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Immer mit der Ruhe

Die Spanier verteidigen bei der EM ihren Titel. Dabei widersetzt sich das betagte Team erfolgreich dem Trend des Tempohandballs und darf nun noch einmal bei den Olympischen Spielen auftreten

Geballte Freude und Erfahrung: Raul Entrerrios im Finale Foto: reuters

Aus Stockholm Michael Wilkening

Der Schweiß vermischte sich mit Tränen, hinzu kam die körperliche wie mentale Erschöpfung. Raul Entrerrios wusste nicht, was um ihn herum geschah. In drei Wochen wird er 39 Jahre alt. Er war wohl das letzte Mal bei einer Europameisterschaft auf dem Feld. Seine erste EM spielte er vor 16 Jahren, doch Zeit für einen Rückblick hatte der Kapitän der spanischen Handball-Nationalmannschaft diesmal nicht. Entrerrios stand in der Arena in Stockholm und versuchte, die Gegenwart zu verstehen. „Ich kann diesen Moment gar nicht fassen. Es ist großartig, mit diesen Jungs diesen Triumph zu erleben“, erklärte der Rückraumspieler, der mit dem FC Barcelona alle großen Titel gewonnen hat. Mit den Spaniern feierte er vor zwei Jahren bereits den EM-Sieg, aber jetzt schmeckte der Erfolg noch süßer.

Die spanischen Handballer verteidigten den EM-Titel in einem dramatischen Finale durch ein 22:20 (12:11) gegen Kroatien. 2018 war der Sieg bereits als letztes Hoch einer großen spanischen Mannschaft gefeiert worden, doch die Geschichte wiederholte sich – und die Helden waren immer noch die gleichen. Im Finale in Stockholm waren 13 Akteure dabei, die schon einmal die EM gewonnen hatten. Neben Entrerrios (38) befinden sich auch Julen Aguinagalde (37), Daniel Sarmiento, Viran Morros (beide 36), Gedeon Guardiola (35) und Joan Canellas (33) im Herbst ihrer Laufbahn. Insgesamt stellten die Spanier mit 31,2 Jahren den im Schnitt ältesten Kader dieser EM. Mit Cleverness und einer speziellen Motivation setzten sie sich durch.

Denn der Europameister ist direkt für die Olympischen Spiele qualifiziert. 2016 standen die Spanier im EM-Endspiel, verloren in Krakau gegen eine entfesselt aufspielende deutsche Mannschaft, mussten deshalb ein Olympia-Qualifikationsturnier bestreiten – und scheiterten dramatisch.

Auf dem erneuten Weg zum EM-Titel und der direkten Olympiaqualifikation agierten die Spanier entgegen dem Trend des zunehmenden Tempohandballs. Als Paradebeispiel werden die Norweger gepriesen, die ihren Gegner mit schnellen Sprints nach vorne zermürben. Durch den perfekten Einsatz der sogenannten Schnellen Mitte haben sich die Norweger zu einer Topmannschaft entwickelt, wurden Dritter der EM und zuvor zweimal Vize-Weltmeister. Für große Titel hat es aber noch nicht gereicht.

Das Team von Jordi Ribera setzte auf ein anderes Spielkonzept. Bei Ballgewinnen in der Abwehr sprinteten die Außen nach vorne und hofften auf Tore im Gegenstoß, die Mitspieler verzichteten aber auf das Tempospiel. Anhand des Alters der Leistungsträger wäre es nicht schlau gewesen. Die Spanier, übrigens ganz ähnlich wie der Finalgegner Kroatien, setzten auf eine altbekannte und bewährte Taktik. Der Fokus lag dabei auf einer starken und flexiblen Deckung. Im Angriff vertrauten sie auf die individuelle Qualität von Entrerrios, Sarmiento, Aguinagalde, Canellas oder Alex Dujshebaev, der sich als einziger Leistungsträger im Rückraum noch nicht jenseits der 30er-Grenze befindet.

In ein paar Monaten werden Entrerrios und ein paar seiner Mitstreiter ihre internationale Laufbahn nach den Olympischen Spielen beenden. 2016 waren die Spanier nicht qualifiziert, 2012 scheiterten sie in London im Viertelfinale am späteren Olympiasieger Frankreich. In Tokio peilen die Spanier mit ihrem Retrostil Edelmetall an.

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