berliner Street-Art-Künstlergruppe Die Dixons, die auf dem derzeit verwaisten Parkplatz des Hotels Estrel in Neukölln ihr Autokino eröffnen wollen – möglichst bereits ab Anfang Juni. Der passende Name für das Projekt: „The Parkplatz“.

Gezeigt werden soll dort täglich ein buntes Angebot aus Kinofilmen, Fußball-Live-Übertragungen, Serien – und Konzerte wird es auch geben. 600 Parkplätze stehen dem Publikum zur Verfügung. Alles wird unter strikter Einhaltung der Corona-Regeln stattfinden: Es gilt ein Mindestabstand von 1,50 Metern zwischen den Fahrzeugen, Fenster oder gar Schiebedächer müssen während der Vorstellungen geschlossen bleiben.

Jetzt extra ein Auto anschaffen?

Die Renaissance des Autokinos passt gut zu einigen der Folgen, die die Coronakrise mit sich gebracht hat. Homeoffice und geschlossene Kitas weisen vor allem den Frauen wieder die klassische Rolle von Müttern am Herd zu. An Zustände wie in den fünfziger Jahren fühlen sich da manche erinnert, also an die Zeit, in der die Autokinos in den USA den größten Boom erlebten, bevor sie dann in den Sechzigern und Siebzigern auch in der Bundesrepublik einigermaßen populär wurden.

Die Pandemie relativiert außerdem die Attraktivität der Großstadt. Plötzlich scheint es egal zu sein, ob man in Berlin oder irgendeiner Kleinstadt lebt: Angesichts geschlossener Bars und Clubs ist ja überall gleich wenig los. Und Orte wie Aschheim oder Gravenbruch, zwei der wenigen, in denen es vor Corona überhaupt noch Autokinos gab, wirken gar plötzlich wie Zentren der Avantgarde gegenüber der Hauptstadt, die die Errungenschaften der Provinz jetzt erst kopiert.

Nicht zuletzt lebt man ja auch deshalb so gerne in der Großstadt, weil es sich hier so schön auf das Auto verzichten lässt

Und nicht zuletzt lebt man ja eigentlich auch deshalb so gern in der Großstadt, weil es sich hier so schön auf das Auto, ohne das man nun mal nicht ins Autokino kommt, verzichten lässt. Sollte man sich nun also für ein wenig kulturelle Teilhabe, um mal wieder einen Film auf der großen Leinwand sehen oder ein Konzert erleben zu können, jetzt extra ein Auto anschaffen müssen?

Vielleicht hat Helge Schneider ja recht: Lieber die Krise aussitzen und warten, bis ein wenig Spaß haben auch wieder ohne das Auto möglich ist.

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