piwik no script img

Wie eine Mediation die Elphi rettete

Baustreitigkeiten sind wegen nicht eindeutiger Regelungen programmiert – Schlichter versuchen, zwischen Handwerksbetrieben und Großkunden zu vermitteln

Ohne Schlichtung würde die Elbphilharmonie vielleicht immer noch so aussehen wie hier im Jahr 2011 Foto: Christian Charisius/dpa

Von Joachim Göres

„Jede zweite unserer Rechnungen wird vom Kunden gekürzt. Das können wir nicht einfach so hinnehmen“, sagt Gunnar Meyer. Er ist Geschäftsführer der Gustav Meyer GmbH, einem Malerbetrieb mit rund 100 Beschäftigten in Liebenau bei ­Nienburg. Das Unternehmen arbeitet in Niedersachsen, Bremen und Hamburg meist für große Auftraggeber wie Bauunternehmen und Wohnungsgesellschaften, deren Architekten nach Meyers Eindruck Handwerkerrechnungen zunehmend in Zweifel ziehen. „Sie stehen immer mehr unter Druck, um Kosten einzusparen“, so Meyer. Nicht selten könne es schon bei kleinen Abweichungen zum Streit um große Summen kommen.

Oft ist das richtige Aufmaß ein Konfliktpunkt. Ob eine Wand 2,45 Meter oder 2,50 Meter hoch ist, kann bei Aufträgen mit vielen Wohnungen zu einer erheblichen Differenz bei der Abrechnung führen“, sagt Meyer und fügt hinzu: „Es kann schon einen beträchtlichen Unterschied ausmachen, ob man die Fläche nach einer Zeichnung oder nach dem Maß vor Ort berechnet.“

Wird keine gütliche Einigung gefunden, landen strittige Fälle meist vor Gericht. Doch solche Verfahren können sich in die Länge ziehen, sind kostspielig und der Ausgang ist ungewiss. Gerade für kleinere Betriebe kann die unbezahlte Rechnung aber existenzgefährdend sein. Deswegen bieten immer mehr Handwerksverbände ihren Mitgliedern eine kostenlose Mediation an. Auch Meyer hat bereits die vermittelnden Dienste des Malerverbandes Niedersachsen in Anspruch genommen. Zuletzt ging es um einen nicht gezahlten Betrag von 30.000 Euro. „Wir haben uns vor Ort getroffen und beide Seiten haben ihren Standpunkt vorgetragen. Der technische Betriebsberater des Landes­innungsverbandes als neutraler Dritter hat dann erläutert, welches Messverfahren korrekt ist und einen Kompromissvorschlag gemacht, der in der Mitte bei 15.000 Euro lag. Dem haben wir und die Gegenseite zugestimmt“, erzählt Meyer.

Der größte Vorteil in seinen Augen: Der Streit wird schnell und einvernehmlich ausgeräumt, die Beziehung zum Kunden bleibt so erhalten. „Grundsätzlich wollen beide Seiten zu einer Lösung kommen. Wenn die Bereitschaft dazu aber nicht vorhanden ist, scheuen wir auch nicht den Gang zum Gericht. Kleinere Firmen sind notgedrungen eher zu Kompromissen bereit“, sagt Meyer.

Mit Fällen, die sich über Jahre bis zu einem Urteil der obersten Instanz hinziehen, kennt sich der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Stephan Leupertz aus. „Die an einem Streit beteiligten Akteure richten ihr Handeln oft danach aus, was rechtlich maximal möglich ist. Das ist ein Fehler“, sagt der heute als Schlichter tätige Jurist. Er hat 2013 die Firma Leupertz Baukonfliktmanagement mit Sitz in Köln gegründet, die bei Baustreitigkeiten bei Großprojekten wie etwa bei Windparkvorhaben oder der Hamburger Elbphilharmonie zu vermitteln versucht.

Leupertz erntet bei Konfliktparteien häufig verwunderte Blicke, wenn er darauf hinweist, dass niemand gezwungen ist, das Recht auszuschöpfen. „Es muss in solchen Fällen mehr um die ökonomische Vernunft gehen. Wenn bei der Elbphilharmonie alle auf ihr Recht bestanden hätten, wäre dort heute noch eine Baustelle“, sagt Leupertz. Er plädiert für vertragliche Lösungen für die Regelung eines Streites schon im Bauvertrag und fügt hinzu: „Vertrauen wird in der Baubranche als unprofessionell empfunden. Das ist falsch. Es ist eine Struktur nötig, durch die alle dann am meisten Geld verdienen, wenn sie gut zusammenarbeiten.“

Leupertz hat an den aktuellen Strukturen im Bauwesen viel auszusetzen: „Derzeit verdient ein Unternehmer Geld, wenn er als günstigster Anbieter einen Vertrag unterschreibt und dann Nachforderungen stellt. Wenn er diese Forderungen vor Abschluss gestellt hätte, hätte er keine Chance auf den Auftrag gehabt. Früher gab es kein Nachtragsmanagement – da müssen wir wieder hinkommen, sonst hilft auch keine Mediation.“

Bauschlichtung

Auch für Privatleute gibt es bei Streitigkeiten um Baumängel und Baukosten die Möglichkeit zu einer außergerichtlichen Einigung.

Die Niedersächsische Bauschlichtungsstelle vermittelt seit 1997 zwischen streitenden Parteien, in 90 Prozent der Fälle wird eine einvernehmliche Lösung gefunden.

Voraussetzung ist, dass beide Seiten dieser Form der Konfliktregelung unter Leitung eines unabhängigen Schlichters zustimmen. Dabei entstehen Kosten von rund 1.000 Euro.

Infos auf www.bauschlichtungsstelle.de

Einige Nummern kleiner sind die Bauprojekte, bei denen der Rechtsanwalt Frank Niemann bei Streitfällen zu Rate gezogen wird. Niemann arbeitet in Hannover für den Landesverband Metall Niedersachsen/Bremen (LVM), der rund 1.500 Mitglieder zählt, zu denen meist kleinere Metallbetriebe mit 20 bis 30 Beschäftigten gehören. Seit 2006 ist Niemann als Mediator tätig und bietet seine Dienste den Verbandsmitgliedern bei Streitigkeiten an. „Ich bin neu­tral und nicht auf Seiten des LVM-Mitgliedsbetriebes“, betont er.

Im Stahlbau komme es vor allem bei der Frage, ob die vereinbarte Leistung tatsächlich erbracht wurde, zum Streit. Dies sei häufig Interpretationssache, da im Vorfeld vieles nicht eindeutig geregelt worden sei. Dabei geht es meist um Summen zwischen 10.000 und 30.000 Euro, die vom Auftraggeber einbehalten werden – Beträge, die kleinere Firmen an den Rand des Ruins bringen können. „In der Regel kann eine Lösung nach drei bis vier Mediationsterminen gefunden werden und die Parteien einigen sich auf einen mittleren Betrag, mit dem beide gut leben können“, sagt Niemann.

Das Interesse an seinen Diensten als Mediator sei allerdings nicht sehr ausgeprägt – häufig scheuten sich Firmen vor einer Mediation, weil sie nicht wüssten, was auf sie zukomme. Niemann: „Ich habe im Schnitt nur einen Fall im Monat. Gerade in wirtschaftlich guten Zeiten verzichten Betriebe eher darauf zu streiten und brechen die Beziehungen zu einem Kunden bei ausstehenden Zahlungen ab, weil sie genügend andere Auftraggeber haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen