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Staatsschauspiel Dresden: Ingo SchulzeKinderglaube Kommunismus

Ohne viel Ausstattung: Das Dresdner Staatsschauspiel bringt eine stimmige Bühnenfassung von Ingo Schulzes „Peter Holtz“-Roman.

Die Bühne von Sabine Kohlstedt, die wie eine riesige Matratze aussieht und zum Spielen einlädt Foto: Sebastian Hoppe

Manche Gestalt, mancher Klassiker winkt bei Schulzes Romanvorlage am Wegesrand: Zuerst Parsifal, der reine Tor, möglicher Erlöser in einer finalen Situation, ein bisschen Don Quijote. Das „Sterntaler“-Märchen baut Schulze selbst in seinen Roman ein, und an Brechts schizophrenen „Guten Menschen von Sezuan“ muss man auch ständig denken.

Auf originelle Weise konterkariert Ingo Schulze mithilfe eines solchen Typen das Master-Narrativ der Nachwende-Geschichtsschreibung. Sein Thema sind die individuellen und gesellschaftlichen Brüche der Jahre 1989/90, aber nicht analytisch sezierend, sondern Kopf stehend aus der Perspektive eines Idealisten erzählt.

Es ist der Bericht über das vermeintlich „glückliche Leben“ eines Gutmenschen, der versucht, über die Um- und Entwertungen der „Wende“ hinweg ein Kontinuum herzustellen. Das besteht in seinem hartnäckigen Kinderglauben an einen Kindergartenkommunismus, zu dem es eben die beiden Anläufe über den Sozialismus oder den neuen Kapitalismus geben muss. Auf groteske Weise nimmt er die propagierten sozialistischen Ideale ernst.

Und als ihm eine Positionierung zur Herbstrevolution 89 durch einen Autounfall „erspart“ wird, wacht er aus dem Koma mit dem Eifer auf, das ihm durch eine Schenkung während der DDR-Zeit zugefallene Häuserkapital zum Wohle der Bedürftigen zu verwerten. Letzte Konsequenz ist die Verbrennung seines Geldes. Man könnte auch von einem Tolstoi-Komplex sprechen.

Linksextremist und Gutmensch

Dass da einer hartnäckig noch an etwas Schönes glaubt, muss ihn heute in den Augen der abgestumpften Zeitgenossen schon zu einem Linksextremisten machen. Moritz Kienemann, zum wiederholten Male in einer Fünf-Stern-Rolle, zeigt auch keine Karikatur dieses Peter Holtz. Er ist in der Einsamkeit des Gutmenschen freilich auch der reine Tor, also nackt. So zeigt ihn die Regisseurin Friederike Heller, erfahren in der Inszenierung literarischer Stoffe, auch eingangs und absehbar wieder im Finale.

Das Stück

Staatsschauspiel Dresden: „Peter Holtz“ nach einem Roman von Ingo Schulze. Regie: Friederike Heller, Peter Holtz: Moritz Kienemann. nächste Vorstellungen: 15. Februar, 10. März und 15. März 2020

Kienemann wird flankiert von einem durchweg inspirierten achtköpfigen Spielerensemble. Vielleicht auch dank der vielen Dialoge der Romanvorlage wirkt die Spielfassung so, als handele es sich ursprünglich um einen dramatischen Text.

Der Einstieg erfolgt vom Ende her. Der gar nicht Verlegenheit erzeugende nackte Peter stellt sich als der „erste ökonomische Häftling“ vor, in der Klapsmühle mit Neuroleptika ruhiggestellt. Konsequenz einer materialistischen Gesellschaft gegenüber einem Idioten, der Geld verbrennen will.

Auf dem „Holtz-Weg“

Chronologisch geht dann Peter seinen Holtz-Weg auf einer Bühne von Sabine Kohlstedt, die wie eine riesige Matratze aussieht und zum Suhlen und Spielen einlädt. Das tut Peter ja auch, im Kinderheim, bei seinen Pflegeeltern, im Singeklub. Überragend sind diese gar nicht nach aufgesetzter Show aussehenden punkigen Einlagen mehrerer Akteure, die „Moorsoldaten“ oder das „Sag mir, wo Du stehst“ des Oktoberklubs.

„Kindergartenkommunismus“ mit hunderten von Bällen, die das Geld symbolisieren Foto: Sebastian Hoppe

Sehr wenig Ausstattung braucht das Stück, es lebt vom intensiven Spiel. Ein Tennisball dient als Universalrequisit, ein riesiger roter Ball mit DDR-Emblem hängt als Sonne des Sozialismus über der Szene, bevor er 1989 stürzt und auch Peter unter sich begräbt. Schubweise wird er durch Hunderte Bälle ersetzt, die das Geld symbolisieren. Eklatant ist der historische Bruch auch auf der Bühne in dem ohne Pause durchgespielten Stück zu spüren. Jegliche Komödie erstirbt, die zuvor dankenswerterweise die DDR-Klischees höchstens gestreift hatte.

Nur scheinbar ist Peter nach dem Wiedererwachen noch der alte Schwärmer. Wenn man in der Psychiatrie landet, kann man wohl nicht so glücklich gelebt haben, wie es der Buchuntertitel „Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ suggeriert. Oder doch? Gegen Ende vernimmt man von Peter den empathischen Satz: „Mein Glück hängt mit allem zusammen!“

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