Ungerechte Corona-Billionen in den USA: Konzentration auf die Katastrophe
Mit seinem Billionen-Hilfspaket für Konzerne inszeniert sich Trump als Patriot und Krisenmanager. Die US-Bundesstaaten lässt er im Stich.
Unterdessen verehrt die andere Hälfte den Präsidenten, der von morgens bis abends mit Lügen, Verharmlosungen und persönlichen Attacken im Fernsehen zu sehen ist, wie einen Helden.
Aber in einem Punkt sind sich fast alle in dem tief gespaltenen Land einig: Nachdem mehr als 124.000 nachweislich Infizierte die USA zum meist betroffenen Land der Welt und einem Katastrophengebiet gemacht haben, ist Joe Biden kein Thema mehr.
Der Spitzenkandidat der Demokratischen Partei, der im November Trump ablösen will, ist von der Bildfläche verschwunden. Mit ihm ist auch der Vorwahlkampf, der noch bis Anfang des Monats die Schlagzeilen beherrschte, in Vergessenheit geraten.
Billionen-Paket für die Wirtschaft
Dabei hat mehr als die Hälfte der Bundesstaaten noch gar nicht gewählt. Von ihnen haben drei Bundesstaaten auf Briefwahl umgestellt. Mindestens 13 weitere, darunter New York, haben ihre Vorwahlen verschoben.
Die Konzentration auf die Katastrophe, die alle anderen politischen Themen verdrängt, hat ihren bisherigen Höhepunkt Ende vergangener Woche erreicht, als beide Kammern im US-Kongress das größte je dagewesene Rettungspaket der US-Geschichte verabschiedeten.
Es sieht 2,2 Billionen Dollar (rund 2 Billionen Euro) vor, um die US-Wirtschaft in den nächsten Wochen und Monaten über Wasser zu halten. Es ist ein Bekenntnis zum Status quo. Besonders großzügig bedenkt das Paket die Säulen des US-Kapitalismus.
Für große Konzerne sind Hilfen in Höhe von 500 Milliarden Dollar vorgesehen. Massive Steuererleichterungen für Konzerne kommen hinzu. Über die Verteilung dieses Geldsegens hat der Kongress nur minimale Kontrolle.
Die große Welle kommt erst noch
Für kleine Unternehmen sind Hilfen in Höhe von 377 Milliarden Dollar vorgesehen. Die große Mehrheit der individuell betroffeneren US-AmerikanerInnen hingegen bekommen in dem Paket nur rund 560 Milliarden Dollar. Unter anderem enthält diese Summe eine einmalige Zahlung von maximal 1.200 Dollar pro Person. Sowie die Möglichkeit, die Rückzahlung von Studienschulden in bestimmte Fällen vorübergehend auszusetzen.
Für die schon jetzt mehr als 3,2 Millionen Beschäftigten, die in den zurückliegenden Tagen ihre Arbeit verloren haben, stehen für eine Übergangszeit je 600 Dollar pro Woche zusätzlich zu anderen Leistungen bereit.
Aber für den öffentlichen Gesundheitssektor sieht das Gesetz nur 153,5 Milliarden Dollar vor, davon 100 Milliarden für Krankenhäuser. Dabei fehlt es in den Krankenhäusern an fast allem: von den nötigen Bettenkapazitäten – insbesondere Intensivbetten – über Beatmungsgeräte bis hin zu Masken und Schutzkleidung für das medizinische Personal.
In den USA hat der Andrang von Schwerkranken auf die Krankenhäuser gerade erst begonnen. In den bislang am schwersten betroffenen Bundesstaaten, darunter New York, Louisiana und Kalifornien, wird die große Welle von Schwerkranken erst in den nächsten Tagen und Wochen in die Krankenhäuser kommen.
Ungerechte Verteilung
Bevor das Paket in aller Eile geschnürt wurde, hatte Trump wochenlang den Kopf in den Sand gesteckt. Während er behauptete, „wir haben nur fünf Betroffene und es wird alles großartig werden“ und „wir haben das Problem total unter Kontrolle“, verloren die USA wertvolle Zeit, in der sie weder auf Covid-19 testeten noch das dringend nötige Material für die Krankenhäuser beschafften.
Erst nachdem Mitte März die New Yorker Börse abstürzte und die VertreterInnen von Wall Street und Industrie im Weißen Haus vorstellig wurden, ging alles ganz schnell.
„Es ist für die Arbeiter“, sagte die Chefin des Abgeordnetenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi. Wie andere DemokratInnen aus der Parteimitte beschrieb sie das Paket als sozial gerecht. Eine Handvoll RepublikanerInnen war indes gegen das Paket, weil sie befürchteten, die Entschädigungen würden Beschäftigte zur Faulheit animieren.
Bei dem Run auf ein großes und schnell geschnürtes Paket konnten sich die linken KritikerInnen der ungleichen Verteilung nur wenig Gehör verschaffen.
Kritik am Hilfspaket
Senator Bernie Sanders, neben Biden der zweite im Rennen verbliebene demokratische Präsidentschaftskandidat, verlangte vergeblich die Anhebung der einmaligen Zahlung an Individuen auf 2000 Dollar und einen nationalen Stopp von Räumungsklagen. Nach der Finanzkrise von 2007/08 hatten Millionen von US-AmerikanerInnen ihre Häuser durch Räumungsklagen verloren.
Die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez beklagte, dass Abgeordnete wegen der Massenarbeitslosigkeit unter extremem Druck standen, das Hilfspaket anzunehmen. Aber sie nannte es „eine Schande“. Ocasio-Cortez: „Es ist eines der größten Rettungsprogramme für Konzerne. Und es hat die geringsten Auflagen. Das ist falsch.“
Als Trump das Gesetz am Freitag unterschrieb, benutzte er seinen nationalistischen Slogan „America first“. Er dankte beiden Parteien, weil sie zusammengekommen seien, um „Amerika an die erste Stelle zu setzen“.
Aber während seiner Unterschriftzeremonie waren nur RepublikanerInnen im Raum. Trumps Freunde – ausschließlich weiße und mehrheitlich männliche Parteimitglieder – standen dabei in einer für die Zeiten des „social distancing“ bedenklichen Nähe Schulter an Schulter hinter ihm.
Trump erschwert Hilfe für Bundesstaaten
Gleichzeitig setzte Trump seine Attacken gegen demokratische GouverneurInnen fort. An die Adresse des New Yorker Gouverneurs Andrew Cuomo, dessen Bundesstaat nach Auskunft der ExpertInnen schon in dieser Wochen mindestens 30.000 zusätzliche Beatmungsgeräte benötigt, um alle schwerkranken PatientInnen behandeln zu können, sagte Trump, er habe das „Gefühl“, New York brauche nicht so viele Geräte.
Am Wochenende droht er New York zusätzlich mit einer „Quarantäne“. Erst nachdem Cuomo sagte, das sei „lächerlich“ und „antiamerikanisch“, zog Trump seine Drohung zurück.
Auch der demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, erschwerte Trump die Vorbereitung der Katastrophenhilfe. Whitmer erfuhr von Lieferanten, bei denen sie Material für die Behandlung von Covid-19-PatientInnen bestellt hatte, dass die in Washington angewiesen worden waren, ihr „das Zeug“ nicht zu liefern.
In den Vorwochen, als die GouverneurInnen Washington um Hilfe anflehten, hatte Trump immer wieder gesagt, nicht er, sondern sie seien verantwortlich für die Ausstattung mit medizinischem Material. Sie sollten es sich selbst besorgen. Damit löste er einen Preiskrieg auf einem Markt mit einem viel zu knappen Angebot aus. Zusätzlich überbot dabei auch noch die Bundesregierung die Gebote der GouverneurInnen.
Anordnungen zu „sozialistisch“?
Mithilfe des Gesetzes zur Produktion von Verteidigungsgütern (Defense Production Act) hätte Trump die Industrie dazu zwingen können, das dringend nötige medizinische Material herzustellen, das weder in den USA noch auf dem Weltmarkt erhältlich war. Doch er lehnte das lange ab. Argumentierte, die USA seien „nicht sozialistisch“, und verwies auf die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft.
Erst am Samstag, als in manchen Krankenhäusern im Bundesstaat New York bereits zwei schwerkranke PatientInnen sich ein Beatmungsgerät teilen mussten, ordnete der US-Präsident per Tweet an, dass General Motors Beatmungsgeräte herstellen soll.
Für Trump ist das Virus eine Möglichkeit, Bundesstaaten gegeneinander auszuspielen. Bislang trifft die Epidemie vor allem Großstädte und Bundesstaaten mit demokratischen Regierungen, in denen er bei den Wahlen im November ohnehin keine Chance auf eine Mehrheit hat.
In dem dünn besiedelten „Fly-Over-Country“ (deutsch etwa: Überflugland) zwischen den Küsten, in dem große Teile von Trumps Basis leben und wo die Informationen fast ausschließlich von Trumps bevorzugtem Sender Fox News und von konservativen Talk-Radios kommen, ist die Epidemie noch nicht massiv angekommen.
Troll-Angriffe auf Fauci
Dort – und anderswo an der Trump Basis – blühen die Verschwörungstheorien. In ihnen ist das Virus – wie oft von Trump behauptet – „ausländisch“ oder „chinesisch“. Und in ihnen ist die Idee zentral, es sei absichtlich in die Welt gesetzt worden.
Zuletzt ist auch Anthony Fauci ins Visier der rechten Trump-Basis geraten. Der führende Immunologe und Chef des National Institute of Allergy and Infectious Diseases, der vor Trump sowohl demokratische als auch republikanische Präsidenten beraten hat, musste in den zurückliegenden Wochen immer wieder Trumps Halbwahrheiten korrigieren.
Die New York Times hat mehr als 70 Twitter-Konten gefunden, die ihn mit dem Hashtag #FauciFraud mit bis zu mehreren Hundert Tweets pro Tag attackieren. Unter anderem werfen sie ihm vor, dass er Anfang des letzten Jahrzehnts in einer E-Mail die damalige Außenministerin Hillary Clinton gelobt hat.
Auf demokratischer Seite hat Spitzenkandidat Biden erklärt, er wolle das Virus nicht politisieren. Aber zwischen Trumps Propagandakrieg auf der einen Seite und den zahlreichen Initiativen zu tiefgreifenden Reformen im Gesundheitswesen und Spendenaufrufen für Coronavirus-Betroffene seines Gegenspielers Sanders auf der anderen Seite ist Biden kaum noch vernehmbar.
Wahlkampf im Ausnahmezustand
Im Gegensatz zu Sanders, der eine weitere TV-Debatte mit ihm wünscht, will Biden auch der Politisierung auf demokratischer Seite ausweichen.
„Wo ist Biden?“, fragen linke WählerInnen. Unterdessen bereitet der ehemalige Vizepräsident schweigend in seinem Heimatbundesstaat Delaware ein Duell vor, für das alle Regeln neu erfunden werden müssen.
Es wird ein Wahlkampf in einem Land im Katastrophenzustand. Es gibt keine Versammlungen. Und der Gegner ist ein Präsident mit Notstandsvollmachten, der rund um die Uhr im Fernsehen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke