: Seele statt Gefrickel: Sonar Kollektiv
Kaum verkopft und sehr tanzbar: Das Berliner Kult-Label Sonar Kollektiv feiert im Kesselhaus seinen 21. Geburtstag: mit neuenund alten Künstler*innen wie den „Nu Jazzern“ von Jazzanova oder der Band Key Elements, die Broken Beats mit HipHop verschalten
Von Stephanie Grimm
„Uns interessiert alles, was musikalisch ist.“ So beschreibt Oliver Glage, Label Manager beim Sonar Kollektiv, die Philosophie der Firma, die am kommenden Samstag im Kesselhaus ihren 21. Geburtstag (nach-)feiert. Streng genommen gibt es diesen Musikkosmos nämlich noch länger, seit 1997.
Das klingt nach einer doch arg allgemeinen Aussage – und trotzdem taugt sie zugleich als Erklärung, wieso das eng mit dem Produzenten- und DJ-Kollektiv Jazzanova verbandelte Label einen ziemlich langen Atem bewiesen hat.
Einen deutlich längeren Atem jedenfalls, als man es von einem Sound erwartet hätte, der so sehr für eine Ästhetik und einen bestimmten Zeitgeist stand, wie es bei Jazzanova und ihrem Umfeld Anfang der Nullerjahre war.
Da hatte die Band mit ihrem Album „In Between“ (2002) ein geschmeidiges und höchst konsensfähiges Album veröffentlicht, mit dem sie zu Vorreitern des sogenannten Nu Jazz geworden waren – eine Schublade, in der sich die Band allerdings nie wohl gefühlt hat.
Dass sie damit seinerzeit eine zeitgeistige Klangtapete für die Agenturen und Cocktailbars im sich rapide gentrifizierenden Berlin-Mitte lieferten und man ihren Sound, vor allem im Rezeptions-Zusammenhang ihrer Zeit durchaus für aufdringlich stilvoll halten konnte, ist ja keineswegs der Band anzulasten.
Jürgen von Knoblauch, Alex Barck, Claas Brieler, Stefan Leisering und Axel Reinemer haben einfach, damals wie heute, mit Leidenschaft ihr musikalisches Ding gemacht: detailverliebt, sehr informiert und die Ohren in alle möglichen stilistischen Richtungen spitzend.
Auch wenn sie heute den Zeitgeist nicht mehr so definieren wie damals: Auf Clubebene scheint das, was sie seit den neunziger Jahren mit angestoßen hatten, lebendiger denn je. Fand auf Berliner Tanzflächen der späten 90er und frühen Nullerjahre vor allem House und oft sehr minimalistischer Techno statt, so haben sich durch das Clubjazz-Revival des letzten Jahrzehnts ganz neue Optionen für jazz- und soul-affine Tänzer*innen aufgetan.
Der mittlerweile geschlossene Club „Delicious Doughnuts“, aus dem das Jazzanova-Sonar-Universum seinerzeit hervorging, war in den Nachwendejahren jenseits von Nischenpartys einer der wenigen Läden, in dem man sich zu jazzig bis souligen Sounds bewegen konnte.
Gerade ist das Sonar Kollektiv in größere Räumlichkeiten in Mauerpark-Nähe gezogen. Dem Label geht es nach eher rumpeligen Jahre am Ende der Nullerdekade wieder ganz gut –- auch, weil sie es sich in der Nu-Jazz-Nische eben nicht bequem gemacht haben. Sondern sich vor allem von ihrem Fantum leiten ließen und ein großes Herz für alles Mögliche bewiesen.
Von fluffig bis düster
Für eher obskure Nischen, rumänischen Jazz etwa, mit der Veröffentlichung „Romanian Jazz: Jazz from the Electrecord Archives 1966–1978“ (2007); ebenso wie für Massenkompatibles wie der Reggae-Combo Fat Freddy’s Drop aus Neuseeland, die durch eindrucksvolle Live-Auftritte über die Jahre ziemlich groß geworden ist. Der fluffige niederländische Softpop-Songwriter Benny Sings ist ebenso in ihrem Backkatalog zu finden wie der düster housige Berghain-Resident DJ Ben Klock.
„Eigentlich war es schon damals so, wie es auch heute ist: Wir sind unserem eigenen Geschmack gefolgt. Im Kern läuft das meist auf Soulmusik und alle ihre Abzweigungen hinaus. Das gilt auch für den Jazz. Wir wollen keinen verkopften Jazz veröffentlichen, sondern arbeiten eher mit den Soulaspekten der Musik – was nicht bedeutet, dass wir nicht auch mal etwas Abwegigeres unter Vertrag nehmen, wenn wir an den Künstler glauben“, erklärt Glage.
Die beiden Jazzanova-DJs Barck und von Knoblauch sind zugleich Labelmacher beim Sonar Kollektiv. Barck kümmert sich vor allem um die cluborientierteren Sounds, von Knoblauch ums Brasilianische, um Organic Grooves und Jazz. Glage beschäftigt sich vorwiegend mit Folk, Soul und Hiphop und ist stolz darauf, dass sie auch in ihrem dritten Jahrzehnt in junge Künstler investieren und dabei stets eine langfristige Zusammenarbeit im Sinne haben.
Gerade schwärmt er von Pete Josef, einem jungen Sänger aus Bristol, der 2015 sein Debüt auf dem Label veröffentlichte und unlängst seine Stimme dem Track „Movement“ des Produzentenduos Homeless lieh – hinter dem zur Hälfte übrigens auch Alex Barck steckt.
Zur Geburtstagssause gibt es mit dem Live-Act Key Elements ebenfalls recht Neues aus dem Sonar-Kollektiv-Kosmos auf der Bühne; das jazzig-groovende Bandprojekt hatte letztes Jahr ein gleichnamiges Debüt veröffentlicht.
Doch wenn man für ein Label ein fast schon würdiges Alter erreicht hat, will man natürlich auch zurückschauen: Micatone mit der Sängerin Lisa Bassenge, die von Anfang an dabei waren, werden ebenfalls spielen. Und natürlich Jazzanova selbst.
2018 erschien – nach einer zehnjährigen Pause – ihr bisher letztes, sehr lebendig klingendes Album „The Pool“. Wie auch schon das Debüt war es eine Fusion aus Funk, Jazz, TripHop, Electro, Soul und Dub-Einflüssen. Der Platte hörte man nicht zuletzt an, dass sie in den Jahren zuvor viele Bühnen rund um den Globus bespielt hatten.
Wie gemacht scheint „The Pool“ für den Sommer, es könnte also ein durchaus warmer Abend im Januar daraus werden. Zwischen und nach den Live-Acts kann getanzt werden. „Wir wollen an dem Abend die Musik, die sich zum Zuhausehören eignet, mit der Clubmusik zusammenbringen.“
Auch wenn man so etwas mittlerweile, auch dank der Jazzanova-Pionierarbeit, an viel mehr Orten hören kann als damals, ist es doch schön, im Kreis derer zu feiern, die das Clubjazz-Revival seinerzeit mit losgetreten haben.
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