: Große Gewinne klein rechnen
Theoretisch sind die Unternehmensteuern hoch in Deutschland. Tatsächlich aber werden immer weniger Steuern gezahlt. Das könnte man ändern
VON NICOLA LIEBERT
Noch tun alle so, als sei alles ganz offen. Aber die Mehrwertsteuererhöhung kommt nach den Wahlen so sicher wie Wahlversprechen gebrochen werden. Denn Finanzierungsalternativen hat derzeit keine Partei auf Lager – sieht man einmal von dem lächerlichen Vorschlag ab, die von Noch-Finanzminister Hans Eichel konstatierte dauerhafte Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben des Bundes von 45 Milliarden Euro im Jahr durch die Abschaffung der Eigenheimzulage von jährlich 6 Milliarden Euro zu stopfen.
Da auf der Ausgabenseite kaum noch Handlungsspielraum besteht, muss man sich über die Einnahmenseite Gedanken machen. Und da fällt den Politikern die Mehrwertsteuer ein. Kein Wunder: Die ist einfach zu erheben und die Steuersubjekte, die Verbraucher, können kaum ins Ausland ausweichen. Da wird eben in Kauf genommen, dass eine solche preissteigernde Maßnahme den ohnehin schon lahmen Konsum und damit die Binnenkonjunktur vollends abwürgen würde.
Gibt es denn kein Alternativen? Doch, aber sie widersprechen der herrschenden Ideologie, der zufolge die Senkung der Einkommen- und Unternehmensteuern die Wirtschaft belebt. So hat die rot-grüne Regierung den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer schon von 53 auf 42 Prozent gesenkt und den Körperschaftsteuersatz von 40 Prozent für einbehaltene und 30 Prozent für ausgeschüttete Gewinne auf einheitliche 25 Prozent. Obwohl die Belebung der Wirtschaft bekanntlich ausblieb, will die Union den Spitzensteuersatz auf 39 Prozent drücken und die Körperschaftsteuern auf 22 Prozent; die SPD will sogar auf 19 Prozent runtergehen.
Die großen Unternehmen tragen dabei schon jetzt fast gar nichts mehr zur Finanzierung staatlicher Aufgaben wie der Ausbildung der späteren Arbeitskräfte oder funktionierender Infrastruktur bei. Machten die Körperschaftsteuern in den Sechzigern rund 10 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes aus, sind es jetzt gerade mal 3 Prozent. Während die Konzerngewinne allein zwischen 1997 und 2003 um mehr als ein Viertel in die Höhe schossen, fielen die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer um 17 Prozent. Würden die Unternehmen noch so viel wie früher zur Staatskasse beitragen, hätte Deutschland mit den Maastrichter Defizitkriterien überhaupt keine Probleme.
Doch gerade bei den Unternehmensteuern heißt es, es gebe keine Alternative zu weiteren Steuersenkungen. Nur dadurch seien „die steuerlichen Standortbedingungen für Kapitalgesellschaften vor dem Hintergrund des enormen Steuerwettbewerbs in Europa zu verbessern“, erklärt Eichel auf der Website seines Ministeriums. So senkte Österreich erst Anfang des Jahres den Steuersatz auf 25 Prozent, in den Beitrittsländern fallen teilweise nur 15 Prozent an, und Irland lockt mit 12,5 Prozent.
In Deutschland dagegen werden die Unternehmen inklusive Gewerbesteuern mit rund 38 Prozent zur Kasse gebeten. Jedenfalls theoretisch. Praktisch führten die Konzerne 2004 nur 13 Prozent ihrer Gewinne an den Fiskus ab, hat der Steuerexperte Lorenz Jarass von der Fachhochschule Wiesbaden ausgerechnet. Dazu eine Sprecherin von Ikea jüngst im Fernsehen: „Jedes Unternehmen hat ja die Möglichkeiten, Steuern zu minimieren. Dafür gibt es die Gesetzgebung.“
Diese Gesetze nutzen vor allem den großen, multinational agierenden Konzernen. „Konzerne können Gewinne und Verluste so lange zwischen ihren Töchtern, zwischen verschiedenen Ländern oder zwischen besseren und schlechteren Jahren hin und her verschieben, bis unter dem Strich kaum noch versteuerbare Erträge übrig zu bleiben scheinen“, moniert Peter Fuchs von der globalisierungskritischen Organisation WEED. „Steuerpolitisch bedarf es daher dringend neuer Wege, um die Konzerne wieder in die Pflicht zu nehmen.“
Da sich die EU partout nicht auf einheitliche Steuersätze einigen kann, müssen zunächst einmal nationale Regelungen her. Zum einen müssen die riesigen Schlupflöcher im deutschen Recht vor allem bei der Verlustverrechnung gestopft werden.
Als nächstes könnte sich die Regierung etwa am Musterland des Kapitalismus, den USA, orientieren: Die im Ausland gemeldeten Gewinne der US-Konzerne werden zu Hause mit dem dortigen Steuersatz von immerhin 35 Prozent nachversteuert. Eine Alternative stellt die so genannte Unitary Taxation dar, die einige US-Bundesstaaten anwenden: Wenn ein Konzern die Hälfte seiner Produktion in Kalifornien hat, dann besteuert Kalifornien auch die Hälfte der weltweiten Gewinne des Konzerns. Die rein bilanzielle Flucht ins Ausland ist bei beiden Modellen zwecklos.
Zudem müssen diejenigen, die am meisten von den Steuerentlastungen für global agierende AGs und GmbHs profitieren, die Aktionäre und Anleiheneigner, stärker zur Kasse gebeten werden. Hier kann Deutschland ebenfalls von den USA lernen, wo Kapitalerträge, auch reine Kursgewinne, konsequent besteuert werden. Und schließlich sollte die Regierung den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie beim Wort nehmen. Jürgen Thumann nämlich erklärte vergangene Woche: „Ich bin sehr bereit, mich persönlich mit einem hohen Steuersatz zu belasten.“
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