piwik no script img

Zwischen Nähe und Expansion

Eine Frage der Größe: Bioangebote gibt es nach wie vor auch im kleinen Laden um die Ecke, aber der Marktanteil von Biosupermarktketten steigt. Und dann mischen auch noch Discounter kräftig in diesem Segment mit

Mit den unabhängigen Läden geht mehr verloren als nur der Charme des Biofachhandels Foto: Heinz Hirndorf/Zentralbild/picture-alliance

Von René Hamann

Der Tante-Emma-Laden. Die Älteren werden sich erinnern: Das war ein kleines Geschäft, meist an einer Straßenecke platziert, das ziemlich gut sortiert war, aber von allem nur so viel vorrätig hatte, wie es gerade so gebraucht wurde. Im Grunde das, was heute zumindest in den Großstädten Spätis, Buden oder Kioske, auf dem Land auch gern mal Tankstellen bieten können. Von Bio war da noch keine Rede.

Heutzutage gibt es nur noch sehr wenige dieser Läden. Auch Biomärkte haben gewöhnlicherweise Supermarktgröße. Eine Ausnahme bildet die kleine „Bioase44“ in Berlin-Neukölln, die von Elke Dornbach betrieben wird. Sie muss sich mit ihrem kleinen Laden nicht nur gegen die üblichen Discounter mit ihren Billigangeboten wehren, sondern auch gegen die immer größer werdenden Bio­filia­listen. So hat erst kürzlich die Bio Company in unmittelbarer Nähe ihres Geschäfts eine neue Filiale eröffnet, sehr zu ihrem Unmut. Konkurrenz belebt das Geschäft? Nein, die großen Läden nehmen den kleinen die Kun­d*in­nen weg. Das gilt auch für die Biobranche, die sonst gern mit dem grünen Image von Nachhaltigkeit und Fairness wirbt.

„Für uns steht Bio für eine weltanschauliche politische Grundhaltung, die alle Menschen mitnimmt auf dem Weg in eine wertschätzende und gerechte Zukunft“, so formulierten Dornbach und ihre Mitstreitenden in einem offenen Brief an Kundschaft, Konkurrenz und Öffentlichkeit. „Wir haben mit 125 Quadratmetern eine Ladengröße gewählt, die groß genug ist, um ein vielfältiges Sortiment anzubieten, und klein genug, um Begegnung zu ermöglichen.“

Tatsächlich legen die neuen Tante Emmas viel Wert auf Solidarität, auf Gemeinschaft, auf so etwas wie eine Community im realen Leben. „Kundennähe“ nennen das Menschen aus anderen Marketingbereichen. Ja, Kundennähe will gepflegt sein, oder, wie es am Ende des offenen Briefs der Bioase44 heißt: „Mit den unabhängigen Läden geht mehr verloren als nur der Charme des Biofachhandels. Es sind auch inhaltliche Werte betroffen, die gerade in der heutigen Zeit an Bedeutung gewinnen. Inhalte, die nicht ökonomisch verwertbar sind und die nur mit Solidarität am Leben erhalten werden können.“

Allein, aller politischer oder sozialer Überbau hilft nur wenig in Sachen Erwirtschaftung von Gewinnen. Der Markt ist natürlich im Wandel, und das Biosegment schon längst keine Nische mehr, im Gegenteil. Auch die Bio Company, die in Berlin-Neukölln kürzlich ihre 57. Filiale eröffnet hat, hat einmal klein angefangen. Doch sie hat sich, wie einige andere auch, den Anforderungen eines schnell wachsenden Marktes rasch angepasst und expandiert. Auch solche Bioketten wollen die jeweilige Region stärken und arbeiten konsequent mit Biolandwirt*innen zusammen. Aber: „Wir leben in einer Marktwirtschaft, und man darf nicht vergessen, dass auch die Biosupermärkte im Wettbewerb mit dem Lebensmittel­einzelhandel und neuerdings zunehmend mit dem Discounter stehen. Hier stehen wir mit in der Verantwortung, den Absatz über den Fachhandel zu stärken“, so Georg Kaiser, Gründer und Geschäftsführer der Bio Company.

Stimmt, die Discounter. Nicht nur Edeka, sondern auch Rewe, Lidl und Aldi haben ihr Bioangebot in den letzten Jahren stärker ausgebaut und werben auch kräftig damit. Die großen Discounter fahren gewisser­maßen eine zweigleisige Strategie: ­Bioangebote für die auf­ge­klärte Mittelschicht, ­niedrigpreisige Angebote von Milch- und Fleisch­produkten wie gehabt für alle und besonders die, die es nicht so im Klingelbeutel haben. Und, wie sich beim sogenannten Nackensteak-Gipfel zu Beginn der Woche ­herausgestellt hat: Ein Verbot von Kampfpreisen für Lebensmittel wird es in Deutschland vorerst nicht geben. Distinktion und das Sichabheben von Billigangeboten sind also immer noch die Chance für das Biosegment.

Biosupermärkte stehen in direktem Wettbewerb mit herkömmlichen Discountern

Also geht es immer auch um Angebot und Nachfrage. Elke Röder, Geschäftsführerin des Verbands Naturkost Naturwaren, bleibt allerdings skeptisch, was die Discounter betrifft. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen sagt sie: „Nicht alle Fragen können dem Verbraucher überlassen werden.“ Sie setzt in Sachen Bioprodukte unter anderem auch auf staatliche Mittel wie höhere Besteuerung von konventionellen Produkten und eine höhere Mehrwertsteuer. Besonders Fleisch, das sagen inzwischen ja auch die Grünen, ist viel zu billig. Die Bundesregierung hat inzwischen aber schon abgewinkt. Dabei wären ein fast dreifacher Preis für konventionelles Fleisch und ein doppelter für Milch mindestens angemessen. Auch ein totaler Umbau der deutschen Landwirtschaft wäre vonnöten, so Röder. Den Discountern sei sowieso nicht zu trauen, die hätten „schon lange die Möglichkeit, allen Bauern anständige Preise zu zahlen – und tun es trotzdem nicht“.

Doch zurück zu den Biomärkten. Eine andere Größe ist die Kette denn’s“ Das Vaterunternehmen Dennree gibt es bereits seit den frühen 70er Jahren; seit Mitte der 90er gibt es den denn’s Biomarkt, der Aufstieg erfolgte schnell. Mittlerweile sind es über 250 Märkte in Deutschland und Österreich. Ein Aufstieg, der nicht ohne marktwirtschaftliche Schattenseiten vor sich ging. So stand das Unternehmen mehrfach wegen unangemessener Bezahlung seiner Mitarbeitenden – unter Tarif – in der Kritik. Überhaupt scheint das Unternehmen hier Einsparungsmöglichkeiten zu sehen, was Kunden und User ungern bestätigen: „Es ist offensichtlich, dass diese Supermarktkette stark am Personal spart. Die sehr netten Verkäufer geben sich alle Mühe und verzichten zum Teil sogar auf ihre Pausen. Trotzdem kann die Arbeit in Stoßzeiten nicht bewältigt werden“, schreibt zum Beispiel „Ronja123“ auf der Bewertungsplattform utopia.de. denn’s Biomarkt ist ein Riese, der sich selbst beliefert. Man ist stolz auf sich und seine Kontakte und gibt auf der eigenen Website an, dass „die meisten“ denn’s-Produkte „die strengen Qualitätsrichtlinien der Bio-Anbauverbände wie Bioland, Naturland und Demeter“ erfüllen. Weiter heißt es: „Großen Wert legen wir auf die Belieferung durch regionale Erzeuger, insbesondere bei Obst und Gemüse, Backwaren sowie Fleisch- und Molkereiprodukten“ sowie auf eine „Energieeffizienz und eine ökologisch sinnvolle Energieversorgung“.

Thomas Greim, Gründer und Geschäftsführer von Dennree, sieht sich und die Firmentochter denn’s allerdings – wie die anderen Bioakteure – in ungleicher Konkurrenz zu den großen ­Discountern: „Die Produktivität der Discounter ist immens. Die sind natürlich in der Lage, einen Kassierer hervorragend zu bezahlen, weil er schlichtweg dreimal so viel kassiert wie ein Mitarbeiter bei uns. Und wir haben ja auch Kunden, die Fragebedürfnisse haben oder menschliche Nähe suchen. Das kostet Zeit.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen