das ding, das kommt: Leine ins Leben
Ist es nun einer oder nicht? „Roman“ steht ja drauf, vorn auf „Die Kieferninseln“. Aber der Text sei doch eher „eine Art lyrischer Prosaballade“, urteilte die taz-Rezensentin. Im Herbst 2017 war das, da war Marion Poschmann damit gerade auf die Shortlist des bedeutenden Deutschen Buchpreises gelangt. Was einen Roman ausmacht, was alles erlaubt ist (und wo die Grenzen doch zu sehr gedehnt werden): Das ist in Bewegung, da gilt heute nicht mehr ohne Weiteres, woran sich, sagen wir: Thomas Mann hielt.
Hauptfigur ist Gilbert Silvester, von dem wir recht bald erfahren, dass er Geisteswissenschaftler ist und eher kein so erfolgreicher: nicht direkt Prekariat, aber trotzdem ganz schon unzufrieden. Dieser Silvester also träumt, seine Frau betrüge ihn. Kaum aufgewacht, ergreift er die Flucht: nach Japan, weil das der erste Kontinentalflug ist, für den er ein Ticket kriegt. Dort angekommen, trifft er einen jungen Mann mit einem Selbstmord-Handbuch im Gepäck. Dieser Yosa plant, sich aus dem Leben zu befördern, und das nicht irgendwie, sondern da, wo Japan – vielen zufolge – vielleicht am schönsten ist: auf den mit Kiefern bewachsenen Inseln von Matsushima.
Auch Gilbert Silvester hat ein Buch dabei, eigentlich mehrere, gekauft am Tokioter Flughafen; darunter die gut 450 Jahre alten Reisenotizen des Dichters und Haiku-Großmeisters Matsuo Bashō: Der war damals, seines beträchtlichen Ruhms überdrüssig, aufgebrochen, um allein den unwirklichen Norden des Landes zu durchwandern – und die Kieferninseln sollen ihm die Sprache verschlagen haben.
Drei Männerfiguren also, die Schluss machen mit dem, was sie haben, sei’s das bisherige Leben – oder gleich das Leben an sich. Den lange toten Dichter immer dabei, zwischen Buchdeckeln oder als biografische Blaupause, machen sich also der Midlife-kriselnde Deutsche und der von einer angeblich übermächtigen Mutterfigur gepeinigte Weltschmerz-Student auf den Weg: Orte aufsuchen, in denen sich schon viele Menschen umgebracht haben, die Dächer trostloser Hochhaussiedlungen etwa. Oder jenen Wald, aus dem die beiden nur wieder herausfinden, weil sie beim Hineingehen gelbes Absperrband ausgerollt haben – gelb, weil es bei schwindendem Licht am Längsten sichtbar bleibt.
Der Verweis aufs Lyrische gründet sich bei den „Kieferninseln“ auf die Form: Diese Prosa ist metaphorisch aufgeladen, mal wie getupft wirkend leicht, dann enorm verdichtet. Und allmählich schleichen sich auch Zweifel ein. Ist, was wir da beschrieben bekommen, Realität? Entspringt Yosa am Ende bloß Silvesters Fantasie? Wie glaubwürdig ist dieser selbstmitleidige Deutsche, so als Erzähler jetzt?
Von ihrer eigenen Bashō-Lektüre hat Poschmann auch der taz mal erzählt, Mitte 2017, im Zusammenhang mit ihrem Reisestipendium im Oldenburger Land: Den japanischen Nordreisenden hatte sie demnach im Gepäck, während sie selbst mit dem Fahrrad in den deutschen Nordwesten aufbrach. Ein während dieses Stipendiums namens „Landgang“ entstandener Text harrt noch der Veröffentlichung, aber den damals als kommend im Munde geführten Roman, eben: „Die Kieferninseln“, den bringt Poschmann nun nochmals für zwei Lesungen mit.
Der Buchpreis wurde es damals übrigens nicht für Marion Poschmann. Aber: Den „Klopstock-Preis für neue Literatur“ bekam sie – immerhin die höchste Literaturauszeichnung Sachsen-Anhalts. Alexander Diehl
So, 2. 2., 17 Uhr, Springe-Völksen, Haus im Park; Di, 11. 2., 19 Uhr, Schleswig, Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
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