Prozess nach Kellerfund: „Hannibal“ zu Geldstrafe verurteilt
Der Ex-KSK-Soldat André S. muss 120 Tagessätze zahlen. Das Amtsgericht Böblingen verurteile ihn wegen illegalen Besitzes von Sprengkörpern.
Zwei Prozesstage lang hatten Ermittler des Bundeskriminalamtes und des baden-württembergischen Landeskriminalamtes geschildert, wie sie in Halle und in Sindelfingen in Keller stiegen und mit Übungshandgranaten, Nebelpatronen und Zündschnüren wieder nach oben kamen. Etwa zwei Dutzend Teile insgesamt. „Erkennbar aus Bundeswehrbeständen“, sagte ein Sprengstoffexperte des baden-württembergischen Staatsschutzes. „DM“ habe darauf gestanden, Deutsche Munition.
Spricht man mit Bundeswehrangehörigen, heißt es häufig: Das sei normal, man nehme schonmal hier eine Signalleuchtpatrone mit oder dort einen Granatenzünder. War es das, was Ermittler bei André S. fanden: Trophäen? Unachtsam gelagerte Munitionsreste?
Eine Übungshandgranate ist keine Granate. Sie erzeuge einen Knall, schildert der Sprengstoffexperte vor Gericht. Aber falsch zusammengeschraubt sprenge man damit Finger ab. Das Amtsgericht hatte zunächst einen Strafbefehl erlassen, wollte die Sache schnell erledigen. André S. bestand aber auf einen Prozess, sein Anwalt sah seine Schuld nicht als erwiesen an. Das alles wäre nicht besonders relevant, handelte sich bei dem Angeklagten um einen gewöhnlichen Soldaten. So aber führt der Prozess weiter, in ein Netzwerk, in dem manche Menschen privat für Katastrophen vorsorgen und andere mutmaßlich rechtsextreme Straftaten planten. Denn André S. wurde als „Hannibal“ bekannt, als Gründer des gleichnamigen Netzwerkes.
Disziplinarverfahren noch anhängig
André S. trat 2004 der Bundeswehr bei, wurde Fallschirmjäger, Infanterist, durchlief die Kommandoausbildung des KSK. Er war im Ausland im Einsatz. 2018 dann verhängte die Bundeswehr ein Dienstausübungsverbot, André S. durfte keine Uniform mehr tragen. Er wurde schließlich vom KSK zurück zu den Fallschirmjägern versetzt. Im Herbst 2019 Jahres schied er aus dem Dienst aus, „auf eigenen Wunsch“ zitiert ein Zeuge vor Gericht die Auskunft der Bundeswehr. Ein Disziplinarverfahren ist derzeit noch anhängig.
Noch während André S. bei der Bundeswehr dafür zuständig war, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, gründete er ein privates Netzwerk sogenannter Prepper, für Menschen also, die sich auf Katastrophen vorbereiten. Recherchen der taz haben gezeigt, dass es sich dabei aber nicht um Naturkatastrophen handelte, sondern um politische Fragen: Viele im Netzwerk fürchteten, zu viele Flüchtlinge könnten nach Deutschland kommen. Dagegen wollten sie sich verteidigen.
Seit Anfang 2016 organisierten sie sich in regionalen Gruppen, verabredeten in Chats mit den Namen Nord, Süd, West und Ost Fluchtrouten oder Erkennungszeichen. In Norddeutschland hortete ein führendes Mitglied 55.000 Schuss Munition und auch Waffen, darunter eine illegale Maschinenpistole, er wurde deshalb kürzlich verurteilt. Gegen zwei weitere Prepper ermittelt die Bundesanwaltschaft, auch sie sollen Feindeslisten angelegt und die Tötung von Menschen geplant haben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt mehrere Mitglieder des Netzwerkes als rechtsextrem ein.
Im Frühjahr 2016 gab André S. in einer Chatnachricht der Südgruppe mehrere „Safe Häuser“ bekannt, sichere Rückzugsorte, an denen man sich im Falle einer Krise treffen könnte. Darunter das Autohaus seiner Familie in Halle. Und auch die Kaserne in Calw, in der das KSK streng abgeschirmt trainiert. Bei Treffen wurde nach taz-Recherchen darüber diskutiert, ob man die Kaserne nicht auch übernehmen könne.
Die Losnummern zerkratzt
Beide Orte durchsuchten BKA-Beamte im September 2017, sie wollten Schusswaffen eines Preppers finden, dem die „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ vorgeworfen wird. Es handelte sich um den rechtsextremen Soldaten Franco A..
In Halle fanden die Ermittler eine Kiste, darin Medikamente, Nebelpatronen, Zünder und andere Bestandteile von Sprengkörpern. In Calw fanden sie nicht viel. Ein Zeuge sagte aus, André S. habe vor der Durchsuchung Material zur Seite geschafft, mindestens einen Laptop. Auch eine Sim-Karte konnten die Ermittler nie finden. Auch keine Waffen von Franco A.. Und die Ermittler wurden offenbar auch angelogen.
Als die Ermittler André S. mit der Kiste und den Granatenteilen aus dem Keller seiner Eltern in Halle konfrontierten, gab dieser an, sie müsse da schon seit zehn Jahren schlummern. Dem widersprach ein BKA-Beamter nun vor Gericht. Er schilderte den Fundort als sehr staubig, nur die Kiste und Patronen seien sauber gewesen. Er zitiert die Mutter des Beschuldigten, die sich verwundert über den Fund zeigte, denn zuvor sei die Kiste nicht dort im Keller gewesen. Losnummern, mit denen die Nutzung einer spezifischen Munition nachvollzogen werden kann, fanden die Ermittler zerkratzt vor. Es sei der Bundeswehr bis auf wenige Teile nicht gelungen, sie zu identifizieren, hieß es vor Gericht.
Weder die Staatsanwaltschaft noch der Richter thematisieren deshalb, wie Bundeswehrsprengmittel in den privaten Keller eines Soldaten kamen. Sie hinterfragen auch nicht, was er damit vor gehabt haben könnte. Der Richter stellt aber fest: „Ich lege das hier hin und interessiere mich dafür nicht mehr, das funktioniert bei Sprengmitteln nicht.“ Das wisse der Angeklagte, als Soldat sowieso und erst Recht als Zugangssprenger.
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, hat das konkrete Folgen: André S. hätte dann nicht die erforderliche Zuverlässigkeit zum Waffenbesitz oder Führen eines Sicherheitsgewerbes. Der Verteidiger von André S. hat aber angekündigt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.
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