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Gesundheit geht vor

Die Bremer Datenschutzbeauftragte hat ihren Jahresbericht vorgelegt und dabei auch Fragen zum Datenschutz und den aktuellen Corona-Maßnahmen aufgeworfen

Was erforderlich ist, ist oft auch Ermessenssache. Das ermöglicht eine ganze Menge Maßnahmen

Von Klaus Wolschner

Am gestrigen Freitag hat die Bremer Landesbeauftragte für Datenschutz, Imke Sommer, ihren Jahresbericht vorgelegt. Das tat sie wegen der Corona-Ausnahmesituation aus der Ferne, aber erst einmal ging es nicht um aktuelle Fragen, sondern um die Prüfung zurückliegender Beschwerden.

Die Sozialbehörde betreibt zum Beispiel seit drei Jahren eine Datenbank zu Haaranalysen von verdächtigen DrogenkonsumentInnen ohne hinreichende Datenschutz-Rechtsgrundlage, zu der normalerweise Regelungen über Anonymisierung, Zugriffsstruktur und Auswertungen gehören müssten. Sommer mahnt das schon lange an – demnächst soll da nachgebessert werden.

Ein weiteres Thema ihres Berichts: Für die LKW-Maut werden flächendeckend Auto-Kennzeichen erfasst. Es liegt auf der Hand, dass die Polizei die gern für Fahndungsmaßnahmen nutzen würde. Das ist aber nicht erlaubt, jedenfalls nicht so pauschal, sondern nur „für Zwecke der polizeilichen Gefahrenabwehr“.

Mit Blick auf die Corona-Krise sagte Sommer: „Man darf nicht alles.“ Denn die vor vier Jahren beschlossene europäische Datenschutzverordnung, die seit 2018 Rechtskraft hat, regelt ausdrücklich den Datenschutz auch bei der Gefährdung der öffentlichen Gesundheit und bei „schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren“, sogar „zur Gewährleistung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Gesundheitsversorgung“. Das bedeutet, sagt Sommer: „Der Rechtsstaat hat Antworten auch auf unvorhergesehene Situationen wie die derzeitige.“

Eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten dürfe selbst zur Eindämmung einer Pandemie „grundsätzlich nur restriktiv“ erfolgen, sagt Sommer. Das habe der Bundesbeauftragte für Datenschutz präzisiert. Der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ müsse beachtet werden. Dabei geht es auch um die Frage, ob es mildere Mittel gibt, sagt Sommer.

Solche Sätze bieten natürlich viel Spielraum der Einschätzung: War es „verhältnismäßig“, in Bremen Schulen, Universitäten und Geschäfte zu schließen, als es „nur“ rund 50 konkrete Corona-Infizierungen gab? Die entsprechende „Allgemeine Verfügung“ des Senats hat diese Frage nicht einmal aufgeworfen.

Aber das war in diesem Falle auch nicht erforderlich: Nach Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes darf die „zuständige Behörde“ alle zur „Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlichen Schutzmaßnahmen“ treffen. Was wiederum „erforderlich“ bedeutet, wird nicht näher definiert und ist also Ermessenssache. Ausdrücklich sagt das Gesetz: „Die Grundrechte der Freiheit der Person, der Versammlungsfreiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung werden insoweit eingeschränkt.“

Als der Senat gestern erklärt hat, eine Ausgangssperre werde derzeit nicht für sinnvoll gehalten, hat er zur Begründung auf das Verhalten der bremischen Bevölkerung verwiesen und die stagnierende Zahl von bestätigten Infektionen. Auch das ist Ermessenssache.

In Wien messen Angestellte die Körpertemperatur von Fluggästen aus China berührungslos – wäre das in Bremen möglich? „Ich sehe nicht die gesetzliche Grundlage“, sagt zwar Imke Sommer, aber: auch das kann Ermessenssache sein. Klar geregelt hingegen: Die Gesundheitsbehörden dürfen auch auf Nachfrage einem Arbeitgeber nicht sagen, ob und warum sein Angestellte sich einem Corona-Test unterzogen hat. Der Arbeitgeber hat zwar die Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten, Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz zu vermeiden, Eingriffsbefugnisse stehen ihm dafür aber in der Regel nicht ihm zu. Er könnte bei einem Verdacht höchstens den Betrieb ganz einstellen.

Unter Datenschutzgesichtspunkten sei es die Frage, ob ein Datenaustausch zwischen Gesundheitsbehörden und Betrieben „das mildeste Mittel“ sei, erklärt Sommer. Das gilt auch für die Frage, ob eine „Corona-App“, die allen Infizierten aufgezwungen wird, um die Einhaltung der Quarantäne zu überprüfen, nach europäischem Datenschutzrecht erlaubt wäre. Es gebe vermutlich „mildere Mittel“, erklärt sie.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) bekommt von der Telekom Bewegungsdaten von Handy-Nutzern und versucht damit die Mobilität der Bevölkerung und also den Erfolg von Maßnahmen gegen die Coronavirus-Ausbreitung zu bewerten. Wenn das anonymisierte Daten sind, hält das der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber für vertretbar.

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