Kommentar: Benno Schirrmeister über den Sinn eines Ortstermins: There's no business like Polit-Business
Verrückte Maßstäbe gibt‘s: Auf die Frage, warum aus der Eröffnung der zweiten Corona-Ambulanz ein großes Ballyhoo mit sämtlichen lokalen Medien gemacht wird, antwortet Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) mit einem allgemeinen Lehrsatz, der in der aktuellen Situation als galoppierender Unsinn gelten muss: „Das Wichtigste“, so Bovenschulte, „ist, dass man die Wirklichkeit auch vor Ort sieht.“
Das ist, wie jede Kalenderweisheit, nur halbwahr: Es gilt nur, wenn die Wirklichkeit vor Ort zugänglich ist, also nicht inszeniert und nicht – wie hier – aus hygienischen Gründen abgeschottet. In der aktuellen Situation ist die Weisheit daher erkennbar falsch. Denn das Wichtigste ist momentan: soziale Kontakte minimieren, Abstand wahren, Verkehre vermeiden. Deswegen sind Ausgangssperren, die uns noch bevorstehen, zwar eine Zumutung. Sie wären allerdings, um die Ausbreitung der Epidemie zu verlangsamen, eine sinnvolle Maßnahme. Sie retten Leben.
Die Pressemeute zwei Stunden vor der Senats-PK im Rathaus nach Osterholz zu locken, ist das Gegenteil davon: Der Erkenntnisgewinn ist gleich Null. Der einzige Zweck der Übung ist die Inszenierung. Der Bürgermeister kann dort bella figura machen. Denn nein, es geht nicht darum, sich beim Personal der Noteinrichtung zu bedanken. Das hätten er und Senatorin Claudia Bernhard (Die Linke) auch ohne Kameras gekonnt. Es geht darum, dass man ihnen dabei zuguckt, so wie man Kanzler Gerhard Schröder im Jahrhundertflut-Wahlkampf Deiche retten sah. Bloß hat dessen Gummistiefel-Performance damals niemanden gefährdet. Das kann man in diesem Fall höchstens fromm wünschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen