Von den sexuell „Anderen“

Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze stellt ihren neuen Band „Sexueller Exzeptionalismus“ in der Böll-Stiftung vor. Darin beschreibt sie einen Sexismus gegenüber muslimischen Migranten – und dessen Instrumentalisierung

Köln Silvester 2015 Foto: Markus Böhm/dpa

Von Marlene Militz

„Wusstest du, dass du fremd im eigenen Land werden wirst?“ Diese Frage wird 2015 in einem Promo-Video der Jugendorganisation der FPÖ gestellt. Diesen Spot greift die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Gabriele Dietze in der Einleitung ihres neuen Bands „Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus“ auf. „Zunächst wird ein öffentlicher Platz eingeblendet, wo eine junge Frau durch eine möglicherweise diverse Bevölkerung geht und möglicherweise von einem Mann belästigt wird“, beschreibt sie die Szene, die auf die Frage aus dem Off folgt.

Genau mit dieser Kombination vermeintlicher Gefährdung weißer Frauen durch muslimisch-männliche Migration hat sich Gabriele Dietze in dem Band beschäftigt. Am Freitagabend liest sie in der Heinrich Böll Stiftung einzelne Passagen daraus vor. Mit ihr auf dem Podium sitzt die Kulturanthropologin Urmila Goel.

Sexismus ist Diskriminierung aufgrund von Geschlecht. Demnach könnten auch Männer sexistisch diskriminiert werden, sagt Dietze, allerdings nur Männer marginalisierter Gruppen. Es existiere ein Sexismus gegenüber Minderheiten, weil ihnen eine kulturelle Rückständigkeit zugeschrieben werde, die sich vor allem in ihrem sexuellen Verhalten ausdrücke. Der Begriff, den sie dafür geprägt hat, heißt „Ethnosexismus“. In ihrem Essay konzentriert sich Dietze auf den Ethnosexismus gegenüber muslimischen Migranten und Geflüchteten.

„Rapefugees not welcome here“

Der Rückständigkeit anderer Kulturen stehe unsere fortschrittliche Gesellschaft gegenüber. Hier bei „uns“ herrschten sexuelle Freiheit und Aufgeklärtheit. Die Selbstaffirmation des Westens, Frauen und Homosexuelle angeblich bereits emanzipiert zu haben, bezeichnet Dietze als „sexuellen Exzeptionalismus“.

„Rapefugees not Welcome here“ war auf Pegida-Plakaten nach der Kölner Silvesternacht zu lesen. Auf einmal galt es, „unsere Frauen“ vor den pauschal als Vergewaltigern diffamierten Geflüchteten zu beschützen. „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“, schmettert Björn Höcke auf einem AfD-Parteitag 2015.

Ethnosexismus richte sich nicht nur gegen Muslime, sondern sei schon lange Bestandteil rassistischer und antisemitischer Narrative. „So wurden Juden feminisiert und ihnen ein unersättlicher erotischer Appetit nachgesagt oder Afrikaner in das Klischee animalischer Potenz und Hypersexualität gepresst,“ liest Dietze.

Nach der Lesung soll Urmila Goels die Arbeit Dietzes kommentieren. Nach Hanau, so erzählt sie, habe sie alles über den Haufen geworfen und ihren Beitrag neu konzipiert. Der Täter des rassistischen Terroranschlags in Hanau habe sich antifeministisch geäußert. Außerdem schien er zur Kategorie der Incel gehört zu haben, die sich aus ihrer Sexlosigkeit in einen Hass auf Frauen steigern. Oft zähle dazu die Vorstellung, die skrupellosen Migranten würden den deutschen Männern die deutschen Frauen wegnehmen. „Rassismus strukturiert unsere Gesellschaft von innen“, sagt Goel, „es sind ‚wir‘ und ‚die Fremden‘, die anders sind.“ Eben auch sexuell anders. Deswegen leiste der Essay von Dietze einen wichtigen Beitrag.

Ethnosexismus sei auch Bestandteil antisemitischer Narrative, so Dietze

Dann verkündet Goel, sie würde sich nun aus diesem „Wir“ verabschieden. Sie glaube nicht, dass sie vom „Wir“ als zugehörig anerkannt werde, denn ihr Vater stamme aus Indien. Über die sexuelle Rückständigkeit der Inder*innen wisse das „Wir“ ja viel. „Sollte ich also sexuell fortschrittlich sein, dann nicht dank meines Deutschseins, sondern trotz meiner erschwerten Startbedingungen.“ Dabei sei es völlig egal, ob ihr Vater Sexist sei oder nicht. Den Menschen, die ihn nie getroffen haben, genüge es zu wissen, dass er Inder sei, um auf Goels Verhältnis zu Geschlecht und Sexualität zu schließen.

Gefühl der Überlegenheit

Dietze erklärt im darauf ­folgenden Gespräch, beim ­Vergleich mit vermeintlich minderwertigen Kulturen könne man nur profitieren. ­Überlegenheit sei ein behagliches Gefühl. „Weiße, liberale, alte, zornige, junge Männer interessieren sich nur dann für die Gleichheit von Frauen, wenn sie strategisch für Rassismus und Migrationsfeindlichkeit eingesetzt werden können“, sagt Dietze.

Ihre These ist, „dass diese Art von Sexualpolitik die Funktion hat, weitere Gerechtigkeitsanforderungen etwa von Frauen oder Homosexuellen stillzustellen.“ Und dar­über hinaus Teile der Bevölkerung zur Migrationsabwehr zu gewinnen.