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Über Wahrheit in Zeiten der DrohnenAm Himmel ist noch Platz

Wir überlassen die Wahrheit heute nicht mehr der Erzählung, wir haben Aufnahmen zur Beweisführung. Und jetzt kommen die Drohnen über uns – für immer.

Filmen und gefilmt werden: Eine Polizei-Drohne bei einem Pressetermin in München Foto: dpa

I n dem Film, „Die Wütenden – Les Misérables“, der im letzten Jahr in Cannes den Preis der Jury gewann und der im Januar dieses Jahres auch in die deutschen Kinos kam, spielt die Filmaufnahme, die mithilfe einer Drohne gemacht wurde, eine wichtige Rolle bei der Öffentlichmachung eines Verbrechens. Zufällig habe ich in diesem Jahr auch den berühmten Roman gelesen, und darin gab es natürlich noch keine Drohnen. Wir glauben den Geschichten. Was im Roman über das Schicksal Jean Valjeans, Fantines, Pontmercys und des kleinen Gavroche erzählt wird, das ist mir, beim Lesen, die Wahrheit. Wenn es mir nicht die Wahrheit wäre, dann könnte es mich nicht interessieren. So wird Geschichte auch gemacht, durch Erzählungen.

Vieles hat sich seit der Zeit, in der der Roman spielt, verändert. Anderes nicht. In der Neuerzählung in Form eines Filmes gibt es nun innerhalb der Erzählung, die uns die Wahrheit ist, ein Element der Beweisführung, in Form einer Drohne. Dieses Moment der Beweisführung haben wir in unserem modernen Alltag überall. Wir überlassen die Wahrheit nicht mehr der Erzählung. Wir haben Aufzeichnungen. Zusätzlich zum Schiedsrichter haben wir jetzt den Videobeweis. Der menschliche Fehler soll dadurch ausgeräumt werden.

Wohnen mehrere Personen demselben Ereignis bei, sehen sie unterschiedliche Dinge, und erzählen unterschiedliche Geschichten. Hätten wir bei jeder Auseinandersetzung jemanden, der gottgleich über uns schwebte, dann gäbe es keine Ungerechtigkeit, dann hätten wir den unbestechlichen, den gerechten, den neutralen Beobachter, dann müsste es doch – endlich – Gerechtigkeit geben?

Nur weil es in diesem Film diesen neutralen Beobachter gab, konnte die wahre Erzählung (innerhalb der Erzählung), an die Öffentlichkeit gelangen. Ich denke, dass viele Menschen der Ansicht sind, dass die Wahrheit ihnen zu Gerechtigkeit verhilft. Sie fürchten sich nicht vor dieser Wahrheit, weil sie an die Gerechtigkeit glauben. Wahrheit und Gerechtigkeit, das ist für sie ein- und dasselbe.

Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Alle filmen und hoffen auf Wahrheit

Tatsächlich ist es ja so, dass es jetzt Aufnahmen von fast allem gibt, Polizei filmt, Demonstranten filmen, Presse filmt, Passanten, Anwohner filmen, alle hoffen auf die Wahrheit, auf die Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit soll durch Wahrheit und die durch eine Handyaufnahme hergestellt werden. Bei G20 gab es Videos, die Polizeigewalt zeigten, Videos, die randalierende Demonstranten zeigten. „Aber wie ist es denn dazu gekommen?“, fragten die Leute im einen wie im anderen Fall. Die Erzählung fehlte ihnen, die Bilder und Filme taugten ihnen nicht als Erzählung, als Wahrheit. Wahrheit war ihnen immer noch das, was sie als Wahrheit gerne haben wollten, was in ihre eigene Geschichte hineinpasste.

Die noch bessere, tauglichere Wahrheit wird in der Aufrüstung gesucht. Noch mehr Filme, noch mehr Beweise, noch mehr Kameras an öffentlichen Orten. Die Hamburger können sich noch gut daran erinnern, wie es war, als Tag und Nacht Hubschrauber über der Stadt kreisten, über den Köpfen ihrer Kinder, die auf dem Hinterhof spielten, über ihren Schlafzimmern, ihrem Alltag.

Tag und Nacht fliegt er über dir, dein Beobachter. Er behält dich im Blick, bist du wirklich harmlos? Oder nistet nicht doch ein widerspenstiges Gefühl in deinem Herzen, fühlst du Ohnmacht, Auflehnung, Protest in dir wachsen? Die Hubschrauber kreisten eine Woche.

Jetzt kommen die Drohnen über uns, sie kommen für immer. Sie können Straßen ignorieren, Mauern, Zäune, Grundstücksgrenzen, sie können über unseren Köpfen nützliche Dinge tun, Gewebeproben transportieren, Brücken inspizieren, Brandherde beobachten und uns.

Darüber wollen wir aber nicht reden. Wir haben ja nichts zu verbergen. Es ist ohnehin zu spät. Das Bundesverkehrsministerium spendiert drei Millionen Euro für ein Hamburger Forschungsprojekt, das ein Verkehrskonzept für Drohnen erarbeiten soll, denn es wird voll, an unserem Himmel. Die Straßen sind schon lange voll, der Himmel gibt noch was her.

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