piwik no script img

Die WahrheitPremiere mit völkischem Feigling

Hartmut El Kurdi
Kolumne
von Hartmut El Kurdi

Erschöpft, verwirrt und glücklich fühlt man sich nach der Uraufführung des eigenen Stücks – da schiebt sich ein fremder Mann heran …

S eit einiger Zeit habe ich das Bedürfnis, mich von ganzem Herzen bei einer mir nahestehenden Person zu entschuldigen. Bei mir selbst.

Vor Kurzem stand ich nach einer Premiere an einem niedersächsischen Staatstheater in der Gegend herum, so wie man nach Premieren eben herumsteht, vor allem, wenn es die eigene ist: erschöpft, verwirrt und glücklich, dass alles einigermaßen unfallfrei verlaufen ist. Plötzlich schob sich ein fremder Mann neben mich und fing an, mir seltsame Fragen zum Thema Migration zu stellen.

Dazu muss man erklären, dass ich in dem Stück die Geschichte meiner – auf deutscher wie jordanischer Seite – sehr zum Nomadentum neigenden Familie erzähle. „Sie glauben also, Migration ist etwas Gutes?“, fragte er mich scheinheilig.

In meiner Familie gibt es Araber, Deutsche, Kurden, Tscherkessen und Briten, die immer wieder aus unterschiedlichen Gründen ihren Wohnort gewechselt haben. Mal mussten sie fliehen, mal gingen sie freiwillig auf der Suche nach einem besseren Leben, mal wurden sie von ihren Eltern umgetopft. Davon hatte ich gerade auf der Bühne ausführlich erzählt. Für mich stellt sich eine solche Frage nicht. So wenig, wie die Frage, ob „Wetter“ oder „Luft“ etwas Gutes ist. Migration ist. Punkt. Er aber wollte von Terrorismus, Zwangs-ehen und Burkas sprechen.

Auf meine wiederholte Nachfrage, wer er sei, antwortete er, er wäre ein „interessierter Bürger“, er stelle nur Fragen, seien wir schon wieder soweit, dass man keine Fragen mehr stellen dürfe? Um dann die nächste dieser „Fragen“ zu stellen, die nur eine Behauptung war.

Irgendwann erkannte ihn jemand: Er war ein lokaler AfD-Funktionär. Da brannte bei mir eine Sicherung durch. Nicht weil ein Vertreter dieser Faschistenpartei mich angesprochen hatte. Hätte er sich als solcher vorgestellt, hätte ich ruhig gesagt: Danke fürs Nichtgespräch, tschüss! Was mich wütend machte, war, dass der Feigling die ganze Zeit nicht hatte zugeben wollen, wer er war.

Also brüllte ich ihn an, andere brüllten ihn ebenfalls an. Er gab erst den Coolen, um dann ebenfalls relativ schnell zu entgleisen. Und so endete der Abend laut und turbulent und mit einer für Niedersachsen doch beeindruckenden Eruption von Emotion und Leidenschaft. Noch am selben Abend ärgerte ich mich wahnsinnig darüber, dass ich so ausgerastet war. Es war mir peinlich.

Genau dafür muss ich mich nun bei mir entschuldigen. Dafür, dass ich kurzzeitig dachte, es sei falsch gewesen, laut geworden zu sein. Au contraire: Man muss diese Typen anbrüllen. Um klar zu machen, dass nichts an ihnen normal ist und gesittetes Benehmen verdient. Nicht ihr Rassismus, nicht ihr Hass, nicht ihr Versuch, Menschen einzuschüchtern, nicht ihr Nazi-Vokabular, das letztlich Menschen tötet. Nichts daran verdient einen gepflegten Konversationston. Gar nichts.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Hoffentlich hast Du Deine Entschuldigung an Dich angenommen und bist somit für den Wiederholungsfall gewappnet:



    "Nichts daran verdient einen gepflegten Konversationston. Gar nichts."