Antilopen Gang mit Symposium: Diskursives Aufmuskeln
HipHop als Punk im Punk: Die Antilopen Gang lud anlässlich ihres neuen Albums „Abbruch Abbruch“ in Berlin zu einem Symposium.
HipHop ist nach wie vor eine höchst argumentierfreudige Angelegenheit. Diesen Eindruck hinterließ das Symposium, zu dem die Band Antilopen Gang am Donnerstagabend anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen, vierten Albums „Abbruch Abruch“ in die Kantine des Berghain gebeten hatte.
Die Eröffnungsrede an dem Abend in Berlin hielt Patrick Orth, der Geschäfstführer von JKP, der Plattenfirma der Antilopen. Orth schilderte HipHop als Möglichkeit, weiter die Ideen zu vertreten, für die Punks zu engstirnig geworden waren.
Anfang der achtziger Jahre habe den damals 14-jährigen Orth ein älterer Freund auf Künstler wie Grandmaster Flash and The Furious Five oder Fab Five Freddie aufmerksam gemacht. Orth habe darauf versucht, seine Begeisterung für die neue Musik den Punks nahezubringen, mit denen er damals seine Freizeit verbrachte. Doch die hätten sich plötzlich wie spießige Eltern geäußert: „Das ist doch gar keine richtige Musik!“
Orth wechselte darauf seinen Freundeskreis. Er suchte Leute, die jede Engstirnigkeit hinter sich lassen wollten, und fand unter anderem Ale Dumbsky, der als Fun-Punk-Schlagzeuger begonnen und dann als Labelbetreiber Platten der von Orth bewunderten Rapperin Cora E. und der damals noch so genannten Absoluten Beginner herausbrachte. Für Orth hätte diese musikalische Öffnung bedeutet, ein „Punk im Punk“ zu sein. Bei der Antilopen Gang habe er eine ähnliche Haltung festgestellt und sich von deren Bereitschaft einnehmen lassen, in der Musik „Ernst und Blödsinn, Liebe und Trauer zu verbinden“.
Abbruch von Musikerkarrieren
Für den Journalisten und Buchautor Jan Wehn zog sich der titelgebende „Abbruch“ thematisch durch das ganze Album. Nicht zuletzt betreffe er auch den Abbruch von Musikerkarrieren. Denn im HipHop, so Wehns Beobachtung, zeige sich die Tendenz jüngerer Menschen, unter sich bleiben zu wollen. Wer die 30 erreicht oder sie gar überschritten habe, sei auf Veranstaltungen geschweige denn auf Bühnen nicht mehr gern gesehen. „Deutsch-Rap ist Altersdiskriminierung“, schlussfolgerte Wehn.
Gang unterwegs: Die Tour zum neuen Album „Abbruch Abbruch“ der Antilopen Gang startet am 12. Februar in Cottbus und endet am 14. März in Köln.
Der Soziologe Martin Seeliger sprach über das Politische im Werk der Antilopen Gang am Beispiel des Stücks „Der Ruf ist ruiniert“. Darin berichtet eines der Bandmitglieder, dass es mit der Musik inzwischen Erfolg und damit auch genug Geld verdient habe, um sich schöne Kleider zu kaufen und nicht mehr „wie ein verwahrloster Landstreicher“ aussehen zu müssen. Da aber schlechte, abgetragene und wenigstens leicht zerrissene Klamotten zum Habitus in bestimmten Milieus gehörten, sei er aus seiner „Anarcho-Stammkneipe“ rausgeflogen.
Diese Kritik der Antilopen an Linken bewege sich, so Seeliger, auf dem Niveau der Jugendbuchkrimis „TKKG“, womit der Redner das erste Kichern bei den etwa 200 Anwesenden in der Kantine hervorrief. Zum künstlerischen Ansatz der Antilopen gehöre es, so Seeliger, „sich etwas Doofes zu suchen, um darüber zu lachen“. Der eine oder andere ließe sich davon vielleicht noch provozieren, „aber mit Problemanalyse hat das nichts zu tun“. Politisch sei das, fuhr Seeliger fort, „so subversiv wie Farin Urlaub“, der Sänger der Ärzte. Seeliger verbreitete jetzt richtig gute Stimmung im Publikum. Denn jetzt merkte jeder, dass sich der Zweck der Veranstaltung zu erfüllen begann: Über die Antilopen Gang lässt sich wunderbar streiten beziehungsweise ein Symposium abhalten.
Furchtbar wütende Dörfler
Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn beugte sich über das Stück „Das Zentrum des Bösen“. Es handelt vom Dorf und denen, die die von ihnen geliebte Idee vom heilen, sauberen, ungestörten Leben dort in der Defensive gegenüber der Stadt sehen. Doch in der Stadt, befand Salzborn, gebe es lauter Sachen, die auf dem Dorf einfach nicht zu haben wären, darunter „Pluralität und Migration“. Wie furchtbar wütend Dörfler werden können, zeigte Salzborn eindrucksvoll am Beispiel eines Politikers der chinesischen Kulturrevolution in den sechziger Jahren. Der hatte damals erst empfohlen und dann gefordert, dass die Dorfliebhaber „einen Vernichtungskrieg gegen die Städte“ führen sollten.
Zum Schluss nach diesen Referaten fragte die Radiomoderatorin Claudia Kamieth ein aus MusikerInnen wie Drangsal und Luise Fuckface von den Toten Crackhuren im Kofferraum zusammengestelltes Podium auf der Grundlage des Antilopen-Stücks „Bang Bang“, wie sie ihr „erstes Mal“ erlebt hätten. Wie schlimm sei der „Druck“ gewesen, dieses „erste Mal“ denn nun auch endlich mal selbst erleben zu können oder zumindest hinter sich zu bringen.
Die Antworten entsprachen den Beobachtungen, welche die Antilopen in „Bang Bang“ zusammentragen: Der Sex war meistens kurz und mittelmäßig. Das Symposium dagegen nahm sich Zeit und zeigte, dass sich von der politischen Betrachtung bis zum Blickwinkel eines Dr. Sommer aus der Bravo alle möglichen Themen mithilfe der Antilopen Gang diskutieren lassen.
Ein hoch interessanter, amüsanter Abend, an dem die Antilopen Gang dann zum Abgleich mit dem auf dem Symposium Gesagten sogar noch ihr aktuelles Werk auf die Bühne brachten.
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