: Die Zeit der „Webinare“
Das Kontaktverbot in der Pandemie zwingt Bildungsanbieter zu Lehre ohne Präsenz. Volkshochschule will sogar Yoga online anbieten. Uni bangt um Server-Kapazitäten
Von Philipp Steffens
Esther Kaufmann startete ihren neuen Kurs mit einem Experiment. Die 34-jährige Autorin bringt an der Hamburger Volkshochschule Interessierten seit zehn Jahren kreatives Schreiben bei. Und normalerweise beginnt „Kurzgeschichten schreiben“ immer mit einer Auftaktveranstaltung zum Kennenlernen. Doch weil das wegen des Corona-Virus nicht möglich ist, muss das dieses Mal per Videokonferenz funktionieren.
Live-Übertragungen und Videos können helfen, Wissen digital zu vermitteln. Über sogenannte „Webinare“, online durchgeführte Seminare, versuchen Bildungsinstitute, den Lehrbetrieb aufrecht zu halten, auch wenn die Infrastruktur unzulänglich ist und Medienkompetenzen ungleich verteilt sind. Nicht selten werden die Angebote mit einem Skript verknüpft, mit dem Lernende tiefer in die Materie gehen können. Somit kann weiterhin gelehrt werden, aber das Format stößt auch an Grenzen.
In Esther Kaufmanns Schreibkurs müssen sich die Teilnehmer vertrauen, da sie sich im Laufe der Zeit gegenseitig Feedback geben und gemeinsam an Texten arbeiten. „Mit Präsenztreffen habe ich ganz andere Möglichkeiten, eine Gruppe zusammenzubringen. Das ist eine der Herausforderungen, wie man diese Gruppenbindung, diesen intimen Raum im Digitalen erschaffen kann“, sagt sie.
Als Lehrende an der Hamburger Volkshochschule kann sie immerhin auf die dortige digitale Struktur zurückgreifen und muss ihren Kurs nicht abbrechen. Webinare und digitale Vorlesungen sind hier nichts Unbekanntes, bundesweit sind die Volkshochschulen über die sogenannte vhs.cloud miteinander verbunden. Die Teilnehmer der Kurse haben ebenfalls Zugriff auf diese Cloud und können sich so einfach Livestreams anschauen und von zu Hause aus lernen.
„Wir schauen uns jetzt jeden Kurs an und planen, was online möglich ist. Selbst bei Koch- und Yogakursen, die wir bisher noch nicht online durchgeführt haben“, sagt dazu Dorothea Olbertz, Sprecherin der Hamburger VHS. Das Problem sei, alle Lehrenden schnell auf Stand zu bringen, damit die Kurse weitergehen können, so Olbertz.
Anders sieht die Lage hingegen bei den Hochschulen aus. Für sie kam die Corona-Krise zur ungünstigsten Zeit, Universitäten mussten kurz vor Semesterstart schließen, die Fachhochschulen waren da sogar schon in den ersten Wochen der Vorlesungen. Nun ist mindestens bis zum 20. April alles zu, die Universitäten sind im Notbetrieb.
Die Umstellung auf digitale Lehre steht dadurch vor strukturellen und technischen Problemen. Die Uni Hamburg befürchtet Engpässe bei den Serverkapazitäten, wenn jede ihrer über 5.000 Lehrveranstaltungen online geht. In Kiel stellte die Hochschule zwei Millionen Euro bereit, um ein Sofortprogramm für Online-Lehre zu realisieren. Und die Jade-Hochschule in Wilhelmshaven beklagt, dass die Umstellungen für die Lehrenden einen hohen Aufwand bedeuten, da es mitten im laufenden Semester passiert.
Zudem müssen sich Hochschulen auch intensiv damit beschäftigen, wie sehr Seminare im Internet für praktische Studiengänge geeignet sind. Praktika, Labore oder Exkursionen sind zurzeit nicht möglich und schwierig bis unmöglich, digital umzusetzen. Der Lehre durch Webinare sind somit Grenzen gesetzt.
„Es hängt ab von der Form des Wissens, das man präsentiert. Sehr sicheres Wissen kann man in expliziten sprachlichen Nachrichten ausdrücken. Möchte man aber in einen Diskurs gehen, braucht man einen Rückkanal“, erklärt Heidrun Allert, Professorin für Medienpädagogik und Bildungsinformatik an der Universität in Kiel.
Laut Allert eignet sich das Lernen mit Videos, die nicht länger als 15 Minuten sein sollten, für standardisiertes Wissen. Grundlagen in Informatik zu vermitteln, sei beispielsweise einfacher, als komplexe Themen mit Studierenden zu erörtern. „Es kommt somit mehr auf die Fachkultur an und weniger, ob man Wissen generell gut in eine Online-Vorlesung packen kann“, sagt sie zum Nutzen von Webinaren.
Das macht die aktuelle Lage für Hochschulen noch schwieriger. Nicht nur Server-Kapazitäten haben einen Einfluss auf das Lernen, sondern auch didaktische Grenzen. Universitäten und andere Bildungsträger müssen unter Zeitdruck Konzepte finden. „Wir befinden uns gerade in einem Ausnahmezustand“, sagt Allert. Diesen sollte man aber nicht als „Gratmesser“ für die Digitalisierung an Hochschulen begreifen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen