: „Das kann man kaum schön reden“
Die Bremer Juristin Cornelia Holsten war zwei Jahre lang die Vorsitzende aller Direktoren der Landesmedienanstalten. Ein Gespräch über Fake News, Medienkonzentration, einen neuen Staatsvertrag, zähe Reformen und fernsehzentrierte Gesetze im digitalen Zeitalter
Interview Mahé Crüsemann
taz: Frau Holsten, Sie haben zum Jahreswechsel den Vorsitz der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten abgegeben haben. Welche Bilanz ziehen Sie?
Cornelia Holsten: Es war wirklich gut. Als Vorsitzende von allen Direktoren der Landesmedienanstalten in Deutschland war ich quasi eine Art Klassensprecherin nach innen, aber auch das Gesicht und die Stimme nach außen. Das stellte alles auf den Kopf: Plötzlich bekam die kleinste Landesmedienanstalt die Chance, die lauteste von allen zu sein. Wir hatten gleich zu Beginn meines Vorsitzes das Thema künstliche Intelligenz in den Medien auf die Agenda gesetzt und hier haben wir echte Fortschritte erzielt. Es ging auch darum, die Wahrnehmung unserer Arbeit zu verbessern und Vorurteile abzubauen. Der Begriff „Anstalt des öffentlichen Rechts“ hört sich erst mal doof an und „Medienanstalt“ hört sich auch eher langweilig an, das kann man kaum schön reden. Die Begriffe sind so hölzern. Aber die Themen rund um Medien, für die wir zuständig sind, berühren jeden. In Zeiten von Fake News und Hate Speech ist es wichtiger denn je, dass es eine staatsferne und unabhängige Medienaufsicht gibt.
Jetzt gibt es ja den neuen Medienstaatsvertrag. Was bringt uns der?
Er löst den Rundfunkstaatsvertrag ab, den es seit 1991 gibt. Ganz viele Vorschriften sind seit knapp 30 Jahren gleich. Damit lässt sich arbeiten, aber eben nicht so gut. Denken Sie an den Opa aus der Werthers-Echte-Werbung, der noch total rüstig ist: Mit dem kann man quatschen, er versteht alles und ist zuverlässig. Aber ich kann ihn nicht mehr auf ein Skateboard stellen. Und so ähnlich ist das mit dem Rundfunkstaatsvertrag auch. Der ist solide, aber er ist nicht in der Lage, auf moderne Medienphänomene besonders agil zu reagieren. Der neue Medienstaatsvertrag ist da eine erhebliche Verjüngungskur für unser Gesetz und Verbesserung für eine moderne Medienregulierung. Es war aber auch ein ganz schönes Stück Arbeit.
Wie sah die konkret aus?
Die Entwürfe des Medienstaatsvertrags wurden veröffentlicht und es wurden zwei Konsultationsverfahren durchgeführt. Wir hatten auch im Vorfeld immer wieder Vorschläge übermittelt. Den ersten Aufsatz dazu, dass Rundfunkzulassungen veraltet sind und wir da ein neues System brauchen, habe ich schon 2013 veröffentlicht. So ein Prozess dauert echt wahnsinnig lange. Manchmal war es ganz schön mühsam, aber wir sind durchgehend mit der Rundfunkkommission im Gespräch geblieben.
Was halten Sie von dem neuen Vertrag?
Fragen Sie einen Juristen, ob er zufrieden ist, dann wird ihm immer noch Korrekturbedarf einfallen. Definitiv ist es ein ganz, ganz großer Schritt in die richtige Richtung – überhaupt gar keine Frage. Ich bin wahnsinnig froh und fast schon dankbar, dass sich die Ministerpräsidentenkonferenz durchgerungen hat, ihn zu verabschieden.
Was fehlt?
Ich persönlich bin der Meinung, dass das Zulassungswesen für Rundfunkangebote immer noch zu bürokratisch geregelt ist. Wir hatten als Ersatz dafür eine qualifizierte Anzeigepflicht vorgeschlagen. Die hat es leider nicht in den Medienstaatsvertrag geschafft. Das Zulassungswesen ist aber immerhin deutlich vereinfacht worden, indem eine Bagatellgrenze eingeführt wurde. Trotzdem meine ich, dass das alte Zulassungsmodell in der Gegenwart, in der wir jetzt leben, anachronistisch ist. Bei den Regelungen zu journalistischer Sorgfalt im Netz und Fake News müssen wir schauen, wie sich die Regelungen jetzt bewähren in der Praxis. Und das Medienkonzentrationsrecht wurde überhaupt nicht angefasst. Momentan ist es ausschließlich fernsehzentriert, als würde es keine Online-Angebote geben. Daneben existieren veraltete Organisationsstrukturen. Dass es ein gesetzlich vorgeschriebenes Organ, die Kommission zur Ermittlung der Medienkonzentration (KEK), gibt, die faktisch nichts zu tun hat, finde ich schon absurd.
Was regelt denn das Medienkonzentrationsrecht?
Das regelt zum Beispiel, wann sich zwei Medienunternehmen zusammenschließen dürfen. Das kann man sich so ähnlich wie im Kartellrecht vorstellen. Am Ende möchte man verhindern, dass ein Monopolist den Medienmarkt beherrscht. Das Ziel ist richtig, nur heutzutage gibt es eben nicht mehr nur das Fernsehen, das den Medienmarkt beeinflusst.
Was sollte da Ihres Erachtens passieren?
Zum einen sollte sich die Rundfunkkommission anschauen, ob die Strukturen noch zeitgemäß sind. Ich sehe ehrlich gesagt nicht, warum es die KEK geben muss, wenn wir als Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) sowieso alle bundesweiten Zulassungsfälle prüfen. Entscheidend ist zudem nicht mehr, ob nur der Fernsehmarkt beeinflusst ist, sondern es kommt auf den Medienmarkt insgesamt an. Wir wissen aus unserer Forschung, und das weiß eigentlich mittlerweile auch jeder schon durch seinen gesunden Menschenverstand, dass nicht nur Fernsehen den Medienmarkt beeinflusst.
Cornelia Holsten,
49, ist Juristin, ehemalige Richterin und seit 2009 Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt.
Warum ist da nichts passiert?
Das müssen Sie den Gesetzgeber fragen. Ich kann Ihnen das nicht erklären.
Sehen Sie die Meinungsvielfalt auf dem Fernsehmarkt als gefährdet an?
Ich bin davon überzeugt, dass die Meinungsvielfalt nicht mehr vom Fernsehmarkt alleine gemacht wird. Nach unseren Untersuchungen dürften andere Player mindestens den gleichen Einfluss auf die Medienvielfalt haben.
Für „dringend notwendig“ halten Sie eine Regelung, die es den Landesmedienanstalten ermöglicht, Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht bei journalistischen Internetangeboten zu ahnden. Warum?
Hier muss gleiches Recht für alle gelten. Wenn ich im Fernsehen in einer Nachrichtensendung ein Todesopfer eines Verkehrsunfalls unverpixelt zeige, dann ist das ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht, wird geahndet und kann mit einem Bußgeld belegt werden. Wenn ich im Hörfunk den Vor- und Nachnamen eines Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren nennen würde, wäre es das gleiche. Bisher ist es zwar unzulässig, online gegen die journalistische Sorgfaltspflicht zu verstoßen, aber es fehlt der Paragraf, der erlaubt, dass wir den Verstoß dann auch ahnden können. Das ist nur historisch erklärbar und geht zurück auf die Zeit, als man sich noch nicht vorstellen konnte, dass online Meinungen geprägt werden. Wenn wir Fake News ernsthaft bekämpfen wollen, müssen wir deren Verfasser verfolgen und dafür brauchen wir im Gesetz eine Grundlage. Fake News wollen so wirken wie Nachrichten. Da braucht man ein Regulativ, egal ob der Inhalt im TV, Hörfunk oder online verbreitet wird.
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