Investigativer Podcast „Wind of Change“: Scorpions – oder CIA?
Mit „Wind of Change“ schrieben die Scorpions 1990 den Soundtrack zum Fall des Eisernen Vorhang. Steckte in Wahrheit die CIA hinter der Powerballade?
Fast 30 Jahre später, im Frühling 2019, besuchte in Manhattan Patrick Radden Keefe einen Freund. Dieser Michael telefonierte mit einem Dritten, einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes CIA. Thema des Gesprächs: eine Geschichte, die der Geheimdienstler zehn Jahre zuvor angedeutet hatte: Hinter „Wind of Change“ stecke – die CIA. Damit beginnt der achtteilige, englischsprachige Podcast, folgerichtig „Wind of Change“ betitelt, der seit Montag komplett bei Spotify angehört werden kann; auf anderen Plattformen erscheint jeweils montags eine neue Folge.
Keefe, Jahrgang 1976, ist vielfach ausgezeichneter investigativer Journalist, hat für die New York Times und Slate.com gearbeitet, aber vor allem beim New Yorker. Mit „Say Nothing“ legte er im vergangenen Jahr das Lieblingsbuch nicht nur von Ex-Präsident Barack Obama vor: eine „wahre Geschichte über Mord und Erinnerung in Nordirland“, so der Untertitel – und ein später Versuch, Licht zu bringen in einen Jahrzehnte zurückliegenden Mord.
Er habe schon über ganz verschiedene Dinge gearbeitet, sagt er zu Beginn des Podcasts. Aber wenn sich ein Faden durch all das ziehen lasse, dann seien es „Geheimnisse“ – Dinge, „die ich nicht wissen sollte“. Was er dabei gelernt habe: Auf den Grund von so etwas führe nie eine gerade Linie. Auch der Spur mit den Scorpions folge er schon seit 2011. Es sei eine Geschichte gewesen, unglaubwürdig, dass er ihr normalerweise nicht nachgegangen wäre: Auch das sagt Keefe ziemlich früh in Folge 1, „My Friend Michael“. Aber weil der den Anstoß gab, tat Keefe es doch – gut für uns.
Wind of Change: acht Folgen je 40 Minuten, seit Montag bei Spotify; Folge #1 auch auf anderen Plattformen
Die Sache sei „verrückt genug, um wahr zu sein“: Das hat Tommy Vietor gesagt, einer der drei Gründer der liberalen Polit-Podcast-Plattform Crooked Media, die „Wind of Change“ koproduziert hat. In einer Pressemitteilung verweist der Außenpolitikkenner, der unter Barack Obama auch für den Nationalen Sicherheitsrat arbeitete, auf verwandtes – und belegtes – Engagement der USA während des Kalten Krieges: „Wir wissen, dass die CIA in den 50er- und 60er-Jahren heimlich kulturelle Events gesponsert hat. Sie haben die Verfilmungen von George Orwells ‚1984‘ und ‚Farm der Tiere‘ finanziert und eine Europa-Tournee des Boston Symphony Orchestra. Warum also nicht auch einer deutschen Rockband dabei behilflich sein, eine Powerballade zu schreiben, um den Eisernen Vorhang niederzureißen?“
Auch um den Abstrakten Expressionismus der „New York School“ ranken sich solche Geschichten: Einerseits wäre manchen Historiker*innen und Journalist*innen zufolge diese Nachkriegsmoderne als Gegenteil des Sozialistischen Realismus und also Aushängeschild (nicht nur) kultureller Überlegenheit des Westens herumgereicht worden. Andererseits wurden ihre Vertreter, also Leute wie Jackson Pollock und Mark Rothko, persönlich angefeindet: ironischerweise als „Kommunisten“. Ein Konflikt zwischen CIA und den Außenpolitikern des State Department auf der einen Seite und dem Weißen Haus auf der anderen? Das klingt, als könnte er sich jetzt gerade zutragen.
Eine andere Variante von Zusammenarbeit von CIA und der Entertainmentbranche, nämlich Hollywood, kommt im Podcast besonders prominent vor: 1979 flüchteten sechs Angestellte der besetzten US-Botschaft in Teheran ins Haus des kanadischen Konsuls. Um sie zu befreien, inszenierte man gemeinsam Dreharbeiten für einen „Krieg der Sterne“-Abklatsch, der angeblich im Iran gedreht werden sollte: Beteiligt waren echte Filmleute, es gab ein Drehbuch, alles Pipapo.
Diesen Fall zu freizugeben, also nicht länger geheim zu halten, war 1997 unter Präsident Bill Clinton eine Idee der CIA-Spitze selbst: Man wollte endlich auch mal eine gute Geschichte über sich in der Welt haben, die einer gelungenen Operation, nicht immer nur solche von Pleiten und Pannen. Die Rechnung ging auf: Die Iran-Sache wurde 2012 zum später oscarprämierten Spielfilm „Argo“. (Eine andere Lesart: 1979 habe die Unterwanderung Hollywoods durch die Dienste begonnen.)
Es hat in den vergangenen Jahren einige sehr erfolgreiche True-Crime-Podcasts gegeben, also Dramatisierungen wirklicher Ermittlungen in authentischen Fällen. Eine Verästelung waren dann Ich-bezogene Rechercheformate auch ohne Verbrechen: „Missing Richard Simmons“ etwa handelte von der Suche des Autors/Ich-Erzählers Dan Taberski nach seinem früheren Fitnesstrainer. Dass es sich dabei weniger um Aufklärung handeln könnte als ums Stalking eines Menschen, der schlicht nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen wollte: Das fanden manche Kritiker*innen problematisch. Beteiligt waren damals unter anderem die Pineapple Street Studios, die auch bei „Wind of Change“ Produktionspartner sind.
Zur Frage der Relevanz von Keefes Recherche nun mag man unterschiedlicher Meinung sein. Egal aber, wie man steht zur Frage der Urheberschaft des pathetischen Ohrwurms mit dem Pfeifen; egal auch, ob man sich die Rocker aus Hannover nun als Agenten gezielter Destabilisierung vorstellen möchte oder nicht: Am Ende des Podcasts weiß man viel über Geheimdienste und ihre Methoden, auch darüber, wie sie Öffentlichkeit (oder gerade keine) nutzen. Und das alles ist nun höchst relevant.
Der namenlose Informant am anderen Ende des Telefons übrigens, jener Insider, dessen Erzählung alles ins Rollen brachte: Er wollte keinesfalls auftauchen, auch nicht mit verfremdeter Stimme und unter anderem Namen: Er könnte dafür hinter Gitter wandern, sagte er, wegen Geheimnisverrats. Das klingt ernst – oder werden wir hier einfach nur sehr gut an der Nase herumgeführt? Die Herausgeber selbst sprechen immerhin von einer Mischung aus dem Watergate-Thriller „Die Unbestechlichen“ – und der Metal-Mockumentary „This is Spinal Tap“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen