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Geisterspiel in SpanienGedränge gibt’s nur vor dem Stadion

Vor einer Geisterkulisse spielt der FC Valencia in der Champions League gegen Bergamo. Aber ein großes Volksfest findet trotz Corona statt.

Ankunft der Italiener: Die Spieler von Atalanta Bergamo landen in Valencia Foto: reuters

Mehr Geisterspiel war nie im Fußball. Nicht einmal Journalisten dürfen am Montag ins Stadion Mes­talla, wenn Valencia dort auf Atalanta Bergamo trifft. Corona goes Champions League: Es ist das erste Match im europäischen Champagner-Wettbewerb, das wegen der Pandemie-Gefahr vor leeren Rängen ausgetragen wird. So hat es das regionale Gesundheitsamt angeordnet. Doch die Debatte geht damit erst los.

Bergamo, natürlich, liegt in der Lombardei, dem europäischen Corona-Epizentrum. Beim Hinspiel vor drei Wochen in Mailand steckte sich ein Valencia-Reporter mit dem Virus an und avancierte damit zu einem der ersten spanischen Fälle überhaupt. Der FC Valencia hat seither jegliche Medienaktivitäten eingestellt. Vor Publikum gespielt hat er allerdings weiterhin, so wie alle anderen spanischen Vereine auch.

In Barcelonas Camp Nou etwa kamen am Samstag zum Spitzenspiel gegen Real Sociedad 77.000 Menschen, darunter wie immer Tausende Touristen aus aller Welt. Zumal aus Norditalien seit dem Wochenende keine Menschen mehr ausreisen dürfen, kann man also schon die Frage stellen: Wenn keine anderen, warum dieses Spiel? Warum seit Bekanntgabe gestern Mittag auch die Mittwochspartie zwischen Paris und Borussia Dortmund, offenbar aber nicht die heute zwischen Leipzig und Tottenham Hotspur?

Verdopplung der Einwohnerzahl

Valencia hatte vergeblich lobbyiert, wenigstens einheimische Dauerkartenbesitzer reinlassen zu dürfen. Die Profis äußern ihren Frust über die sozialen Netzwerke. Verteidiger Gabriel Paulista leitete ein aktuelles Interview von Basketballstar LeBron James weiter, in dem dieser sagt: „Wenn ich in eine Halle ohne Zuschauer komme, werde ich nicht spielen.“ Kapitän Dani Parejo meldet sich mit einer langen, persönlich gehaltenen Botschaft, in denen er auf die Widersprüche dieser Tage abhebt.

Just Valencia steht im März im Zeichen der Fallas, einem der größten Volksfeste Spaniens. Die Stadt verdoppelt ihre Einwohnerzahl, die Menschen feiern dicht gedrängt in den Straßen, das Idealszenario für jedes Virus. Dennoch werden sie – bislang – nicht gestoppt. Ein Schuft, wer das damit in Verbindung bringt, dass sie einen Umsatz von einer halbe Milliarde Euro in die Stadt bringen – während die TV-Rechte der Champions League ja trotzdem gezahlt werden.

„Es macht keinen Sinn“, hadert Parejo in seiner Botschaft. „Wir können nicht zulassen, dass politische oder ökonomische Interessen über die Gesundheit der Bevölkerung gestellt werden. Wenn das Spiel gegen Atalanta gefährlich ist, sind es die großen Menschenzusammenkünfte auf der Straße erst recht. Wenn es gefährlich ist, dass die Leute in Mestalla zusammenkommen, dann ist es das auch im Prinzenpark, der Anfield Road, der Red Bull Arena, dem Etihad, dem Camp Nou, der Allianz-Arena von Turin und der von München“; kurzum, allen anderen Austragungsstätten der Champions-League-Spiele in diesen Wochen.

Keine Substanz

Der Umgang mit dem Virus schwankt: In England gaben sich die Spieler am Wochenende demonstrativ nicht die Hände, während auf den Tribünen wie gewohnt Zehntausende dicht an dicht standen – und sich nach Toren in den Armen lagen. Auch Zweikämpfe fanden statt und Schweiß soll vergossen worden sein; ja, man sah sogar Fußballer spucken. Aber Spott ist wohl unangebracht, denn letztlich versinnbildlichen solche Szenen ja nur die allgemeine Hilflosigkeit: The show must go on – aber wie? Wo selbst in Italien immer noch gekickt wird, wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, traf allein die Schweiz eine konsequente Entscheidung: Dort ist der Meisterschaftsbetrieb bis mindestens 23. März unterbrochen.

Die Uefa hat nun nach dem englischen Beispiel das Handshake vor Europapokalspielen verboten. Substanzielleres ist bisher nicht zu vernehmen. Auch im Fußball fehlt jede europäische Koordination: gerade so, als ob Viren sich den jeweiligen Landesvorschriften unterwürfen. Lange aussitzen wird die Uefa das Problem allerdings kaum können. Nicht nur entstehen im Europapokal gewaltige Wettbewerbsverzerrungen, wenn in einer K.-o.-Begegnung der eine Klub zu Hause vor Publikum spielen kann, der andere aber nicht. Es ist auch schleierhaft, wie ohne internationale Absprache eine EM in zwölf Ländern stattfinden soll. Drei Monate sind es noch bis zum Eröffnungsspiel in Rom.

In Valencia starteten die Fans gestern einen Aufruf. Wenn sie schon nicht hinein dürfen, wollen sie wenigstens kollektiv den Mannschaftsbus vor dem Stadion empfangen. Wer schon mal in Mestalla war, weiß: die Straßen dort sind sehr eng.

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