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Corona-BußgeldkatalogPolitik ohne Grundlage

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Immer mehr Länder wollen Corona-Regeln mit Bußgeldern durchsetzen – auch Berlin. Doch das ist überflüssig und trifft die Falschen.

Kommt die Berliner Polizei mit dem Maßband? Der Görlitzer Park bei gutem Wetter und Corona Foto: Karsten Thielker

B ei der Kindererziehung ist es fast eine Binsenweisheit: Strafen bewirken nichts. In der Regel führen sie nicht dazu, dass ein Kind einsieht, dass es falsch gehandelt hat. Stattdessen beschäftigt es sich vor allem damit, was die Strafe für es selbst bedeutet. Eltern greifen deswegen kaum noch zu Stubenarrest und Taschengeldentzug.

Im Umgang mit Erwachsenen ist die Gesellschaft längst nicht so weit. Nach dem Vorpreschen von Nordrhein-Westfalen hat sich nun – neben weiteren Landesregierungen – auch der Berliner Senat auf die Einführung eines Bußgeldkatalogs geeinigt, in der Hoffnung, dass sich Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen damit noch besser umsetzen ließen. Am Donnerstag soll er beschlossen werden. Es ist eine dumme Idee.

Das fängt schon damit an, dass die zu anscheinend mit bis zu 500 Euro zu bestrafenden Sachverhalte, etwa das Nicht-Einhalten des Mindestabstands oder der Verstoß gegen eine Ausweis-Mitführpflicht, massive Grundrechtseingriffe darstellen. Vergleichbare Bestimmungen hat es zuvor in einer demokratisch verfassten Gesellschaft niemals gegeben, JuristInnen bezweifeln deren rechtmäßige Regelung durch die notdürftig beschlossenen Verordnungen.

Dazu kommt: Selten waren Verbote unpräziser formuliert. Oder hat schon jemand final beantwortet, ob es inzwischen erlaubt ist, allein auf einer Parkbank zu sitzen? Und wer soll beurteilen, ob ein Abstand von 1,5 Metern eingehalten wurde? Polizisten mit Maßband? Polizeistaat, ick hör dir trapsen.

Strafmöglichkeiten gibt es bereits

Statt zu erklären, warum diese oder jene Maßnahme geeignet sein soll, die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen, greifen die Regierenden zu Strafen. Wieso eigentlich? Weil die Vorgaben bislang nicht eingehalten wurden? Wirklich? Die vollen Parks am Wochenende sind dafür jedenfalls kein Indiz. Oder weil es bislang keine Strafmöglichkeiten gab, etwa für Restaurants, die trotzdem ihre Türen öffneten? Dem ist nicht so.

Ein Indiz, dass die kontaktbeschränkenden Maßnahmen sehr wohl eingehalten werden, ist dagegen die abflachende Kurve der Neuinfektionen. In der vergangenen Woche sank der tägliche Anstieg bundesweit auf durchschnittlich 12,4 Prozent, nach 21,4 Prozent in der Vorwoche. Dass jetzt Bußgeldkataloge in Kraft treten, ist Politik ohne Grundlage – besonders in der Innenpolitik ein bekanntes Muster.

Während die gehorsamen Besserwisser sich zu Hause die Hände reiben, werden die Strafen vor allem Benachteiligte treffen. Menschen, die kein Zuhause haben, in dem sie sich die Hände reiben könnten, Flüchtlinge ohne Ausweis. Bestraft wird, wer nicht ausreichend informiert ist – weil ihm der Zugang zu Informationen oder Deutschkenntnisse fehlen. Die Bestraften werden sich dann vor allem fragen, was die Strafe für sie selbst bedeutet. Für die wenig Privilegierten steht die Antwort schon fest: eine Verschlimmerung des finanzielles Desasters, das die Krise jetzt schon ist.

Die einzigen, die Taschengeldentzug verdient haben, sind jene, die uns Bußgelder als Lösung verkaufen.

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1 Kommentar

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  • es würde mich wirklich interessieren, in welcher Realität der Autor dieses Kommentars lebt ...



    Die ca 100.000 Ausflügler in der fränkischen Schweiz am Wochenende sahen jedenfalls eher nicht wie Obdachlose oder der deutschen Sprache nicht Mächtige aus, mit ihren Familienpanzern und Picknick-Rollwagen.



    Das waren die ganz normalen, in Arbeit stehenden HalbbildungsbürgerInnen, denen alles egal ist, solange Verbote nicht kontrolliert werden. Und genau dagegen helfen (empfindliche) Bussgelder durchaus, weil das den einzigen Nerv trifft, den solche Leute haben. Siehe ˋangepasste Geschwindigkeit´ und Artverwandtes.

    Dass es natürlich ziemlich sinnfrei ist, Obdachlose wegen Verstoß gegen das Ausgangsverbot zu belangen, ist eine völlig andere Sache.