piwik no script img

ErntehelferInnen in Corona-ZeitenArbeitschance für Geflüchtete

In Niedersachsen melden sich zahlreiche Geflüchtete als Erntehelfer. Der niedersächsische Flüchtlingsrat fordert eine dauerhafte Perspektiven für sie.

ErntehelferInnen werden dringend gesucht und das nicht nur bei der Spargelernte Foto: dpa

Hamburg | taz| Erst einmal begrüßt der niedersächsische Flüchtlingsrat die Idee, Geflüchtete als ErntehelferInnen einzusetzen. „Grundsätzlich ist das eine Möglichkeit, endlich arbeiten zu können“, sagt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat. Dennoch hat er Vorbehalte: Es dürfe nicht lediglich um eine „Nutzbarmachung der Arbeitskraft“ gehen. Wer jetzt angeheuert werde, solle nicht nach dem Ende der Krise abgeschoben werden, sondern ein Bleiberecht bekommen.

Auf Landesebene gibt es da nur die Möglichkeit, die Spielräume der Bundesgesetzgebung auszuschöpfen. Die Beschäftigungsduldung ist aber an enge Vorgaben geknüpft, unter anderem eine Beschäftigung über 18 Monate. Fragt man im Bundesinnenministerium nach Bleiberechtsperspektiven für Ern­tehelferInnen, kommt als Antwort der Verweis darauf, dass die Zahl der AsylbewerberInnen aus sicheren Herkunftsstaaten im erwerbsfähigen Alter bei lediglich 6.000 liege. Die Mehrheit der potentiellen Arbeitskräfte seien die bundesweit 420.000 Flüchtlinge mit einem Schutzstatus, die arbeitssuchend gemeldet seien.

Der Flüchtlingsrat ist ohnehin skeptisch, den Aufenthaltsstatus mit der Nützlichkeit für den Arbeitsmarkt zu verknüpfen. Ähnlich äußert sich das niedersächsische Innenministerium: „Es wäre positiv zu bewerten, wenn Asylbewerber auf diesem Weg auch einen Weg in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis finden könnten“, schreibt Sprecherin Simone Schelk. „Allein aus diesem Umstand heraus ein vom Ausgang des Asylverfahrens unabhängiges Bleiberecht zu gewähren, ist kritisch zu sehen“.

Ein zweiter Vorbehalt des Flüchtlingsrats hat sich inzwischen erledigt: die Sorge davor, dass den Geflüchteten weniger als der Mindestlohn gezahlt würde und sie damit unfreiwillig als Lohndrücker dienten.

Kulante Ausländerbehörden

Anlass war laut Walbrecht eine Information auf der Internetseite des Bundeslandwirtschaftsministeriums: Danach gelte für die Ersatz-ErntehelferInnen nicht pauschal der Mindestlohn; die Entlohnung werde individuell ausgehandelt. Inzwischen wurde ergänzt, dass der Mindestlohn gilt. Der DGB und die niedersächsische Landwirtschaftskammer plädierten bereits für einen Lohn oberhalb der Mindestgrenze.

Anerkannte Flüchtlinge hatten schon zuvor Zugang zum Arbeitsmarkt. Keine Arbeitserlaubnis haben Menschen in den ersten drei Monaten ihres Asylverfahrens, solche, die sich in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, sowie Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern. AsylbewerberInnen und Geduldeten, die keinem grundsätzlichen Arbeitsverbot unterliegen, kann nach Ermessen der Ausländerbehörden eine Beschäftigung erlaubt werden. Das niedersächsische Innenministerium hat sie angewiesen, die Regelungen „in der Regel zu Gunsten eines Beschäftigungszugangs“ anzuwenden.

Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen geht laut ihrem Sprecher Wolfgang Ehre­cke grundsätzlich von einem Bedarf von rund 30.000 Ern­tehelferInnen in Niedersachsen aus. Auf der Agrarjobbörse, die angesichts der ausbleibenden ErntehelferInnen aus Osteuropa weiterentwickelt wurde, haben sich bislang 1.700 Personen gemeldet. Zahlen, wie viele Geflüchtete bereits in der niedersächsischen Landwirtschaft arbeiten, gibt es nicht.

Die Kammer nimmt an dem Projekt „Willkomenslotsen“ des Bundeswirtschaftsministeriums teil, das Geflüchtete in grüne Berufe vermitteln soll. Laut Sprecher Ehrecke haben sich die Anfragen von Geflüchteten nach Erntehelferstellen verzehnfacht, die Nachfrage komme aus ganz Deutschland. Und: „Natürlich möchten einige auch gerne auf diesem Wege feste Arbeitsplätze oder einen Ausbildungsplatz finden“, schreibt er auf Anfrage der taz. Die Kammer ist aufgeschlossen: „Wir selbst glauben auch, dass durch diese Aktivitäten nachhaltige Arbeitsplätze folgen können, denn nach Spargel kommen Beerenobst, Kirschen, Äpfel, Salat und Kohl“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!