Klimaproteste in Südkorea: Aufmüpfig, aber sachte
In Ostasien spielte die Fridays-for-Future-Bewegung bislang keine nennenswerte Rolle. In Südkorea ändert sich das gerade.
Die Audienz endete jedoch in einer bitteren Enttäuschung: Der Umweltminister und sein Mitarbeiterstab gaben unverhohlen zu, dass man mit den derzeitigen Regierungsmaßnahmen die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Erderwärmung überschreiten werde. Der Status quo sei eben nun mal das beste, was man derzeit tun könne. „Für mich war das sehr enttäuschend“, sagt Kim Do-hyeon: „Sie kennen die Fakten an, aber handeln dennoch nicht“.
Am Freitag schließlich zogen sie die logische Konsequenz: 29 südkoreanische Klimaaktivisten im Schulalter haben eine Beschwerde beim Verfassungsgericht eingereicht. Sie argumentieren, dass ihr Grundrecht, in einer sauberen Umwelt zu leben, von dem unzureichenden „Klimawandel-Gesetz“ der Regierung verletzt werde. Südkorea plant, seine landesweiten Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 auf 536 Millionen Tonnen zu senken, was ein Rückgang von rund 25 Prozent darstellen würde. Um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, sei dies laut Youth 4 Climate deutlich zu wenig.
Mit der Klage stehen sie nicht alleine: Von Australien über Kolumbien bis hin zu den Vereinigten Staaten haben Jugendliche bereits ihre Regierungen wegen Untätigkeit beim Klimaschutz verklagt. In Ostasien, wo die Fridays for Future Bewegung bislang kaum Fahrt aufgenommen hat, hält eine solche „Aufmüpfigkeit“ jedoch eine ganz besondere Bedeutung.
Schule schwänzen ist in Südkorea ein Tabu
„Viele Gleichaltrige sagen mir, dass ich wirklich großartiges mache, aber selber handeln wollen sie nicht“, sagt Schülerin Kim. Kein Wunder: Wohl kein OECD-Land stehen die Schüler in einem derartigen Konkurrenzkampf zueinander, in der Oberschule büffeln viele täglich weit über zehn Uhr nachts hinaus. Zudem sei es in der streng konfuzianischen Gesellschaft nicht vorgesehen, dass Jugendliche Autoritäten in Frage stellen oder Forderungen an die Regierung stellen, sagt Kim Do-hyeon. Vielleicht das rebellischste Vergehen von allen: Die Schule zu schwänzen ist im bildungshungrigen Südkorea ein absolutes Tabu.
Als Kim Do-hyun den ersten freitäglichen Klimastreik teilnahm, musste sie zunächst ihrem Klassenlehrer ein Attest vorlegen. „Das Wort Streik habe ich unbedingt vermeiden wollen, weil es in Korea ein gewisses Stigma beinhält. Ich habe die Veranstaltung als Klimakampagne deklariert – und mein Lehrer hat mich am Ende gehen lassen“.
Südkorea hat den neunthöchsten Kohleverbrauch
Wenn die 16-jährige Oberschülerin aus Suwon, einer Stadt am Rande der Metropolregion Seoul, spricht, dann wirkt sie ein wenig wie die ostasiatische Gegenthese zu Greta Thunberg: zuvorkommend höflich, bedachte Wortwahl, fernab von Wutreden. Doch inhaltlich sind die beiden Verbündete im Geiste.
Auch in Südkorea gibt es viel zu beklagen: Im letzten Frühling musste die Regierung Notfallgesetze einreichen, um die massive Feinstaubbelastung in den Griff zu bekommen, die in keinem anderen OECD-Land derart hoch ist. Zudem hat Südkorea bei einer Bevölkerung von 50 Millionen den neunthöchsten Kohleverbrauch weltweit, der bislang weiter angestiegen ist.
Sommer 2018 war der heißeste in der Geschichte
Für die ältere Generation blieb das Thema Umweltschutz nebensächlich, für die Maxime des Wirtschaftswachstums wurden drastische Opfer in Kauf genommen. Schließlich lag die Halbinsel nach dem Koreakrieg in Ruinen: eine bitterarme Agrarnation, die es innerhalb einer Generation zur elftgrößten Volkswirtschaft der Welt hinauf geschuftet hat.
„Ich hatte schon immer das Gefühl, dass der Klimawandel über meine Zukunft hängt“, sagt die Schülerin. Ihr Erweckungserlebnis war der Sommer 2018, der als bisher heißester in die Geschichte des Landes eingehen sollte. „Die Hitze war so drückend, dass unser gesamter Sportunterricht gestrichen wurde“, erinnert sie sich.
Hohe Temperaturen sind lebensbedrohlich
Zudem habe sie durch ihre Freiwilligenarbeit für unterpriviligierte Senioren eine ältere Frau getroffen, die zuhause noch nicht einmal einen Ventilator hatte. „Für mich war das wirklich schockierend“, sagt die Südkoreanerin. Sie habe realisiert, dass gestiegene Temperaturen für einige Leute lebensbedrohlich sein können.
Ihre Verfassungsbeschwerde, fügt Kim Do-hyeon an, sei keinesfalls nur ein symbolischer Akt: „Unsere Anwälte, die uns geholfen haben, bescheinigen uns gute Gewinnchancen“. Nicht zuletzt stützen sich die Schüler ausschließlich auf Beweismaterial, das direkt von Regierungsbehörden stammt.
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